erste Version:vor dem 26.2.01
letzte Bearbeitung: 6/2013

Das Drachenreich

F5.

Der Sohn des Drachenkönigs

Vorgeschichte

Ich kam als "Mensch einer niederen Rasse" im Drachenreich zur Welt - das ist jetzt keine moralische Bezeichnung von mir sondern einfach eine wörtliche Übersetzung einer damaligen Bezeichnung. Ich hatte im Gegensatz zu normalen Menschen bespielsweise eine echtes, lockiges, blondes Fell. - Ich selbst habe mich überhaupt nicht als minderwertig empfunden und dieses Selbstbewußtsein hat mir manchen Ärger mit Vorgesetzten eingebracht. Allerdings nicht mit allen. Es gibt immer wieder auch Menschen, die es gerne sehen, wenn man ihnen offen und ehrlich die Meinung sagt und selbstbewußt ist. Und es gibt andere, zumeist die mit dem geringeren Selbstbewußtsein, die damit überhaupt nicht umgehen können. Und bei diesen bringt es nicht einmal etwas, zu schweigen und zu gehorchen. Sie können es nicht verknusen, wenn man nicht aus Angst sondern aus ruhiger Überlegung heraus gehorcht.

Eines Tages wurde ich zum Verkauf in ein großes Handelshaus verschickt. Von dem Käfig aus, in dem ich untergebracht war, beobachtete ich aufmerksam das Treiben in der Halle und versuchte die Menschen und Echsenwesen, die als Käufer kamen, nach ihrer Körperhaltung und ihrem Gesichtsausdruck einzuschätzen. Ich hatte den Verkaufsleiter schon zweimal damit geärgert, daß ich Käufer, die mir nicht gefallen hatten, gleich beim ersten Kontakt so geärgert hatte, daß sie mich nicht mehr haben wollten. - Lieber einmal eine richtige Tracht Prügel als jahrelang täglich Schläge wegen nichts und wieder nichts. Und er kam jetzt zum drittenmal mit jemandem an, der mir nicht gefiel. Ein Echsenwesen mit grün glänzender Schuppenhaut, das mich geringschätzig musterte. Ich blieb scheinbar völlig gelassen sitzen und tat als sehe ich ihn nicht. Der Verkaufsleiter zeigte schweigend auf mich.
"Das da meinst Du?" fragte die Echse verächtlich und warf mir einen Blick zu, als sei ich so etwas ekliges wie eine Schnecke oder schlimmeres.
Immer noch rührte ich mich nicht.
"Erweise Deinem zukünftigen Herrn die Ehre!" befahl mir der Verkaufsleiter.
"Nein. Das werde ich erst tun, wenn Du mir jemanden bringst, der mir gefällt." widersprach ich ruhig und hob endlich den Blick, um ihm in die Augen zu schauen.
Die Echse lachte über diese Unverschämtheit. Es gefiel ihr. Scheiße. Dann drang sie urplötzlich mit ihrer geistigen Energie in meinen Geist. Ich hatte sie abgewehrt, bevor ich dazu kam, darüber nachzudenken, was ich da tat. Dafür waren schon Menschen hingerichtet worden, daß sie es gewagt hatten, einen solchen Versuch, den Geist zu lesen, abzuwehren. Ich erstarrte vor Schreck, dann entspannte ich mich willentlich wieder. Jetzt war es sowieso zu spät. Danach erst merkte ich, daß die Echse wieder nur lachte. Es gefiel ihr, daß ich sie abgewehrt hatte. Da wußte ich, daß ich ein Problem hatte. Wenn es einen Posten gab, zu dem man solche Fähigkeiten brauchte und den die Echsenwesen nicht einem der Ihren zuschusterten, dann hatte ich ein echtes Problem. Eisern hielt ich meine Gefühle unter Kontrolle. Es war zu spät. Sie kaufte mich.

"Was habt ihr mit mir vor?" fragte ich die Echse, sobald wir drei Schritte weit gekommen waren.
Sie lachte häßlich:
"Einer von den kleinen Drachen will ein Schmusetierchen haben. So wie ihr Menschen Hamster haltet."
"Und warum hat es dich dann gefreut, daß ich so unverschämt war?" fragte ich.
"Die Drachen mögen das." antwortete die Echse und lachte wieder hämisch.
Ich glaubte daß Drachen wären wie viele Echsen und Spaß daran hätten, den Willen von Menschen zu brechen. In mir erwachte ein tiefer Zorn. Ich schwor mir, daß ich mich nie verhalten würde, wie ein Schoßtier.

