erste Version: 1/2019
letzte Bearbeitung: 1/2019

Chronik des Aufstiegs: Die Pforten der Hölle - Die Beschützer der Menschheit vor den Geistern der Verzeiflung

F1199.

"Und der Junge ist ein Heiliger." sagte sie in einem verehrenden Tonfall, den ich gar nicht von ihr kannte

Vorgeschichte: F1198. Riko: Als die Flüchtlinge am Abend bei uns eintrafen und ich ihre Unterbringung organisierte, war ich schockiert zu sehen, daß das alles nur Kinder waren

Riko erzählt:
Khar ging zuerst in die Krankenstation und behauptete, er müßte sich um einige Leute persönlich kümmern. Ich dachte, er gibt an. Er ging ohne zu zögern oder nach dem Weg zu fragen direkt zu dem Raum, in dem der schwer verletzte Stellvertreter von Tharon - Rios - lag und meines Wissens noch nicht wieder zu sich gekommen war. Auf dem Weg dahin erklärte er, daß er sich kurz in der Kapelle versenken und dann ins Krankenzimmer gehen würde, um zu sehen, was er tun kann. Er wüßte nicht, ob es mir schnell genug gelingen würde, mich ausreichend tief zu versenken, daß die Wache mich einläßt, aber ich müßte unbedingt darauf hören, wenn ich nicht eingelassen werde, da Rios im Augenblick wegen der feinstofflichen Verletzungen sehr empfindlich auf energetische Schwankungen reagieren würde. Natürlich war das genau die Anweisung, die ich, als ich mich am Vortag erkundigt hatte, wie es den Verletzten geht, in Bezug auf alle durch den magischen Angriff schwer Verletzten bekommen hatte. Aber ich war doch ziemlich verblüfft, mit welcher Selbstverständlichkeit der Junge solche Anweisungen gab und davon ausging, daß man ihm auch gehorcht. Wenn ich mich nicht lächerlich machen wollte, konnte ich natürlich nur gehorchen, schließlich war das nunmal eine notwendige Standartanweisung, die man zur Sicherheit jedem noch einmal sagt, denn wenn einmal jemand dabei einen Fehler macht, ist es schlimmer als wenn man das hundert mal unnötig gesagt hat.

Der Junge versenkte sich fünf Minuten, was beeindruckend war, denn ich hatte nur vom danebensitzen das Gefühl, in eine Insel des Friedens einzutauchen. Dann stand er auf, ging zur Tür des Krankenzimmers und wurde anstandslos eingelassen. Ich brauchte es gar nicht zu versuchen. Ich brauchte mindestens eine halbe Stunde um mich tief genug zu versenken. Dann kam eine junge Frau aus dem Krankenzimmer in die Kapelle, setzte sich hin und brach in Tränen aus. Ich fragte sie was los war, aber das war vergebene Liebesmüh, denn sie war überhaupt nicht mehr ansprechbar. Also versuchte ich einfach nur da zu sein. Sie beruhigte sich auch nicht wieder sondern weinte die gesamte Zeit, bis Khar wieder herauskam.

Der warf einen Blick auf die Heilerin, meinte:
"So können wir dich aber nicht wieder reinschicken", woraufhin sie anfing, sich zu entschuldigen.
"So meinte ich das nicht. Wenn du beim Verlassen des Krankenzimmers sofort, sobald du dich entspannen kannst, in Tränen ausbrichst, warst du die ganze Zeit schon massiv überfordert. Du brauchst eine ausreichende Pause." meinte Khar, sah einen Augenblick in die Luft und fragte mich, ob ich mich kurz vor die Tür stellen und niemanden reinlassen könnte, bis er mit einer geeigneten Ablösung zurückkäme, dann könnte er die jetzige Türhüterin kurz reinschicken damit sie bis zu seiner Rückkehr aufpaßt.
Ich versprach ihm das. Kaum war er weg, wurde mir bewußt, daß ich ihm schon wieder wie selbstverständlich gehorcht hatte - und das natürlich wieder aus dem Grund, das seine Anweisungen so kompetent und angemessen waren, daß jeder, der dazu nein gesagt hätte, sich lächerlich gemacht hätte.

