1/2012

Reinkarnationserinnerung - Niemand braucht Sklavenjungen

F132.

Sklaven sind zu echter Freundschaft nicht fähig

Täglich übte ich mit Kevis stundenlang kämpfen. Die ersten Tage war ich danach immer wie erschlagen. Mit der Zeit gewöhnte sich der Körper jedoch an die Anforderungen und auch die blauen Flecken, die ich täglich durch die hölzerne Übungsklinge erhielt, wurden weniger.

Bevor ich Leibwächter geworden war, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, gegen Unrecht zu protestieren. Ich hatte keine moralischen Vorstellungen gehabt, denn niemand hatte je auf mich Rücksicht genommen oder irgendwelche moralischen Regeln berücksichtigt, wenn es darum ging, was er mit mir tat. In dem Stamm in dem ich geboren war, hatte ich buchstäblich keine Rechte gehabt, nicht einmal ein Bissen des Essens war mir von den Herren zugestanden worden. Was ich brauchte, hatte mir meine Mutter heimlich zugesteckt oder ich hatte es geklaut - und ich war trotzdem ständig so unterernährt, daß ich um mehrere Jahre in der Entwicklung zurückblieb. Dafür wurde mir mehr Arbeit zugemutet, als ich leisten konnte und wenn mich jemand ermordet hätte, hätte es niemanden interessiert. Umgekehrt hatte ich nicht die Macht, einen Menschen ernsthaft zu schädigen.

Als Kevis mich unterrichtete, änderte sich das. Er hatte sehr klare Vorstellungen, was ein Leibwächter mit Schwächeren tun darf und was nicht. Ich durfte nicht einmal im Scherz einen anderen mit der Waffe bedrohen, durfte niemandem etwas wegnehmen, was ihm gehörte und Ähnliches. Er setzte diese Regel notfalls mit Schlägen durch - aber wenn ich richtig darüber nachdachte, fand ich sie sogar gut - und ich wußte ja daß er mich mochte und meine Partei ergriff, wann immer ich Hilfe brauchte.

Wenn die Herrin in die Stadt wollte, bewachten wir ihre Sänfte. Ein paar mal mußten wir Straßenjungen vertreiben, die etwas von der Sänfte klauen wollten. Kevis versetzte ihnen dann immer einen Schlag mit der flachen Klinge auf den Rücken, den sie sich merken würden, ließ sie aber laufen. Ich mußte das gleiche machen. Wenn ich sie verletzt hätte, hätte ich, sobald wir beiden allein waren, ernsten Ärger bekommen. Er wollte nicht, daß man den Kindern wegen Diebstahl die Hand abhackte. Natürlich sagte er der Herrin nie ausdrücklich, daß er sie absichtlich laufen ließ, aber ich glaube, das taten die meisten Leibwächter, deshalb erschien es allen normal, daß die kleinen Jungen und Mädchen nie wirklich erwischt wurden.

Vormittags wurde ich hin und wieder beauftragt, einige Kleinigkeiten auf dem Markt zu besorgen. Dabei ging ich jedesmal durch den Sklavenmarkt und besuchte kurz meinen Freund mit dem verbrannten Gesicht und wechselte ein paar Worte mit ihm. Beim ersten mal hatte ich fast eine Stunde mit ihm geredet, weil er sich so gefreut hat, daß ich ihn besucht habe und gar nicht glauben wollte, daß ich ihn wirklich mochte. Nachher hatte Kevis mich zur Seite genommen und erklärte mir:
"Du kannst deinen Freund ruhig besuchen und so lange du nicht zu viel Zeit vertrödelst, wird niemand etwas dabei finden, weil der Herr es nicht merkt. Aber wenn du so lange wegbleibst wie heute, wird der Herr das merken und dich für deine Pflichtvergessenheit auspeitschen und dann kannst du ihn nie wieder sehen."
Danach redete ich immer nur kurz mit ihm.

Bei den Malzeiten lernte ich die kleine Gina kennen, die Tochter der Köchin. Das Mädchen hatte eine verkrüppelte Hand und wurde meine beste Freundin. Bei den Malzeiten saßen wir immer beisammen und die wenigen freiem Minuten, die im Laufe des Tages fand, verbrachte ich bei ihr. Ich war richtig verliebt in sie, auch wenn mir der Gedanke an eigene Kinder in dem Alter noch zu fern lag, um mir Kummer zu bereiten.

