erste Version: 12/2018
letzte Bearbeitung: 1/2019

Chronik des Aufstiegs: Die Pforten der Hölle - Die Beschützer der Menschheit vor den Geistern der Verzweiflung

F1148.

Ich dachte mir, daß Miriam ganz schön wahnsinnig sein mußte, wenn sie nicht merkte, daß hier ganz extreme Maßnahmen ergriffen worden waren, um das Überleben der Gruppe zu gewährleisten, die für die Leute, die da so schnell bevördert worden waren, schädlich waren

Vorgeschichte: F1147. Rios: "Eine solche Schulleiterin entläßt man." sagte Khar.

Khar erzählt:
Ich redete zuerst mit Ehon darüber, daß die ganzen Mitglieder des Rates sich völlig unvernünftig verhalten hatten und über die Schulleiterin Miriam hergefallen waren, als wollten sie sie gleich fressen. Sie war für mich ein Problem gewesen, aber kein so großes Problem, daß ich so hätte reagieren müssen, können oder wollen. Ehon stimmte mir zu. Sie war ein Problem, aber kein so großes Problem. Außerdem hatte ich den Satz mit dem entlassen eigentlich nur ausgesprochen, weil ich dachte, daß er von irgendwem ausgesprochen werden muß und daß das doch bestimmt nicht so umgesetzt wird, wie ausgerechnet ich das sage. Daß sie sich dann verhalten, als wollten sie Miriam in der Luft zerreißen, damit hätte ich nie gerechnet. Und ich war einerseits durchaus zufrieden, daß sie nicht mehr Schulleiterin war, andererseits dachte ich, daß da noch nicht alles bedacht und geregelt war, was man hätte bedenken und regeln müssen, weil sie wirklich nur überlegt haben, wie man Miriam möglichst weit von der Schule fernhalten kann.

Ich ging dann in die Schule, um zu sehen wie die Maßnahme angekommen war. Es war wie ich gedacht hatte. Einige der Hochbegabten sagten mir daß sie richtig froh waren, daß Miriam weg war, aber mich sprachen auch zehn andere Kinder an, die fragten, warum Miriam denn keine Vorleserunden mehr machte. Ich sagte jedem der Kinder, daß es ja gar nicht darum gegangen sei, ihr das Vorlesen zu verbieten oder den Kindern zu verbieten zu Miriam zu kommen. Es gäbe ja in der Nähe von Miriams Wohnung einen Konferenzraum, in dem man Vorleserunden machen könnte, sie sollten Miriam einfach fragen ob sie da welche macht und nicht verraten, daß ich das gesagt habe.

Ehe ich mit der Runde fertig war, kam Anna zu mir und machte denselben Vorschlag. Ich sagte, daß das natürlich so OK sei, der Vorschlag müsse aber von Miriam selbst kommen. Außerdem fragte sie mich, was eigentlich bei der Sitzung passiert war, daß Miriam so völlig aufgelöst zurückgekommen war. Ich erzählte ihr, daß Miriam mir vorgeworfen hatte, ich würde Tharons Krankheit ausnutzen, um ihn von seinem Posten zu verdrängen.
"Ich verstehe gar nicht, wie sie auf den absurden Gedanken gekommen ist. Erstens bin ich doch viel zu jung für diesen Posten und zweitens hat mich Tharon doch selbst mit in die Sitzungen genommen und er fand daß das mit dem zu jung kein Grund ist, nicht mitzukommen." sagte ich.
"Jeder weiß, daß Tharon will, daß du sein Nachfolger wirst. Auch Miriam weiß das. Sie hat immer schon behauptet, du würdest dich bei ihm einschmeicheln, um irgendwelche Vorteile zu erlangen, von denen jeder mit ein bißchen Ahnung von Pädagogik wissen sollte, daß ein Kind in dem Alter, in dem du jeweils warst, so etwas höchstens spielt, aber niemals im Ernst anstrebt, weil es in der Persönlichkeitsentwicklung noch nicht weit genug ist. Ich weiß nicht, warum man ihr das nicht erklären konnte."
"Ja - aber nachdem Miriam das gesagt hat, sind sie alle völlig durchgedreht. So richtig. Ich dachte sie verarbeiten Miriam zu Hackfleisch, wenn ich nichts mache. Also habe ich 'Ruhe!' gebrüllt und alle haben darauf gehört außer Miriam, die sich jetzt darüber aufregte, daß ich Ruhe gebrüllt hatte. Dabei hatte ich mir Sorgen um sie gemacht."
Ich erzählte ihr auch von meinem Gespräch mit Ehon und daß wir zu dem Schluß gekommen waren, daß es zu den Zeiten als Tharon ein Kind gewesen war, viel schlimmer mit Miriam gewesen sein mußte. Ob sie wüßte, was da los war.
"Das weiß ich auch nicht. Da habe ich noch nicht gelebt. Da mußt du jemanden fragen, der älter als Tharon ist." meinte sie.

