1/2012
Wochen vergingen. Die blauen Flecken und Zerrungen der Strafe waren inzwischen wieder so weit abgeklungen, daß ich wieder vollen Dienst leisten konnte, doch die Herrin hatte darauf bestanden, daß meine Wache bei ihr die Zeit einschloß, in der sie ihren Unterricht erhielt, so daß ich weiterhin Gelegenheit erhielt, zu lernen.
Eines Tages hatte ich endlich die Buchstaben
zusammen, die ich für meine Bitte brauchte,
nahm die Schreibtafel der Herrin und schrieb:
"Zadek will bestimmt auch schreiben lernen."
Leider sah es, obwohl ich mir große Mühe gegeben hatte, die Buchstaben richtig zu lernen,
bei weitem nicht so gut aus, wie wenn der
Schreiber schrieb.
"Kanto hat etwas geschrieben!" rief die Herrin
aufgeregt.
Der Schreiber kam zu mir, sah es sich an und
fragte die Herrin, ob sie es lesen könne.
"Nein. So ganz nicht." antwortete die Herrin.
"Dann schreibe ich es dir noch einmal ordentlicher ab."
Der Schreiber tat wie versprochen und half
der Herrin dabei, den Satz zu lesen. Mein
nachfolgender Versuch, die Herrin zu überzeugen, daß sie Zadek die Teilnahme am Unterricht erlaubte, war vom Erfolg gekrönt, obgleich es mich heute noch wundert, wie sie es
geschafft haben, mich zu verstehen, obwohl
mir bei den nächsten Sätzen die meisten Buchstaben, die ich gebraucht hätte, um etwas
Sinnvolles zu schreiben einfach nicht eingefallen sind. Unaufgefordert schenkte mir die Herrin ihre Tafel, damit ich immer etwas zu
schreiben hatte.
Koris war der nächste, an dem ich meine neuerworbene Fähigkeit erprobte. Er hatte, als
der Herr ihm zum Offizier ernannt hatte, auf
Befehl des Herrn lesen und schreiben gelernt,
so daß er mich verstehen konnte. Und Gründe,
mit ihm zu reden, hatte ich schon wegen meiner Arbeit genug. Abgesehen davon war er
auch einer der Menschen, die ich wirklich
mochte. Bei Abendessen setzte ich mich wie
meist neben ihn, doch diesmal holte ich meine
Schreibtafel heraus und beantwortete seine
Fragen schriftlich.
"Du erstaunst mich immer wieder, Kanto. Wie
hast du es geschafft, in so kurzer Zeit
schreiben zu lernen? Ich habe drei Jahre gebraucht, bis ich es einigermaßen konnte." meinte er.
"Du kannst sprechen. Du hattest keinen Grund, es wirklich zu wollen." antwortete ich ihm schriftlich.
Er sah plötzlich sehr traurig aus.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5,
34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615,
Internetseite: https://www.kersti.de/,
Kersti_@gmx.de
Da ich es leider nie schaffe, alle Mails zu beantworten, schon mal
im voraus vielen Dank für all die netten Mails, die ich von
Lesern immer bekomme.
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