Als ich zwölf war und sie zehn, meinte der Herr, sie sei jetzt alt genug dazu und verkaufte sie ohne zu erzählen an wen. Ich weinte die ganze Nacht, weil ich fürchtete sie nie wiederzusehen und mir Sorgen machte, wohin sie verkauft worden war. Verkrüppelte Sklaven landeten häufig an Plätzen, an denen kein Mensch, der noch bei Verstand war, leben wollte. Beispielsweise als Träger am Totenacker, die meistens ziemlich schnell krank wurden und an Seuchen starben.

Am nächsten Morgen nach beim Einkauf fragte ich jeden, den ich kannte, nach ihr. Ich brauchte fast eine Stunde, bis mir jemand sagte, daß sie an die Kräuterfrau verkauft worden war. Dann ging ich zum Bauernmarkt, suchte nach dem Stand, und fragte nach Gina.

Die alte, verhutzelte Bäurerin, rief meine Freundin herbei. Ich begrüßte sie und fragte sie, ob es ihr gut ging. Was sie erzählte beruhigte mich: ihre Herrin behandelte sie wie eine Tochter und mit der Arbeit die sie zu leisten hatte, war sie zufrieden.

Als ich nach Hause kam, schickte die Wache mich sofort zum Herrn. Gehorsam ging ich hinauf ins Haupthaus.
"Wo warst du?" fragte er zornig.
"Ich habe Gina gesucht." antwortete ich.
"Was fällt dir ein? Wenn ich dich einkaufen schicke, dann gehst du auf direkten Weg dorthin, kaufst, was dir aufgetragen ist und kommst sofort zurück, ist das klar!"
"Gina ist meine Freundin und ich wußte doch gar nicht, ob sie noch lebt!" protestierte ich.
"Hör auf zu lügen! Sklaven haben keine Freunde. Sie sind zu echter Freundschaft nicht fähig und das weißt du. Außerdem solltest du froh sein, daß du hier so gut behandelt wirst. Das hat nämlich nicht jeder."
Ich ballte vor Wut über diese unsinnige Behauptung die Fäuste, doch als der Herr einem seiner Leibwächter befahl, die Sklaven zusammenzurufen und mich auf den Hof zu führen, um mich auszupeitschen folgte ich ihm wortlos, machte gehorsam meinen Rücken frei und bemühte mich, keinen Schmerz zu zeigen, als ich bis zur Bewußtlosigkeit ausgepeischt wurde.

Am nächsten Tag war ich zu krank, um aufzustehen. Kevis schaute mehrfach am Tag bei mir vorbei. Abends setzte er sich neben mein Lager und fragte:
"Mich wundert, wie hart der Herr dich für deinen Ausflug bestrafen ließ. Das macht er normalerweise nicht. Womit hast du ihn denn so erzürnt?"
"Der sagt, Sklaven wissen nicht, was Freundschaft ist." sagte ich empört.
"Und dann hast du ihm was erzählt?"
"Ja."
Kevis lächelte amusiert.
"Weißt du wer wirklich nicht weiß, was Freundschaft ist?"
"Kanard hat keine Freunde außer mir." sagte ich über den vernarbten Sklaven, der mein Freund war.
"Er weiß aber sehr genau, was Freundschaft ist." erklärte mir Kevis "Unser Herr weiß das wirklich nicht. Wenn du beobachtest, wie er und seine Kumpels miteinander umgehen, merkst du, daß sie jeden sofort verächtlich fallen lassen, der sein Geld verliert oder anstrengend ist. Sie tun nichts ohne Gegenleistung füreinander."
Das war ein überraschender Gedanke.
"Wenn der Herr nämlich wüßte was Freundschaft und Liebe wirklich ist, wäre für ihn auch offensichtlich, daß du in Gina verliebt bist, daß du mit dem vernarbten Kanard befreundet bist und daß ich dich liebe, als wärst du der Sohn, den ich nie bekommen konnte, weil ich als kleines Kind kastriert wurde."
Kevis unterbrach sich. An seinem Gesichtsausdruck merkte ich, daß er an etwas sehr trauriges dachte. Ich drückte seine Hand. Er lächelte mir zu, schien aber immer noch so traurig und geistesabwesend. Dann riß er sich zusammen und fuhr fort:
"Und weil er nicht weiß, was Freundschaft ist, wird er nie Verständnis dafür haben, daß du etwas aus Freundschaft oder Liebe tust. Deshalb streite dich mit ihm nie wieder über das Thema Freundschaft. Es ist sinnlos. Du wirst nur für nichts und wieder nichts bestraft. Abgesehen davon ist es im Grunde nicht so wichtig, was er denkt. Er wird dir ein paar Wochen lang ziemlichen Ärger machen und dann regt er sich schon wieder ab und du kannst deine Freunde wieder besuchen, ohne daß er etwas davon merkt."
Kevis blieb neben mir sitzen, bis ich eingeschlafen war.