In der Altersgruppe kannte ich nur Khiris. Ich ging also zu ihm hin, erzählte ihm die Geschichte und fragte ihn, was damals losgewesen ist.
"Damals waren wir auf der Flucht. Alle, die alt genug waren, um bei den absolut überlebensnotwendigen Arbeiten mit anzupacken, mußten dabei helfen. Und Miriam hatte eine Beinverletzung und sollte deshalb auf die kleinen Kinder aufpassen, damit ihnen nichts passiert. Wahrscheinlich war sie überfordert und wegen der Schmerzen gereizt." meinte Khiris.
Aus meiner Sicht war das keine Erklärung. Ich ging also zu Rios, erzählte was mich so irritiert hatte und fragte ihn, was da eigentlich los war.
"Wenn sie einfach nur gereizt gewesen wäre, wäre das kein Problem gewesen. Das hätten wir verstanden. Aber sie war richtig gemein. Beispielsweise sind zu der Zeit beide Eltern von Tharon zu Tode gefoltert worden. Miriam hat ihm unterstellt er wäre froh, daß so viele der Erwachsenen weg sind, weil er dann ja schnell in der Hierarchie aufsteigen könnte."
"Und wie kommt sie auf dermaßen absurde Gedanken? Tharon war damals noch ein richtig kleines Kind, da fühlt man sich wie ein aus dem Nest geworfener Vogel, wenn man schnell aufsteigt, weil alle einen unbedingt brauchen und sonst gar nichts!" sagte ich. Schließlich wußte ich sehr genau, wie man sich fühlt - und ich war einige Jahre älter gewesen.
"Na eben! Mein Vater hat mir später gesagt, daß er versucht hat, ihr das zu erklären, sie hat dann aber behauptet, daran wie viel Tharon liest könnte man doch ganz deutlich sehen, was er für ein Streber wäre."
"Was für ein Schwachsinn, man liest doch, weil lesen Spaß macht und wer wirklich viel liest bekommt sowieso immer gemeckert, weil er liest, wenn man eigentlich was anderes machen soll. Damit kann man doch gar keine zusätzlichen Blumentöpfe gewinnen. Außerdem hat man dann eher das Problem, daß man sich zu viel Arbeit mit allem macht und deshalb gar nicht so schnell mit allem vorankommt, wie man könnte, wenn man wirklich das wollte. Also ich müßte weniger lesen und mehr Prüfungsarbeiten schreiben, wenn ich möglichst schnell bevördert werden wollte." sagte ich.
"Na, aber noch schneller kann dich hier niemand bevördern!" meinte Anna.
"Das ist auch wieder wahr. Trotzdem ist beliebig viel lesen keine effiziente Taktik, um bevördert zu werden. Ich mache das, weil ich sonst so ein Gefühl habe, als würde ich verhungern, wenn ich zu wenig lese." sagte ich.
"Ich doch auch. Aber ich glaube, daß die meisten Leute sich gar nicht vorstellen können, daß das Wort Lesehunger bei manchen Menschen so wörtlich zu nehmen ist."