Die Liebe eines Drachenkindes

Als die Echse mich zu dem Bergpaß führte, an dem die Drachen mich abholen wollten, war ich innerlich angespannt, ließ mir aber nichts anmerken. Und dann kam der Drache.

Ich sah ihn an und mein erster Gedanke war, daß er schön war. Wunderschön. Ich sah ihn an und konnte mich nicht sattsehen. Dann wurde mir bewußt, daß er mich ebenso betrachtete. Voller Liebe und Freude, das es so etwas Wunderbares wie mich gab. Sein Geist stand mir weit offen. Nach und nach wurden mir mehr Einzelheiten bewußt. Beispielsweise daß er noch jung war. Von der Persönlichkeitsentwicklung nicht weiter als ein dreijähriges Kind. Und dann tat er, was auch ein Menschenkind in seinem Alter getan hätte. Er nahm mich in die Faust. Ich spürte Rippen brechen, Schmerz. Dann machte das Kind die Hand wieder auf und schrie entsetzt über das, was es angerichtet hatte nach seiner Mama. Mir wurde schwarz vor Augen. Und ich war überzeugt, daß niemand sich die Mühe machen würde, mich zu heilen.

Als ich wieder aufwachte lag ich in einem Krankenbett und war an teure medizinische Maschinen angeschlossen, wie sie normalerweise nur für die reichen und mächtigen unter den Menschen zur Verfügung stehen. Und das waren nicht viele damals im Drachenreich.

Als ich das nächste mal erwachte, war eine Krankenschwester da. Auf meine Frage hin erklärte sie, daß seit dem Unfall zehn Tage vergangen waren und daß der junge Drache so sehr geheult hätte, daß ich ins Krankenhaus gebracht worden sei.
"Ja." sagte ich "Er ist noch ein richtiges kleines Kind."
Die Frau starrte mich an, als sei ich jetzt endgültig verrückt geworden.
"Mein Gott, das ist doch kein kleines Kind! Er ist zehn Meter groß. Auf seiner Hand kann man bequem sitzen!"
"Ich weiß. Oder was meinst du, wo meine Verletzungen herstammen." antwortete ich völlig gelassen.
"Aber er wird wiederkommen! Was tust du dann?" jetzt war sie wirklich entsetzt.
"Mich mit Kindererziehung beschäftigen?" schlug ich vor.
Das war kein Scherz. Ich hatte mir die Scene mit dem Drachen immer wieder durch den Sinn gehen lassen. Da war so viel Liebe gewesen, die Bereitschaft mich zu achten, ja zu verehren aber ohne Unterwürfigkeit. Und das Kindliche. Von seiner Persönlichkeit war dieser Drache noch ein Kind. Und ich war erwachsen. Und wenn ich mit ihm umginge, wie ein Erwachsener mit einem Kind umgeht, dann würde er mir folgen. - Aus Achtung, aus Liebe. Ich mußte mich nur selbstbewußt verhalten wie ein Erwachsener.

In dem Augenblick kam der Drache. Ich zwang die panische Angst wieder herunter, die in mir aufsteigen wollte und beruhigte meinen Geist. Dann versuchte ich wieder mit dem Drachen Kontakt aufzunehmen wie bei unserer ersten Begegnung. Er wirkte sehr niedergeschlagen und bedrückt, bis er merkte, daß ich wach war. Dann begann er innerlich zu jubeln und fragte hoffnungsvoll ob jetzt alles wieder gut sei.
"Nein." antwortete ich "Schau. Mir tut noch alles weh".
Ich ließ ihn über unseren telepatischen Kontakt mitfühlen, daß immer noch jeder meiner Atemzüge durch einen stechenden Schmerz unterbrochen wurde, der anzeigte, daß die Rippen noch lange nicht verheilt waren.
"Bist du mir böse?" fragte er und war völlig geknickt.
"Nein. Aber du darfst mich jetzt nicht anfassen, sonst tust du mir wieder weh."
"Nie wieder?" Er schien fast zu heulen.
"Später schon. Aber du darfst die Hand nie wieder zumachen, wenn ich draufklettere. Du muß sie immer schön offenlassen und warten bis ich mich richtig hingesetzt habe und mich selbst festhalte, ehe du mich hochhebst." erklärte ich "Aber jetzt bin ich noch zu krank dazu. Du willst mich doch nicht totmachen, oder?"
"Aber dann bist du wieder lieb zu mir?"
"Ich bin auch jetzt schon wieder lieb zu dir. Aber ich habe Angst. Du hast mir sehr wehgetan." erklärte ich.
Der Drache war so niedergeschlagen deshalb, daß ich ihn gerne gestreichelt hätte, um ihn zu trösten. Ich wußte, er würde mir nie absichtlich wehtun - aber das erste mal war ja auch keine Absicht gewesen. Kleine Kinder können schrecklich ungeschickt sein. Wenn ich an die Zukunft dachte, gelang es mir nicht, wirklich optimistisch zu sein.

