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Ich liebte den Dienst im Tempel, die Stille, die langen friedlichen Meditationen. Die Konzentrationsübungen und das gemeinsame Schweigen, da jeder die Gedanken des anderen spürte.
Ich merkte, wie ich innerlich immer friedlicher und klarer wurde, während ich dort diente. Meist heilte ich die Kranken des Volkes, die um Hilfe zu uns kamen.
Ich wußte daß ich gute Fortschritte machte in den Übungen, die mir aufgegeben waren und in der Arbeit, andere zu heilen und ich war so glücklich, wie noch nie in meinem Leben.
Eines Tages führte mein früherer Lehrer mich zu Anatah, den Höchsten Geweihten des Tempels, der mir jetzt die Anweisungen für meine Arbeit gab.
Ich setzte mich zu ihnen auf den nackten Boden und wartete.
*Wann werde ich eingeweiht werden?* fragte ich.
*Warum willst du die höchste Weihe machen?*
wurde ich telepathisch gefragt.
Ich war überrascht.
*Dazu werde ich hier doch ausgebildet.* antwortete ich.
*Du würdest die Prüfung nicht bestehen.*
*Aber warum denn nicht? Du hast doch selbst gesagt, daß ich in
den Konzentrationsübungen und auch in allem anderen besser bin
als die anderen Schüler. Selbst als viele, die die Weihe schon
erhalten haben. Warum bekomme ich die Weihe nicht?*
*Du würdest sie nicht bestehen. Deine unbewältigte
Vergangenheit würde dich einholen.*
Mir kamen die Tränen. Nichts hatte ich mir so
sehr gewünscht wie diese Einweihung.
*Aber - was habe ich denn falsch gemacht?* fragte ich.
*Nichts. Du wünscht dir nur etwas, was für
dich in tausend Jahren nicht zu erreichen
ist.* antwortete er mir.
Ich weinte.
Der Gedanke an die Einweihung ließ mir keine Ruhe in der nächsten Woche. Ich glaubte ihm, was er gesagt hatte und doch konnte ich nicht von dem Wunsch lassen. Jedesmal wenn ich daran dachte, was er mir gesagt hatte weinte ich.
Schließlich hielt ich es eine Woche später nicht mehr aus, ging - wissend daß ich etwas sehr Unvernünftiges tat - zu ihm hin und bat erneut um die Einweihung.
Er wechselte das Thema und redete über andere Aspekte einer
Arbeit, bis es dunkel war. Dann zündete er eine Öllampe an
und redete weiter über andere Themen, bis ein Nachtfalter vom
Licht angezogen wurde, in die Flamme flog und verbrannte.
*Schau. Du bist wie dieser Nachtfalter. Du wirst unwiderstehlich vom
Licht Gottes angezogen und fliegst mitten hinein, obwohl du genau
weißt, daß es dich verbrennen wird. Bitte überleg es
Dir noch einmal anders. Du wirst die Einweihung nicht bestehen und du
wirst unmenschlich leiden, wenn du es versuchst."
Ich sah ihn an und weinte. Ich wußte, er hatte recht und doch
konnte ich nur bitterlich weinen, weil ich mir so sehr wünschte,
eingeweiht zu werden, daß nichts dagegen Gewicht hatte.
Fast ein Jahr lang bemühte ich mich, seinen Rat zu befolgen und Geduld zu haben. Doch jedesmal, wenn ich zwischen den Konzentrationsübungen und der Arbeit Zeit für mich hatte, fiel es mir wieder ein, und ich wäre am liebsten sofort aufgesprungen und hätte ihn erneut um die Einweihung angefleht.
Irgendwann wurde mir bewußt, daß ich mit jedem Tag unglücklicher wurde. Außer der Einweihung gab es nichts, was mir Frieden schenken könnte.
Also ging ich erneut zu ihm hin und bat um die Einweihung.
*Du wirst sie nicht bestehen.* warnte der Höchste.
Ich erhielt mein "Ja" aufrecht und begründete dann:
*Ich weiß daß es für mich richtig ist, so wie die
Prüfung ausgehen wird.*
Der Stellvertreter war beunruhigt, fragte sich,
warum der Höchste so sicher schien, daß ich
nicht bestehen würde und warum ich so sicher
war, es dennoch zu wollen. Ich ließ von meine
innere Ruhe auf ihn übergehen und dachte ihm
zu:
*Was geschehen wird, ist mein Weg. Ich weiß es.*
Der Höchste richtete seine konzentrierte Aufmerksamkeit auf mich und dachte erneut, daß ich sterben werde. Einen grausamen Tod. Ich erwiderte seinen Blick, ruhig, schwieg und erhielt meine Entschlossenheit aufrecht. Lange sahen wir uns in die Augen, die Sonne wanderte über den Horizont und ging unter. Die Sterne leuchteten über uns.
Quelle: Erinnerung an eigene frühere Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5,
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