Etwas nach diesem Gespräch wurde mir klar, daß der Vorwurf den Miriam dem Kind Tharon gemacht hatte, keinen Sinn ergab, außer er war wirklich sehr schnell bevördert worden. Ich fragte Khiris ob das denn der Fall war.
"Tharon hat auf der Flucht jeweils vier Stunden am Stück magische Wache gehalten, weil er einer der wenigen war, die ausreichend Macht hatten, um uns alle zu verteidigen. Er hat dann natürlich auch offiziell den entsprechenden magischen Rang erhalten, damit man ihn ausreichend für seine Arbeit freistellen konnte." antwortete Khiris.
Ich war entsetzt bei dieser Vorstellung, auch weil vier Stunden einfach zu lange war und man deshalb aus Müdigkeit Fehler macht. Selbst für einen Erwachsenen war das zu lange.
"Meine Güte. Ist er verletzt worden?" erkundigte ich mich.
Khiris Gesichtsausdruck wurde viel düsterer.
"Ja. Ich werde niemals diesen markerschütternden Schrei vergessen, der aus dem Wagen kam, wo er magische Wache hielt. Ich bin sofort zu ihm hin und hatte ihn in den Armen gehalten, als er dann bitterlich geweint hat. Nur Sekunden später war dan Thar da, der damals unser Anführer war und sagte: 'Khiris, ich gebe dir jetzt eine Einweihung, für die es zu früh ist.' was er gemacht hat." ein humorvolles Grinsen erschien auf seinem Gesicht, "An den Rest der Reise kann ich mich nicht erinnern, weil ich durch die Einweihung völlig weggeschossen war. Aber dann war ich halt mächtig genug, um Tharons Wache zu übernehmen, was ich dann einfach getan habe, weil sie mich im Feinstofflichen darum gebeten haben. Ich selber war in seeligen Gefilden. Die Einweihung habe ich so wahrgenommen, daß plötzlich ein riesiges Wesen vor mir stand, das mir wie Gott vorkam und unfaßlich liebevoll war. Es fand mich auch sehr niedlich und hat mich gedrückt und geknuddelt. Dann hat es mich gefragt, ob ich mit ihm eins werden wollte, was ich natürlich wollte. Ich kam erst Monate später hier in diesem Ordensgebäude in einem der Käfige wieder zu mir. Ich habe dann nachgefragt, was irdisch inzwischen geschehen ist und sie haben mir erzählt, daß sie mich unterwegs gefesselt haben, damit ich nichts Gefährliches tue, weil ich immer nur von Licht und Liebe erzählt und die Erde mit der Geistigen Welt verwechselt habe. Danach war ich ein völlig veränderter Mensch und habe so einiges verstanden, was mir bis dahin immer ein Buch mit sieben Siegeln gewesen war." erzählte er.

Ich hörte mir das an und dachte mir, daß Miriam ganz schön wahnsinnig sein mußte, wenn sie nicht merkte, daß hier ganz extreme Maßnahmen ergriffen worden waren, um das Überleben - oder richtiger das Seelenheil - der Gruppe zu gewährleisten, die für die Leute, die da so schnell bevördert worden waren schädlich waren. Jeder vernünftige Mensch wäre froh gewesen, wenn so etwas an ihm vorübergeht, ohne daß er auch solche Leistungen erbringen muß. Offensichtlich war es den anderen gelungen Tharon zu heilen, aber so etwas will doch niemand einem Kind zumuten, wenn es sich irgendwie vermeiden läßt. Ich jedenfalls war nicht an der magischen Wache hier beteiligt worden, weil ich ein Kind war und weil einige der Wächter in den letzten Jahren durch Angriffe verletzt worden waren. So weit ich weiß, waren das alles heilbare Sachen gewesen, aber Kinder läßt man normalerweise keine Wache halten, damit ihnen so etwas nicht passiert. Auch Khiris Einweihung war ein Ding. Er beschwerte sich nicht darüber, weil er wußte, warum es notwendig gewesen war, aber es will doch niemand monatelang dem Wahnsinn verfallen, wenn er dasselbe stattdessen so langsam hätte haben können, daß er seinen Alltag noch bewältigt bekommt. Und Miriam war neidisch auf so etwas? Unfaßbar!

Abgesehen davon hatte sie als Schulleiterin ja auch einen Rang gehabt, für den sie nicht qualifiziert war. Wer Schulleiter sein will, muß solche Themen aufgearbeitet haben, damit er den Kindern, für die er zuständig ist, nicht schadet.

Kersti

Fortsetzung:
F1149. Khar: Als ich in den Raum kam, bettelte Miriam mich an, sie nicht in die Häckselmaschine zu werfen, sie würde auch hart arbeiten, um die Prüfungen zu bestehen