Besorgte Dracheneltern

Etwas später lernte ich die Mutter des Drachen kennen. Sie war riesig. Etwa hundert Meter lang. Allein der Daumen ihrer Hand war größer als ich. Ich nahm mit ihrem Geist Kontakt auf - sie bemerkte mich und schaute geringschätzig auf mich herab. - So wie manche Menschen kleine Tiere betrachten, die ihre Kinder halten. Für sie war ich absolut bedeutungslos, nahezu schwachsinnig und ich wurde nur deshalb begutachtet, weil ihr Kind an mir hing und man Tiere nun mal nicht mißhandelt. Ich war wütend über diese geistige Haltung - was für sie aber absolut bedeutungslos war. So als wäre eine winzige Maus auf einem Menschen wütend. Ich konnte sie definitiv nicht leiden. Sie erspürte meinen Gesundheitszustand, teilte mir mit, daß sie ihrem Kind bis auf weiteres den Kontakt zu mir verboten hätte, außer sie wäre dabei. Und ich teilte ihr empört mit, daß ich auf ihren Schutz und ihre Einmischung abslut keinen Wert lege. - Insbesondere da sie ja sowieso nicht sicherstellen könne, daß es auf ihre Anweisungen hört. Sie war wohl etwas verblüfft - zuckte aber nur geistig mit den Schultern.

Etwas später kam der Vater des Drachen zu mir. Er war ein Drittel kleiner als die Mutter und machte auf mich den Eindruck eines zurückhaltenden Menschen, der bei allen seinen Untergebenen wissen will, daß es ihnen gut geht. Selbst wenn es ein Hamster sein sollte. Er berührte von sich aus meinen Geist und entschuldigte sich, daß niemand bei seinem Sohn gewesen sei, als er mich abgeholt hatte.
"Aber er ist heimlich losgeflogen, als es fast noch eine Stunde hin war und wir haben ihn dann zuhause gesucht, weil er doch unbedingt mitwollte."
Ich lachte:
"Dann hat er sich benommen wie alle kleinen Kinder."
"Wie fühlst Du Dich?"
"Es geht." antwortete ich.
Und öffnete meinen Geist, damit er meine Schmerzen spüren konnte. Seine Stimmung wurde dadurch wesentlich ernster.
"Meine Frau hat erzählt, daß du nicht ihren Schutz willst, wenn mein Sohn zu dir kommt."
"Wenn er nur zu mir darf, wenn sie dabei ist, wird er irgendwann etwas ganz Dummes tun, weil er die Geduld verliert. Ich hoffe, er hat aus dem was passiert ist, genug gelernt, daß er auf mich hört." erklärte ich.
"Und wenn nicht?"
"Dann weiß ich nichts, was mich vor ihm schützen könnte. Er war heute schon einmal heimlich bei mir." antwortete ich und ließ ihn meine Erinnerungen an den Besuch nacherleben.
Danach spürte ich in seinem Geist Hochachtung. Er hat mich danach nie herablassend behandelt - immer fast wie einen Gleichstehenden - auch wenn er natürlich am Ende über mich entschied.

Als Käfigmensch eines Drachen

Die erste Zeit nachdem ich wieder gesund geworden war, war ich vollauf mit der Erziehung des kleinen Drachen beschäftigt. Ich lehrte ihn, achtungsvoll und höflich mit Menschen umzugehen, erzählte hunderte von Geschichten. (Später erfuhr ich, daß Drachen gar nicht fähig sind Geschichten zu erfinden, wie wir das tun.) Ich stellte zu meiner Empörung fest, daß der junge Drache tatsächlich um ein vielfaches intelligenter war, als ein Mensch es sein kann. Mein Stolz schlug daraufhin Purzelbäume.

