Veröffentlicht in Idee und Bewegung: 1/1995
auf dieser Internetseite seit: 8/2010
Wir fuhren mit der Straßenbahn ins
Stadtzentrum, trennten uns dort in
Grüppchen von drei, vier Leuten auf
und bummelten durch die Fußgängerzone. Wir betrachteten die Auslagen einiger Geschäfte. Die andernen beiden,
mit denen ich unterwegs war, hatten
wieder einmal einen gemeinsamen
Spleen entwickelt, was sie unbedingt
kaufen müßten. Ich glaube, es waren
in jenen Sommer diese billigen Stoffschuhe mit aus Stroh geflochtener Sohle. Ich selbst hatte kein Interesse an
solchen Dingen, doch es machte mir
Spaß, die anderen beiden zu beobachten. Verschiedene Menschen führten
auf der Straße etwas vor. Einige Ausländer tanzten in ihren Trachten. Andere Menschen spielten Instrumente,
wie das an schönen Sommertagen in
den Fußgängerzonen der Großstädte
meist ist. Als wir einmal kreuz und
quer durch die Innenstadt gelaufen waren, entdeckten wir die anderen Pfadfinder. Sie saßen in der Mitte der
Straße, spielten auf ihren Instrumenten
und sangen. Wir kannten sie nicht.
Neugierig blieben wir stehen. Es war
eine Mädchengruppe wie wir auch. Sie
spielten weiter, als hätten sie uns
nicht gesehen. Das ist keine unfreundliche Geste, keine Abweisung. Es ist
einfach so, daß man in den Bünden,
wenn man singt, singt. Ein Lied wird
nicht für eine Begrüßung unterbrochen.
Man spricht nicht dazwischen und stört
nicht die Stimmung, indem man aufsteht oder wilde Gesten macht. Dagegen sind alle, die zufälligerweise vorbeikommen, eingeladen, jederzeit unaufgefordert mitzusingen. Nach und
nach sammelten sich die Mädchen unserer beiden Gruppen unter den Zuschauern. Zufall. Zwischen den einzelnen Strophen spielte eines der fremden
Mädchen ein Zwischenspiel auf ihrer
Querflöte und am Ende des Liedes fügte sie ein langes Nachspiel an. Dann
herrschte für einen Augenblick Stille.
Wir Zugvögel verließen unsere Plätze
unter den Zuschauern und mischten
uns zwischen die anderen Pfadfinder.
Die Vorstellung beschränkte sich auf
ein Minimum. Es reichte uns, zu wissen, daß sie auch auf Großfahrt waren
und dem Pfadfinderbund Mannheim angehörten. Ein Bund, von dem wir noch
nie gehört hatten. Dann blätterten wir
in den handgeschriebenen Liederbüchern
der Anderen. Wir fanden unter ihren
weit über hundert Liedern kein einziges, das wir kannten. Schließlich gaben wir es auf, sie sangen eine Weile
allein weiter, während wir in freundschaftlichem Schweigen zwischen ihnen
saßen. Als die Mädchen des Pfadfinderbundes Mannheim schließlich zusammenpackten und das ersungene Geld
einsammelten sagte unsere Gruppenführerin:
"Wir würden uns gerne die Gitarre von
euch leihen."
"Gut. Wir gehen jetzt essen und wenn
wir fertig sind, holen wir sie wieder
ab." antwortete eine der anderen.
Sie gingen, wir sangen und spielten
weiter Gitarre.
Langsam wurde es dunkel. Die Sterne schimmerten am Himmel und die Luft war angenehm lau. Wir sangen und genossen die Schönheit der Sommernacht.
Es war schon ganz dunkel, als die Polizei kam und die vielen Straßenmusikanten der Reihe nach höflich aufforderte, ihre Instrumente einzupacken
und zu gehen. Wir packten die geliehene Gitarre gehorsam ein. Doch als
sie uns dann aufforderten die Straße zu
verlassen, wechselten wir ratlos einen
Blick. Schließlich sagte eine von uns:
"Es tut uns leid. Wir können die Gitarre gerne einpacken und wir spielen
auch bestimmt nicht weiter, aber wir
müssen hier noch auf die Besitzer der
Gitarre warten. Wir kennen ihre Namen nicht und haben auch keine Addresse, wo wir sie finden können."
Da wir uns nicht fortschicken ließen, ging der Polizist unverrichteter Dinge weiter, wir warteten auf die andere Pfadfindergruppe und gaben ihnen die Gitarre zurück, ohne nach Addressen zu fragen. Warum auch? Wir werden sie auch so nicht vergessen.
V4. Merkwürdige Erfahrungen EGI. Kurzgeschichten Z60. Fantasywelt Darkover VB17. Fantasy V231. Frühere Leben von mir |
SonstigesHauptseiteSuche und Links Über Philosophie und Autorin dieser Seite |
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5,
34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615,
https://www.kersti.de/,
Kersti_@gmx.de
Da ich es leider nie schaffe, alle Mails zu beantworten, schon mal
im Voraus vielen Dank für all die netten Mails, die ich von
Lesern immer bekomme.
Werbung ist nicht erwünscht und ich bin nicht damit einverstanden, daß diese Adresse für Werbezwecke gespeichert wird.