Sobald ich wieder einigermaßen auf den Beinen war und das nächste mal zum Einkaufen geschickt wurde, besuchte ich wieder meine beiden Freunde, obwohl mir Kevis vorher dringend geraten hatte, es bleiben zu lassen.

Abends wurde ich dann wieder zum Herrn gerufen, der mich erneut bis zur Bewußtlosigkeit auspeitschen ließ, weil ihm jemand gesagt hatte, daß ich ungehorsam gewesen war.

Den Umweg zum Kräuterstand wagte ich danach nicht mehr - aber der Sklavenhändler lag direkt auf dem Weg und ich wechselte dort ein paar Worte mit meinem Freund.

Auch diesmal ließ mich der Herr am Abend zu sich rufen:
"Du hast wieder unterwegs mit einem Sklaven geredet."
"Aber das ist doch mein Freund - ich kann doch nicht einfach ohne ein Wort an ihm vorbeigehen!" protestierte ich.

Wieder ließ er mich bis zur Bewußtlosigkeit auspeitschen. Diesmal war ich mehrere Wochen krank, ehe ich wieder aufstehen konnte - und ich bekam es mit der Angst. Auch wenn es bei meinem Herrn noch nicht vorgekommen war, hatte ich doch schon oft genug gehört, daß Sklaven zu Tode gepeitscht wurden.

Monatelang sprach ich unterwegs auf meinen Einkauftouren nur das unumgänglich Notwendige, ehe ich mich das erste mal wieder traute, meine Freunde zu besuchen.

Zuerst ging ich zum Stand der Kräuterfrau und fragte nach Gina. Sie begrüßte mich viel zurückhaltender als sonst.
"Was ist los?" fragte ich beunruhigt.
"Ich muß dir was sagen..." sie schluckte und machte eine Pause, dann nahm sie sich zusammen und fuhr fort "Ich hab den Mann gefunden, den ich heiraten will."
"Aber..." protestierte ich.
"Weißt du, ich will Kinder und die kann ich mit dir nicht bekommen." erklärte sie.

Ich brach in Tränen aus.

Ich ging zu Kanard und erzählte ihm, was geschehen war. Er hörte mir zu, nahm mich tröstend in die Arme und streichelte mich, bis ich mich einigermaßen wieder gefangen hatte. Dann sagte wer:
"Weißt Du, ich beneide dich selbst darum. Ich hatte noch nie eine Freundin gehabt."
Danach mußte ich mich beeilen, um nach Hause zu kommen.

Ich befürchtete, wieder hoch zum Herrn gerufen zu werden und hatte den ganzen Abend Angst davor, bis ich schließlich erschöpft einschlief. Erst am nächsten Morgen war ich mir sicher, daß er mich nicht erwischt hatte.

Kersti

Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben


F133. Kersti: Fortsetzung: Das Bett der Herrin
F152. Kersti: Voriges: Ein nutzloser Sklave
FI11. Kersti: Niemand braucht Sklavenjungen
VA106. Kersti: Reinkarnation
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
Kersti: Hauptseite
Kersti: Suche und Links
Kersti: Über Philosophie und Autorin dieser Seite

Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/, Kersti_@gmx.de
Da ich es leider nie schaffe, alle Mails zu beantworten, schon mal im voraus vielen Dank für all die netten Mails, die ich von Lesern immer bekomme.
Werbung ist nicht erwünscht und ich bin nicht damit einverstanden, daß diese Adresse für Werbezwecke gespeichert wird.