Ich nähte ihm einen Rucksack - eigentlich ein Sicherheitsgeschirr zum Reiten, das ich ihm mit den Packtaschen schmackhaft gemacht hatte - denn ich wollte meinen Drachen reiten. Wozu sonst sind Drachen schließlich gut, wenn nicht, um mit ihnen durch die Lüfte zu reiten? ;-) Da traf es sich ganz gut, daß er mich sowieso überallhin mitnehmen und allen seinen Freunden zeigen wollte. :) Und dann gab es ja auch noch Sachen, die ich sehen wollte und Leute die ich besuchen wollte, und dort brachte mich der junge Drache dann auch immer brav hin.

Dann jedoch kam er in das Drachenäquivalent einer Schule und ich durfte nicht mit. Also hatte ich plötzlich lange langweilige Stunden, in denen ich in einem wie eine Puppenstube eingrichteten Käfig bleiben mußte. - äh - Eigentlich hätte bleiben sollen. Es gab dort einfach nichts Sinnvolles zu tun - also beschäftigte ich mich mit ausbrechen. Und Menschen sind da viel schlimmer als jedes Tier - nicht nur daß sie geschickte Hände haben - sie verstehen es auch noch, mit Werkzeugen umzugehen. Und wenn sie keine Werkzeuge haben, können sie aus den verschiedensten Materialien Werkzeuge herstellen. (Das Nähzeug war nicht weit weg...) Und wenn keines der üblichen Werzeuge mit dem vorhandenen Material herzustellen geht, fangen sie auch noch an, neue Werkzeuge zu erfinden... ;-) Und außerdem ist das Größenverhältnis zwischen Drachen und Menschen so, daß sie einfach nicht sehr gut darin sind, Menschen auf Werkzeuge zu durchsuchen. Die Drachenmutter war den ganzen Tag damit beschäftigt mich wieder einzufangen. In ihrer Verzweiflung sperrte sie mich in Töpfe und Schränke, die daraufhin "rätselhafterweise" Löcher bekamen, durch die ein Mensch sie verlassen kann. In der Zeit wurde ich dann auch kastriert.

Irgendwann schließlich kam der Vater des jungen Drachen zu mir und fragte mich, was denn eigentlich mit mir los sei.
"Ich langweile mich."
Ich ließ ihn ausführlich mitfühlen, wie es war, alleine in dieser blödsinnigen Puppenstube von Käfig stundenlang eingesperrt zu sein. Er fragte mich, ob es mir helfen würde, wenn ich eine Arbeit am Computer zugewiesen bekäme. Mir erschien das als Lösung. Von da ab verdiente ich mir mit einer Arbeit am Computer ein Taschengeld hinzu und pflegte e-mail-Kontakte übers Netz zu verschiedenen Menschen. Und ich ärgerte mich über mich selbst, weil ich ja auch von mir aus um Arbeit hätte bitten können und das hätte mir vermutlich die Kastration erspart.

Danach kam mir ein anderer Gedanke: Der Drachenmutter ging es in Wirklichkeit nicht anders als mir. Sie hatte auch nichts Sinnvolles zu tun und nur deshalb hatte sie Zeit gehabt, sich darüber zu ärgern, daß ich nicht da war, wo ich eigentlich hätte sein sollen. Zumindest glaubte ich nicht, daß der Faden, aus dem ich eine Strickleiter hergestellt hatte, so wertvoll gewesen war, daß sie mich allein deshalb eingesperrt hatte. - Und ansonsten hatte ich nichts kaputtgemacht, bis sie mich in Schränken und Töpfen einzusperren begann. Überhaupt mischte sie sich oft in Dinge ein, die für sie schlicht bedeutungslos waren.

Also suchte ich nach einer passenden Gelegenheit, redete dann mit dem Drachenvater darüber und fragte ihn, ob er nicht auch für seine Frau eine passende Beschäftigung wüßte. Als er ihr daraufhin die Aufgabe übertrug, sich um sämtliche Drachenfrauen des Planeten politisch zu kümmern, kam ich zum ersten mal auf den Gedanken, ihn nach seiner gesellschaftlichen Position zu fragen: Er war der König aller Drachen. - Dieser neue Posten für die Drachenmutter hatte einen merklichen positiven Effekt. Sie hörte auf, mich daraufhin zu belauern, ob ich wieder etwas Unerlaubtes täte, stellte keine unnötigen Verbote mehr auf und ich erwischte sie tatsächlich zum ersten mal von Zeit zu Zeit dabei, wie sie etwas Positives über mich dachte.

