Es geschah auf einer Demonstration gegen Atomkraftwerke. Ich sah eine Frau zusammen mit ihrem Mann quer durch
den Demonstrationszug stolpern und empört schimpfen: Das sei doch unmöglich, diese Demonstranten und
überhaupt... Ich fand ihre Wut unangemessen. Indem ich mich kurz auf sie konzentrierte, erfuhr ich, woran
es lag. Sie war erschöpft, vollkommen ausgelaugt, den Tränen nahe. Sie mußte wohl einen
anstrengenden und enttäuschenden Tag hinter sich gehabt haben, schloß ich. Wäre sie noch ein
Kind gewesen, hätte sie geweint und dadurch ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden. Stattdessen
ärgerte sie sich über alles und jeden. Kopfschüttelnd fragte ich mich: "Habe ich es
nötig, mich darüber aufzuregen? - Nein." war die Antwort. Ich wandte mich nach innen,
konzentrierte mich auf die Herzgegend und fand dort ... Liebe. Ich drehte mich zu der schimpfenden Frau um und
schenkte ihr ein aus tieftem Herzen kommendes, strahlendes Lächeln. Sie blieb direkt vor mir stehen und
sah mich erstaunt an. Ihre Hände streichelten über meinen Rücken. War sie sich dessen
überhaupt bewußt? Ihre schlechte Laune war wie weggeblasen. Daß ich zu den Demonstranten
gehörte, konnte sie wegen des Plakates in meiner Hand wohl kaum übersehen haben.
"Tut ein Lächeln wirklich so gut?" fragte ich mich verwundert.
Als die beiden weitergingen, sah ich ihnen lächelnd nach. Sie hatten ihr inneres Gleichgewicht
wiedergefunden. Ich wußte, daß für diese beiden Menschen Demonstrationen von nun ab mit der
Erinnerung an ein strahlendes Lächeln verbunden sein würden. Eine gute Erinnerung.
Eine Geschichte von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/E-Mail an Kersti
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