Ich drehte meinen Kopf so weit, daß ich sie
mit meinem gesunden Auge sehen konnte und
lächelte ihr zu.
"Na wie gehts?"
"Papa hat gesagt, daß er dich umbringt, wenn ich noch einmal
weglaufe." sagte sie.
"Das würde ich ihm glatt zutrauen." sagte ich
verächtlich und fragte dann interessiert "Und? Läufst du
noch einmal weg?"
Sie begann zu weinen. Ich streichelte sie mit meinem gesunden Arm.
"Ich würde gerne - aber die letzten Wochen hat er mich in
einen Kerker gesperrt und jetzt bringt er dich um, wenn ich
weglaufe."
"Wer weiß, ob er mich am Leben läßt, wenn
du nicht wegläufst, Salia." antwortete ich.
Sie weinte noch mehr.
Plötzlich klopfte es.
"Was ist?"
"Da ist eine Frau, die gerne einmal eine Amazone sehen
würde." sagte der Offizier der Garde von außen.
"Laß sie herein."
Als sich die Tür öffnete, begann ich zu
strahlen. Ich hatte geahnt, daß es eine der
unseren sein würde, aber nicht daß es Marri
war, meine beste Freundin. Der Offizier ließ
uns alleine.
"Wer ist das?" fragte Marri und warf einen Blick zu dem
Mädchen hinüber.
"Die Tochter des Fürsten. Sie hat versucht, zu uns zu
fliehen." erklärte ich.
"Hat er sich etwa auch..."
"Ja. Wie an Sanna." antwortete ich, ehe sie die Frage ganz
aussprechen konnte.
"Dieses Arschloch. Und du?" ihre Augen blitzten vor Zorn.
Sanna hatte die Geburt ihrer kleinen Tochter nur ganz knapp
überlebt. Der Vater war der hiesige Fürst.
"Mir geht es außer den Verletzungen im Kampf gut. Und hier
ist mein Schwert."
Ich klopfte auf den Schwertgriff am Kopfende
meines Bettes, um anzudeuten, daß ich den
Fürsten mindestens verprügeln würde, sollte
er versuchen, sich an mir zu vergreifen.
"Ich soll und will das Mädchen im Kampf unterrichten. Wenn sie
flieht, hat er gedroht mich hinzurichten." erklärte ich.
"Ihr könntet zusammen fliehen." schlug Marri vor.
"Und du führst dann die Amazonen in den Krieg, wie?"
fragte ich zurück.
"Wieso?"
"Dann hätten wir Krieg, Marri. Die Fürsten würden
ihre Männer zusammentrommeln und gegen uns ziehen. Das adelige
Pack hält zusammen. Und ich fliehe nicht ohne sie."
erklärte ich.
Dennoch drückte Marri mir unauffällig eine
kleine Säge in die Hand, damit ich mich notfalls befreien
konnte.
Eine Weile unterhielten wir uns noch, dann schrieb ich einen Brief an meine Mutter und gab ihn ihr mit, als sie ging. Sie versprach mir, mich wieder besuchen zu kommen.
Quelle: Erinnerungen an eigene frühere Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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