Andere Drachenreiter

Einige Monate danach kam eine fremde, ausgewachsene Drachenfrau zu mir und erzählte, daß sie für ihre Kinder, sobald sie schlüpfen, ebenfalls Menschen haben wolle. Ob ich da Bedenken hätte. Ich fragte sie, wie es käme, daß sie als Drache sich an einen Menschen um Rat wandte. Darauf antwortete sie mißmutig, daß sie eigentlich den König gefragt hätte, aber der hätte sie streng an mich weiterverwiesen, ich sei schließlich der Minister für die Angelegenheiten der Menschen im Drachengebiet.

Das war das erste mal, daß ich davon hörte. Mir fielen sogleich mehrere Sachen ein, zu denen ein solcher Titel gut sein mochte - aber ich verdrängte den Gedanken sofort wieder, weil die Drachin zweifellos mitbekommen würde, was ich dachte, weil wir gerade eine telepatische Unterhaltung führten und ich darin noch nicht so gut war, daß ich private Gedanken vollständig von den für sie gedachten Gedanken trennen konnte.

Ich dachte an meine erste Begegnung mit meinem jungen Drachen und an das Gefühl, was ich da zuerst gehabt hatte. Und an das Ende dieser Begegnung.
"Wie groß ist so ein frisch geschlüpfter Drache?" fragte ich.
"Ein Meter vom Kopf bis zur Schwanzspitze."
"Dann kann es funktionieren. Aber die Menschen sollten jung sein. Ihr Drachen werdet wesentlich älter (ca. 1000 Jahre) als wir und die Kleinen sollten möglichst alt sein, wenn ihr Mensch stirbt. Die Bindung ist sehr eng. - und die Menschen sollten mindestens fünfzehn Jahre alt sein, damit sie für die jungen Drachen wie Eltern für ihre Kinder empfinden können. Ich würde mehrerere Menschen beim Schlüpfen zuschauen lassen, damit der junge Drache Auswahl hat."
Mir ging es eher darum, daß ich vermutete, daß nicht jeder Mensch innerlich bereit wäre, einen Drachen so zu lieben, wie ich es tat. - Und wenn genug Menschen zur Auswahl standen, dann war sichergestellt, daß der frischgeschlüpfte Drache sich denjenigen unter den Menschen aussuchen würde, der bereit wäre, seine Liebe in voller Tiefe zu erwidern. Und nur so konnte etwas Gutes daraus entstehen.
"Außerdem würde ich die Menschen gerne öfters besuchen. Als Mensch in einer Drachenwohnung fühlt man sich so klein und machtlos. Da kann es leicht passieren, daß man nicht um die Dinge bittet, die man eigentlich bräuchte und daß man es nicht wagt, die erwachsenen Drachen auf Probleme anzusprechen, die sie eigentlich bereitwillig aus dem Weg geschafft hätten. Sie werden zu mir eher Vertrauen haben als zu einem Drachen." erklärte ich.
"Aber ich würde so einem Menschlein doch nichts tun."
"Ja. Aber du bist ganz schön groß. Das reicht, um viele Menschen ziemlich einzuschüchtern. Du brauchst nur ein wenig unvorsichtig zu sein, um mich zu töten." erklärte ich.
Und dachte an meine erste Begegnung mit meinem jungen Drachen. Diese Erinnerung reichte, damit sie es einsah.

Am Abend redete ich mit dem Drachenkönig darüber, daß ich ja, wenn ich Minister wäre, auch die Möglichkeit bräuchte, mich um die Menschen zu kümmern, für deren Wohl ich verantwortlich sei. Und deshalb bräuchte ich die Gelegenheit, sie zu besuchen. Ob ich nicht auf Drachen dorthinreiten könne... Zuerst war er empört, daß ich Drachen als bloße Reittiere mißbrauchen wollte, die zweiffellos besseres zu tun hätten.
"Ich dachte eigentlich an junge Drachen, die noch nicht in die Schule gehen. Die würden sich sicherlich darum reißen, mich auch einmal tragen zu dürfen. Ich muß sie halt nur fragen können." erklärte ich.
Dieser Bitte wurde stattgegeben. Ich erhielt so etwas wie ein Telefon, mit dem ich bei Drachen anrufen konnte. - Und ich hatte damit die Möglichkeit das gesamte so erreichbare Drachenland auf eigene Faust erkunden zu können. Denn die jungen Drachen rissen sich wirklich darum, mich tragen zu dürfen.

