erste Version: 1/2019
letzte Bearbeitung: 1/2019

Chronik des Aufstiegs: Die Pforten der Hölle - Die Beschützer der Menschheit vor den Geistern der Verzweiflung

F1190.

Miriam wurde im Garten gefunden, wo sie sich unter einem Busch versteckt hatte, damit die Leute sie nicht finden und in das Häckselgerät im Stall stecken

Vorgeschichte: F1149. Khar: Als ich in den Raum kam, bettelte Miriam mich an, sie nicht in die Häckselmaschine zu werfen, sie würde auch hart arbeiten, um die Prüfungen zu bestehen

Rios erzählt:
Nachdem wir Miriam abgesetzt hatten, fragte ich mich, warum wir das eigentlich nicht schon vor Jahren gemacht hatten. Zwei Tage später wurde mir klar, daß wir darauf wohl noch nicht gekommen waren, weil uns unbewußt klar gewesen war, wie verletzlich sie psychisch war und daß sie so etwas nicht verkraftet hätte. Miriam wurde im Garten gefunden, wo sie sich unter einem Busch versteckt hatte, damit die Leute sie nicht finden und in das Häckselgerät im Stall stecken. Als wenn man damit was anderes als Heu oder Stroh zerkleinern könnte!

Khar alleine zu Miriam zu schicken war genauso eine Verlegenheitslösung, wie die, ihm eine eigene Schicht bei Darion zuzuteilen, als er erst elf war. Wie alle Kinder in unserem Orden hatte er von klein auf regelmäßig Therapiesitzungen bekommen, weil wir sichergehen wollten, daß keines unserer Kinder irgendwelche leicht behandelbaren Probleme bekommt. Er hatte diese genutzt, um zunehmend tiefergehend an Reinkarnationserinnerungen aufzuarbeiten, beginnend mit seinem vorherigen Leben, in dem er zu Tode gefoltert worden war. Daher kannte er die verschiedenen Aufarbeitungsmethoden aus der Patientenperspektive, hatte aber natürlich keine Erfahrung mit so schwerwiegenden Fällen wie Miriam gemacht, weil er selbst ja immer psychisch gesund gewesen war. Er hatte aber noch keine Ausbildung als Therapeut, da er, als Darion zurück kam, noch so jung gewesen war, daß ihm für so etwas noch die emotionale Reife fehlte und wir ihn seither immer da eingesetzt hatten, wo es ein Loch in unserer Personaldecke zu stopfen gab, was wir anders nicht stopfen konnten.

Wir hatten diese Regelung, daß Tharon mit ihm frühstückte und ich mit ihm zu Abend aß eingeführt, weil wir uns Sorgen gemacht hatten, daß wir ihn damit überfordern. Natürlich war das, was wir ihm an Arbeit zugemutet haben, mehr Arbeit als man einem Kind normalerweise zumuten will. Das war aber nicht unsere Hauptsorge gewesen, denn sofern keine körperliche oder psychische Überforderung da ist, kommen Kinder mit viel Arbeit durchaus klar, ohne Schaden zu nehmen. Abgesehen davon betraf das sowieso alle Kinder im Haus, nur die Aufgaben, die wir den anderen zugeteilt hatten, waren andere, kindgerechtere. Was wir Khar haben machen lassen waren Aufgaben, für die wir keinen Erwachsenen hatten, der sie bewältigt hätte, wenn man sie ihm zugeteilt hätte. Khar hatte diese Aufgaben im allgemeinen so perfekt erfüllt, als hätte er das schon seit Jahren gemacht. Als Tharon nicht ansprechbar war, hatte Khar sehr entwurzelt gewirkt. Offensichtlich war ich nicht in der Lage, ihm die Geborgenheit zu geben, die er brauchte, egal welche Mühe ich mir gab und daß er mit Michaela immer noch ein Problem hatte, obwohl sie nichts tat, was dieses Problem verursachen könnte, machte es nicht besser. Die beiden gingen immer sehr höflich und rücksichtsvoll miteinander um, aber es wirkte einfach nicht einmal annähernd wie eine Mutter-Kind-Beziehung. Sobald Tharon wieder wach war, wirkte Khar sofort viel ausgeglichener und glücklicher und von da ab war das einzige Anzeichen, daß er da ein Problem haben könnte, daß er konstant verdrängte, wie wichtig die Arbeit, die er für den Orden tat, tatsächlich war. Ich habe mich darüber mit Tharon unterhalten und wir sind zu dem Schluß gekommen, daß er das Gefühl brauchte, daß die Erwachsenen alles im Griff haben und daß er ihnen nur hilft und daß diese Verdrängung wahrscheinlich tatsächlich ausreichte, um sein Geborgenheitsproblem zu lösen.

Jetzt war er fünfzehn und daher alt genug, um die emotionale Reife zu haben und da wir Miriam in dem Zustand, in dem sie war, keine fünf Minuten allein lassen konnten, fehlte es uns mal wieder an Therapeuten. Daß Khiris damals bei Mirko eingesetzt worden war, war auch so eine Verlegenheitslösung gewesen, denn er hätte ganz bestimmt nicht die Zulassung für eine Therapeutenausbildung bekommen. Das einzig wirklich erstaunliche an dem Ausgang der Geschichte ist, daß Mirko jetzt so große Stücke auf Khiris als Therapeuten hält und sich jederzeit wieder durch ihn würde therapieren lassen. Darüber wundere ich mich immer noch. Mirko schien irgendwie auch einens sehr positiven Einfluß auf Khiris Persönlichkeit gehabt zu haben, jedenfalls habe ich bei ihm, seit er mit Mirko zu tun hatte, weitaus weniger soziale Ungeschicklichkeiten beobachten können. Mit Khar lagen die Dinge anders. Ihm fehlte lediglich die formale Ausbildung. Da er jetzt alt genug war, um wie ein Erwachsener fühlen und denken zu können, würde er wahrscheinlich alles Wesentliche richtig machen.

Wir schickten Khar also mit einem wesentlich besseren Gefühl zu Miriam, als wir damals Khiris zu Mirko geschickt hatten.

Am Abend fragte ich ihn, wie es gelaufen war und er gab mir darauf mit einer Selbstverständlichkeit und Selbstsicherheit eine therapeutische Einschätzung, die von einem sehr erfahrenen Therapeuten hätte stammen können, die mich erstaunte. Er redete, als hätte er nie etwas anderes gemacht, als Leute zu therapieren, dabei war das in diesem Leben nun wirklich sein erster Versuch als Therapeut. Ich fragte nach genaueren Einzelheiten und kam zu dem Schluß, daß er seine Sache sehr gut gemacht hatte und ich, wenn ich dasselbe beobachtet hätte, zu ungefähr derselben Einschätzung gekommen wäre wie er.

Khar ist schon ein Phänomen.

Kersti

Fortsetzung:
F1191. Khar: Ich ging zur Wachkanzel und setze mich dorthin. Das war nämlich mein Platz, da ich im Augenblick die Kuppel aufrecht erhielt, die den Orden schützte