vor 26.2.01
Ich hatte meinen Stolz. Wenn ich schon zu Tode gefoltert werden würde, dann wollte ich zumindest auf eigenen Füßen dorthin gehen. Ich raffte meine Entschlossenheit zusammen und in dem Augenblick, als ich den ersten Schritt machen wollte, brach wieder alles in mir zusammen. Ich konnte einfach nicht. Die Vorstellung, noch mehr ertragen zu müssen, war zu schrecklich für mich. Auch beim dritten und vierten Versuch brach meine Konzentration wieder zusammen, bevor ich auch nur den ersten Schritt getan hatte.
"Karion. Komm. Du hast doch überhaupt keine Chance. Komm. Sonst
muß ich dich auch noch foltern."
In den Worten klang Mitgefühl mit. Und irgendwie gaben sie mir den
Anstoß, den ich brauchte, um aufstehen zu können.
Mit gesenktem Kopf folgte ich ihm zu den Versuchslaboren. An der Pforte zu den Laboren mußte ich meinen Arm in den Zeichner stecken. Er las die Daten aus dem in mein Handgelenk eingepflanzten Computerchip aus und tätowierte sie auf den Arm. So konnte jeder auf den ersten Blick erkennen, daß ich den Laboren zugeteilt war.
Keman führte mich zuerst zu der Kantine der Labore. dort blieb er
stehen und sah mich an.
"Wenn ich dir jetzt einen Kappuchino spendiere, wirst du es
annehmen?" fragte er zaghaft.
Ich sah ihn zuerst erstaunt an und betrachtete sein Energiefeld
prüfend. Dann nickte ich. Solche Getränke waren normalerweise
nicht für Menschen. Nur Götter bekamen Geld und konnten sich
dafür solche Dinge in der Kantine bestellen. Ich aber hatte seit ich von
meiner Mutter weg verkauft worden war immer Freunde unter den Göttern
gehabt, die mir dergleichen spendiert hatten. Ich nahm es an, weil ich
spürte, daß er etwas auf dem Herzen hatte, nicht weil ich es
gerne mochte.
*Weißt du, ich bewundere dich.* dachte er mir zu.
Ich sah ihn fragend an. Mir war durchaus bewußt, daß ich
innerlich stärker war, als die meisten Menschen und Götter. - Aber
für mich war das immer eine Selbstverständluchkeit meines Lebens
gewesen. - Das war schließlich schon um ein vielfaches länger so,
als ich in jenem Leben alt wurde. Und mich selbst bewundern wäre mir
ziemlich abwegig erschienen.
*Ja. Du bist beinahe dein ganzes Leben lang gefoltert worden - und dennoch
habe ich von dir nur Gutes gehört und gesehen. Und du bist zu jedem
freundlich.*
*Aber nur wenn ich nicht gerade die Geduld verliere.* kommentierte ich.
Es hatte mich erschreckt, wie sehr meine inneren Reserven im letzten halben
Jahr zusammengeschmolzen waren, wie reizbar ich geworden war.
*Woher hast du nur die Kraft genommen, diese Studenten zu unterrichten?*
*Ich wollte, daß sie ihre Einstellung zu Menschen ändern.*
antwortete ich.
*Ja. Früher habe ich auch geglaubt, ich könnte etwas ändern.*
meinte er.
*Siehst du, und ich habe etwas geändert. Ich weiß nicht wie lange
es vorhält - aber die besseren Wirtschaftsergebnisse des Betriebes, wo
ich einmal die Bedarfsplanung gemacht habe, sind darauf
zurückzuführen, daß Menschen dort heute besser behandelt
werden als damals, als ich frisch dorthinkam. Was meine Studenten als
Erwachsene anders machen werden, als sie es sonst getan hätten,
muß sich noch zeigen.* sagte ich.
*Woher weißt du, das es immer noch so ist?* fragte er.
*Schau dir die offiziellen Berichte an.* sagte ich.
Ich unterdrückte den Gedanken an die Briefe meiner Frau, die bis vor
einem halben Jahr von meinem ehemaligen Chef an Torion weitergeleitet
wurden, der sie mir zu lesen gab. Beide hätten dafür erheblichen
Ärger bekommen können.
"Weißt du, im Grunde bin ich ganz froh, kein Gott zu sein. Ich
weiß worin die Abschlußprüfung der Universität
besteht.* In meinem Geist erschien ein vages Bild eines Gottes - mein
geliebter Herr in jenem damaligen Leben - der mich zu Tode foltern
mußte. Sonst wären wir beiden zu Tode gefoltert worden -
ich als Strafe und er, weil er es nicht wert gewesen wäre, die
Universität verlassen zu dürfen. Mit dem Strafer - das
heißt, es dauerte Tage. *Ich hätte mit solch einer Schuld nicht
leben wollen.* erklärte ich.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5,
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