Wenige Tage später wurde ich mit in die nächste für Menschen erbaute Stadt genommen um die Menschen für die jungen Drachen auszuwählen. Auf Befehl der Drachen wurden alle 15 und 16-jährigen Menschen auf den Platz vor dem Drachenlandeplatz geführt und mußten sich in einer Reihe aufstellen. Das waren eindeutig viel zu viele. Ich ließ meinen Drachen dicht an der Reihe vorbeistürmen. - Nicht so dicht, daß es wirklich gefährlich wäre, aber dicht genug, daß 95% dieser Kinder kopflos davonrannten, trotz der Strafen, die ihnen angedroht worden waren, falls sie zu fliehen versuchen würden.

Damit waren schon einmal die Menschen aussortiert, die einfach zu ängstlich waren, um den Dickschädel zu haben, den sie brauchen würden, um einen jungen Drachen zu erziehen. Dann redete ich mit jedem der übrigen einzeln. - Das waren immerhin 200. Mitgenommen wurden nur die, die nachdem ich ihnen erklärt hatte, worum es ging und was sie damit erreichen konnten, es versuchen wollten und die gleichzeitig auch noch meinem jungen Drachen gefielen. Von ihnen kehrte nur ein einziger zu den Menschen zurück, weil alle, die bei der Gegenüberstellungen nicht von den beiden frischgeschlüpften Drachen ausgewählt wurden, später Bindungen mit andern jungen Drachen eingingen. So jung, wie meiner gewesen war, als ich ihn kennengelernt hatte, aber sie hatten durch mich gelernt, vorsichtig mit Menschen umzugehen.

Danach wollte jeder junge Drache einen Menschen. Zuerst wurde ich jedesmal um Rat und Mithilfe gebeten, wenn neue Menschen für junge Drachen ausgesucht werden sollten - und so lange schien es auch zu funktionieren.

Dann aber begannen einige Drachen ohne menschliche Helfer Menschen aus den menschlichen Enklaven zu holen. Ich erfuhr es, weil ich einmal erst zu Hilfe geholt wurde, als ein Kind tagelang nur noch hysterisch geschluchzt hatte. Ich brauchte Stunden, um sie so weit zu beruhigen, daß sie mir endlich ihre Geschichte erzählen konnte. Sie hatte mit ihren Eltern ein Feld besucht als plötzlich ein Drache im Sturzflug vom Himmel kam und sie entführte. Sie hatte Angst, daß ihre Eltern tot sein könnten. Ich bekam es ernsthaft mit der Angst, ich könnte da eine Lawine ausgelöst haben, die zu einem hoffnungslosen, extrem blutigem Aufstand gegen die Drachen führen würde.

