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Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Das erste Gehirnschiff

F45.

Abschiede

Mein Pilot nutzte die letzten Tage auf der Station, um seine Verhältnisse zu ordnen, während ich außer während einem Besuch meiner Frau mit dem Baby wenig zu tun hatte.

Eigentlich wollte ich das andere Gehirnschiff finden, in das mein Freund eingebaut worden war, um mit ihm zu reden. Ich landete aber vorher in diversen anderen Stationen.

Also vergnügte ich mich damit, unerlaubterweise das Datennetz der Station zu erkunden und mir all die Geheimprojekte anzuschauen, die mich nichts angingen. Gegen ein mit einem Computer direkt verschaltetes Gehirn, kamen die Datensicherungen der Station einfach nicht an.

Schließlich entdeckte ich auch das gesuchte Schiff. Ich schaute mich darin um, fand aber zuerst das andere Gehirn nicht. Ich brauchte einige Tage, bis ich begriff, daß er alle Zugänge zu sich abgesperrt hatte, um die chaotischen Reize auszusperren. Ich öffete mir vorsichtig einen Zugang und rief ihn leise:
"Gedorn?"
"Kara! Wo warst du? Ich war ganz allein und alles hat so wehgetan!"
"Sie haben mich nicht zu dir durchgestellt - und es dauerte etwas, bis ich dich allein gefunden habe, ohne Adresse." erklärte ich.

Ich bat ihn - wie ich auch dem Mann, der in den Aufenthaltsräumen auf die Operation wartete, erklärt hatte - daß sie auf einem Piloten bestehen sollten und wie ich das durchgesetzt hatte und welche Bedingungen ich für mich ausgehandelt hatte. Dann zeigte ich ihm wie man das Schiff benutzt und bedient und sagte ihm, daß ich ihn wiedersehen wollte.

Danach programmierte ich meinen Navigationscomputer um: ich hatte in der Abteilung gearbeitet, die die Kursberechnungsprogramme geschrieben hatte. Sie waren für weit weniger leistungsfähige Computer geschrieben und deshalb nicht so gut optimiert, wie das mit meinen Schiffssystemen möglich war. Ich erhöhte die Zahl der Nachkommastellen. Dadurch ließ sich die Route viel genauer berechnen und es waren geringere Sicherheitsspannen nötig. Dann nahm ich mir den Flugplan für meinen ersten Auftrag vor und rechnete die vorgegebene Route um, so daß ich statt der drei vorgegebenen Strecken durch den Hyperraum mit Zwischenstopps an bewohnten Planeten, die ich nicht besuchen mußte, den ganzen Weg auf einmal fliegen konnte - was eine erhebliche Abkürzung war.

Am letzten Tag vor meinem ersten Flug durfte meine Frau mich besuchen. Ich freute mich schon Tage vorher auf ihren Besuch.

Ich kochte ihr mit den Schiffssystemen das, was sie am liebsten mochte und bat meinen Piloten, für mich den Tisch schön zu decken. Dann legte ich festliche Bilder auf die Wandschirme und wartete ungeduldig, daß sie durch die Luftschleuse trat.
"... und jetzt bin ich mit einem Schiff verheiratet, das keine Gefühle hat!"
Ich erstarrte innerlich vor Fassungslosigkeit. Wie konnte sie so etwas sagen? Wenn ich noch einen menschlichen Körper gehabt hätte, hätte ich wohl geweint. Doch Schiffe können nicht weinen und so blieb mir selbst diese Erleichterung vorenthalten.

Ich nahm über das Computersystem Kontakt mit meinem Piloten auf und erzählte ihm alles. Sofort ließ er alles stehen und liegen und kam ins Schiff. Unterwegs sagte er mir:
"Wenn ich bei ihr im Zimmer bin, schaltest du die Kabinensensoren und -kameras aus und läßt uns allein, bis ich dich rufe, ist das klar?"
"Nein!" protestierte ich.
"Kara - sie ist jetzt sehr unglücklich und es wird sehr viel Konzentration erfordern, zu ihr durchzudringen und ihr zu erklären, was sie falsch gemacht hat. Ich bin einfach nicht stark genug, um mir gleichzeitig noch bei jedem Wort zu überlegen, was du da hineininterpretieren könntest, was ich nicht gemeint habe. Laß uns allein miteinander reden, bis ich sie zur Vernunft gebracht habe. Und nachher reden wir beiden allein darüber. In Ordnung?"

Zähneknirschend gab ich nach und versprach ihm, nicht zu lauschen.

Meine Frau hat sich nachher bei mir entschuldigt, dennoch konnte ich ihr jahrelang nicht verzeihen, daß sie das gesagt hatte. Es hatte mich zu tief verletzt.

Kurz bevor ich abflog, sprach ich noch einmal mit Gedorn, der immer noch nicht offiziell zugegeben hatte, daß er wach war und sprechen konnte. Er machte aber einen viel wacheren und gelasseneren Eindruck inzwischen. Außerdem beschwerte er sich schon, daß der blöde Psychologe sich so unverschämt darüber freute, wenn er die Anzeigen des Lebenserhaltungssystems ablas. Sorgen brauchte ich mir wohl keine mehr um ihn zu machen. Ich verabschiedete mich von ihm und legte von der Station ab.

Kersti

Quelle: Erinnerungen an eigene frühere Leben


FA46. Kersti: Fortsetzung: Flug
FA44. Kersti: Voriges: Der Pilot
FI1. Kersti: Inhalt: Das erste Gehirnschiff
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/, Kersti_@gmx.de