erste Version: 10/2018
letzte Bearbeitung: 10/2018

Chronik des Aufstiegs: Weimarer Republik und Drittes Reich - Die Pforten der Hölle - Aufstieg aus der Hölle

F1155.

Da er nicht begriffen hatte, daß das beißen ein zentrales Problem war, das andere mit ihm hatten, entschieden wir, daß jeder der gebissen wurde, sofort rausgehen und bis zehn zählen würde

Vorgeschichte: F1154. Karon: "Keks Zwergenbrot." sagte er und lächelte

Der Schwarze Ritter Karon erzählt:
Ich hatte natürlich direkt nachdem ich zuhause angekommen war, Bericht erstattet und auch erzählt, wie furchtbar die Zustände im Kinderheim waren. Der Ordensführer hatte mir zugestimmt, daß man da etwas unternehmen mußte. Für eine Übergangszeit, bis die Beschwerden bei den Aufsichtsbehörden griffen, ließen wir ihnen von unserem Spendenbudget täglich grobes Mehl in einer Menge liefern, die den Grundbedarf an Nahrung decken würde.

Als ich am zweiten Tag in den Raum des Jungen kam, war alles voller kleiner Dämonen. Als ich mich erstaunt umsah, meinte er:
"Sieben Zwerge!"
"Das sind aber deutlich mehr als sieben!" sagte ich.
"Ich weiß. Das Zimmer ist groß genug für alle, deshalb habe ich die anderen auch noch zum spielen gerufen." antwortete er.
Er konnte also nicht nur in halben Sätzen sprechen.
Ich gab ihm einen Apfel und zwei Nüsse, die er sofort im Schrank versteckte. Dann begann er den Apfel zu essen. Wir gaben ihm über den Tag verteilt viele sehr kleine Malzeiten, damit sein Verdauungssystem sich an die plötzlich gestiegene Nahrungsmenge gewöhnen konnte, ohne überfordert zu sein.

Danach sah ich mir mit ihm Bilderbücher an und redete über den Inhalt. Verblüffend fand ich, daß er einerseits für viele Dinge in der Natur sehr differenzierte Bezeichnungen kannte, gleich ob es sich um Tiere, Pflanzen oder unbelebte Gegenstände handelte. Er ordnete dem Rotkehlchen und anderen Vögeln die richtigen Eier zu, kannte die Namen verschiedener Schmetterlinge und erklärte zu allem, daß man es essen kann. Er meinte daß er oft Raupen, Schnecken und Regenwürmer gegessen hätte. Außerdem wußte er von diversen Heilkräutern wozu man sie verwendet. Seine Vorstellungen von Häusern und technischen Geräten waren weitaus undifferenzierter, beispielsweise nannte er alle Häuser mit mehreren Zimmern Schloß. Die abwertende Konnotation der Bezeichnung Monster war ihm völlig entgangen und was aber die Begriffe brav und ungezogen bedeuteten, schien ihm ein Buch mit sieben Siegeln.

Die erste Konferenz, bei der Khiris, so hieß der Junge, Thema war, war nachdem jeder Ritter ihn einmal gesehen hatte. Er hatte tatsächlich mit jedem Ritter geredet und seine Sprache wirkte auch fast altergemäß, was einigermaßen verwunderlich war, wenn man überlegte, wie er aufgewachsen war. Warum sie im Kinderheim der Ansicht gewesen waren, er könnte nicht sprechen, war uns unklar. Was er erzählte, würde jeden, der Dämonen nicht kannte, befremden. Er hatte auch öfter gebissen und nach dem was wir beobachtet hatten, bewirkte schimpfen oder ein Klaps nichts bei dem Jungen. Wenn man aber kurz vor die Tür ging, dort bis zehn zählte und dann wieder hereinkam, war das eine wirksame Strafe. Er faßte das als Liebesentzug auf und reagierte darauf mit Verhaltensänderung. Tatsächlich reichte es sogar, wenn man sich wegdrehte und drei Sekunden die Wand musterte. Längeres Rausgehen löste bei ihm große Angst aus. Er war nur dann richtig zufrieden, wenn ein Ritter anwesend war, reagierte aber auf alle Erwachsenen gleichermaßen positiv.

Wir wußten also, wo wir ansetzen mußten, wenn wir ihn erziehen wollten.

Da er nicht begriffen hatte, daß das beißen ein zentrales Problem war, das andere mit ihm hatten, entschieden wir, daß jeder der gebissen wurde, sofort rausgehen und bis zehn zählen würde. Bei so etwas ist es wichtig, sofort zu reagieren und nicht erst nach Minuten mit der Strafe zu kommen, damit er den Zusammenhang herstellen kann. Schließlich mußten wir ihm das möglichst schnell abgewöhnen, damit wir ihn zu den anderen Kindern lassen konnten.

Seine Sieben-Zwerge-Geister waren so nah mit ihm verwandt, daß er sie nach und nach in seine Persönlichkeit integrierte, während wir mit ihm über sein bisheriges Leben redeten. Außerdem war er offensichtlich sehr hellsichtig, denn er konnte anwesende Geister genauer beschreiben als ich.

Kersti

Fortsetzung:
F1156. Khiris: Erst als ich Jahre später mit einem meiner damaligen Betreuer darüber redete, begriff ich, daß mein Beißen eines der größten Probleme gewesen war, warum sie mich zuerst nicht rausgelassen hatten