Zuerst einmal flog ich mit dem Mädchen zu der menschlichen Enklave, wo ihre Eltern lebten. (In menschlichen Enklaven dürfen Drachen aus Sicherheitsgründen nur auf speziellen Drachenlandeplätzen landen.) Landete dort und ging zum Regierungsgebäude. Dort fragte ich, wo ich die Eltern des Mädchens finden könne und ließ mich dorthinfahren. Es herrschte eine frostige Athmosphäre. Ich wurde zum Haus der Eltern geführt, wurde aber erst einmal nicht eingelassen.
"Livia, ruf du deine Eltern." bat ich das Mädchen und sie gehorchte.
Als die Menschen die Stimme ihrer Tochter hörten kamen sie heraus und umarmten sie. Und würdigten den Rest der Menschen keines Blickes. Als ich ihnen zuschaute, wie sie unter Tränen ihre Tochter umarmten, wurde mir siedentheiß klar, daß ich etwas ganz wichtiges übersehen hatte. Die Eltern der Jugendlichen, die jetzt Drachen ritten. Ich selbst konnte mich an meine Eltern nicht erinnern, weil ich schon als Kleinkind das erste mal verkauft worden war. Als ich sie fragte, ob ich mit ihnen reden konnte, antworteten sie einfach nicht. Wieder bat ich Livia, sie zu überreden und wieder tat sie es.
"Gibt es einen Ort, wo wir in Ruhe miteinander reden können?" fragte ich.
"Nein." antwortete Livias Vater patzig.
"Ich bin der Minister für die Angelegenheiten der Menschen in Drachenland. Ihr habt, indem ihr mit mir redet die Möglichkeit, mitzuentscheiden, wie Menschen und Drachen in Zukunft miteinander umgehen werden. Und dafür, daß es keinen anderen Eltern mehr so ergeht wie euch. Ich habe nur an die Jugendlichen gedacht, die zu uns kamen und dafür gesorgt, daß es ihnen gut ging. Es ist einfach so, daß ich mich an meine Eltern nicht mehr erinnern kann und daß ich selber auch keine Kinder habe und keine bekommen kann. Ich habe schlicht vergessen, zu überlegen, was es für Eltern bedeuten könnte, wenn ihre Kinder zu den Drachen gehen. Ich weiß, da habe ich einen schweren Fehler gemacht. Und ich will jetzt von euch wissen, wie ich es besser machen könnte." entschuldigte ich mich.
"Ach und wenn du Befehle erteilst, werden die Drachen springen, wie?"
"Ich lege meine Beschlüsse dem Drachenkönig vor, und wenn sie vernünftig sind, wird er dafür sorgen, daß sie durchgeführt werden. Bisher hat er jeden meiner derartigen Beschlüsse unterstützt." antwortete ich.
Ich war mir immer bewußt, wie primitiv meine Pläne im Vergleich zu den Plänen von Drachen erschienen, und daß der Drachenkönig sich immer extrem komplizierte Gedanken machte, in denen er jede Eventualität berücksichtigte, um Schwachstellen an meinen Plänen zu finden. Dennoch hatte er die meisten meiner Pläne unverändert gebilligt. Sie hatten also offensichtlich auch in seinen Augen Hand und Fuß.

Ich redete also stundenlang mit den beiden Eltern und einer Vertretung der örtlichen Regierung, bis ich mir über deren Bedürfnisse und Sorgen einigermaßen klar zu sein meinte. Dann gab ich ihnen meine E-Mail-Adresse und bat sie, mich zu unterrichten, wenn irgendwelche Probleme auftauchen sollten, die ich eventuell lösen könnte.

Am nächsten Tag sprach ich mit dem Drachenkönig einen ganzen Katalog Gesetzesänderungen durch, mit denen ich sicherstellen wollte, daß durch die vielen Jugendlichen, die mit Drachen Bindungen eingingen, kein böses Blut entstand. Zum ersten sollte jeder Drache verpflichtet sein, die Eltern seines menschlichen Partners bis zu dessen achtzehnten Lebensjahr mindestens einmal im Monat zu besuchen. - Über die Bindung zu einem Drachen kann man solche Besuche sehr leicht vergessen als Mensch, dennoch war es wichtig, daß die Eltern wußten, daß es ihren Kindern gut ging. Dann sollten die Eltern bei der Gegenüberstellung als Gäste anwesend sein dürfen. Dann durften Menschen zu den Gegenüberstellungen nur dann mitgenommen werden, wenn sie freiwillig zustimmten und bei der Auswahl mußte immer ein Drachenreiter mit anwesend sein und zustimmen. Der Drachenkönig fügte noch zwei weitere derartigen Regeln hinzu und akzeptierte alles, was ich forderte.

Na ja, jedenfalls hat sich durch diese Geschichte das Drachenreich verändert. Ein Drache, der einmal eine Bindung zu einem Menschen eingegangen ist, kann nie wieder Menschen als bedeutungslos betrachten, sie verachten oder sie hassen.

Fortsetzung:
F48. Kersti: Der Atomkrieg

Kersti:

Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben


F10: Kersti: Was sind Drachen
F11: Kersti: Eine annehmbare Chance
F12: Kersti: Gehirnschiffe
F13: Kersti: Durch Drachenaugen gesehen
F6: Kersti: Erpressung eines Drachenbesitzers
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
Sonstiges
Kersti: Hauptseite
Kersti: Suche und Links
Kersti: Über Inhalt, Philosophie und Autorin dieser Seite

Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/, Kersti_@gmx.de