Er war auch nach wenigen Sekunden mit der Ablösung wieder da, ging dann zusammen mit uns zu Jana, der Leitung der Krankenstation und sagte ihr daß die Heilerin mindestens 24 Stunden Pause bräuchte und daß sie sich überlegen solle, die Wachzeiten der Heiler bei den schwersten Fällen auf die Hälfte zu verkürzen, wenn das irgendwie machbar ist, weil bisher jeder der Heiler durch die Schwere der Verletzungen überfordert gewirkt hätte.
"Ich hatte aber vor ihr mindestens 48 Stunden Pause zu verordnen." sagte sie in einem spitzen Ton, der einer pubertierenden Jugendlichen gut angestanden hätte.
Khar meinte, er hätte auch nur sicherstellen wollen, daß sie nicht zu wenig Pausen bekommt. Er sei es einfach nicht gewöhnt, daß man Menschen so viel Pausen zugestehen könne, wie man gerne würde.
"Und wenn ihr Kinder ein bis zwei Stunden Wache bei Verletzten durchhalten könnt, dann sollten das gestandene erwachsene Schwestern doch wohl auch können."
"Gute Frau, bei solchen Dingen richtet man sich nicht danach, was Leute können sollten, sondern danach, was sie tatsächlich gerade können. Andernfalls treibt man Menschen in den Wahnsinn." wies er sie zurecht.
"Ach und ein fünzehnjähriger Junge weiß darüber besser bescheid als ich?" fragte sie spöttisch von oben herab.
"Ja, Madam. Ich hatte die letzten Jahre mit Menschen zu tun, die gefoltert worden sind, mit schwer verletzten Menschen. Ich selber bin durch einen Exorzismus in die Höllen geworfen worden. Ich habe an der magischen Verteidigung unseres Ordens vor einem Angriff mitgewirkt, bei der die Mehrheit unserer Magier verletzt wurden. Ich weiß nicht, wie viel Erfahrung sie mit solchen Dingen haben. Ich kann mich irren, aber ich gehe tatsächlich davon aus, daß ich, was dieses spezielle Thema angeht, erfahrener bin als sie." gab er zurück, "Abgesehen davon habe ich für solche Diskussionen keine Zeit. Ich muß mich noch um andere Kranke kümmern."
Er warf mir, als er sich umdrehte einen fragenden Blick zu und ich meinte mit einem angedeuten Kopfschütteln, ich müßte mich langsam um meine eigene Arbeit kümmern. Er lächelte mich an, verabschiedete sich freundlich und ging. Ich hatte den Verdacht, daß er sehr genau wußte, was ich vorhatte.

Ich fragte die junge Frau, die als Heilerin im Krankenzimmer gewesen war, ob die Jugendlichen denn Probleme gemacht hätten.
"Nein gar nicht. Und der Junge ist ein Heiliger." sagte sie in einem verehrenden Tonfall, den ich gar nicht von ihr kannte.
Ich fragte sie, was sie damit meinte.
"Gestern Mittag haben die Krämpfe sofort aufgehört, nachdem Khar da war. Bei seinem Besuch am Abend hat sein Kreislauf endlich aufgehört verrückt zu spielen und meine Kollegin hat gesagt, daß Rios heute sogar aufgewacht ist und kurz mit Khar gesprochen hat." antwortete sie.
Ich war verblüfft und schockiert, daß er irgendwie noch Zeit gefunden hatte, bei den Verletzten vorbeizuschauen. Wie hatte er das geschafft? Er hatte doch vom Frühstück bis in die den späten Abendstunden eine Konferenz geleitet, bei der es ausnahmsweise nicht nur ein paar Informationen darüber auszutauschen gab, wie alles seinen geordneten Gang läuft, sondern in der alles neu geordnet werden mußte. Danach mußte er doch eigentlich totmüde ins Bett gefallen sein, da er ja offensichtlich seine Zeit nicht nur passiv abgesessen hatte. Da war doch gar keine freie Zeit gewesen, in der er das hatte tun können, zumal der Junge in der Nacht davor ja auch nicht genug Schlaf bekommen haben konnte.

"Ich möchte wirklich mal wissen, was dieser Jugendliche glaubt, was er ist!" sagte die leitende Schwester Jana in einem gehässigen Ton.
"Ich weiß selbstverständlich nicht, was der Junge denkt, wer er ist. Was ich aber weiß ist, daß Tharon ihm die Leitung seiner Leute übertragen hat, bis er oder Rios wieder gesund genug sind, um diese Stelle selbst einzunehmen. Er hat das in der Form getan, daß Khar für jede Entscheidung seines Kapitels die Verantwortung trägt und bei jeder Frage konsultiert werden kann und daß seine Entscheidungen auch nicht als vorläufig sondern als endgültig gelten. Khar ist jetzt in diesem Augenblick Leiter des Kapitels und jede Person seines eigenen Kapitels befolgt seine Anweisungen mit derselben Selbstverständlichkeit, wie er die Tharons oder Rios Anweisungen befolgt hätte. Jede Anweisung die ich bisher von ihm gehört habe war auch so vernünftig, daß ich sie befolge, wenn ich sie bekomme, weil ich mich schlicht lächerlich gemacht hätte, wenn ich es nicht getan hätte. Hier in diesen Räumen ist dieser Jugendliche der Befehlshaber und wenn er Anweisungen gibt, werden sie diese respektieren, wie sie meine Anweisungen respektieren würden, ist das klar?" fragte ich.
Die gestandene Dame setzte wieder eine bockige Miene auf, wie sie vielleicht einer Vierzehnjährigen gut angestanden hätte, die gerade beleidigt ist, weil man sie noch nicht für eine Erwachsene hält. In der realen Situation und in Anbetracht der Aufgabe, die ich ihr zugeteilt hatte, war Janas Verhalten grotesk unangemessen. Schließlich hatte ich sie hier eingesetzt, weil ich wußte, daß sie, wenn es not tat, eine solche Abteilung leiten konnte, doch ihre Aufgabe war eben nicht, diese Abteilung zu leiten, sondern den Kindern beizubringen, wie man eine solche Abteilung leitet, indem sie sie das selbst machen läßt und nur wenn sie echte Fehler sieht, hilft, es besser zu machen. Sie war als Beraterin eingesetzt nicht als Stationsleitung. Ich fragte mich daher, warum im Stationsraum keine Jugendliche gewesen war, die von ihr beraten wurde, sondern offensichtlich sie einfach die Leitung übernommen hatte und warum sie überhaupt nicht begriffen hatte, was eigentlich ihre Aufgabe war und daß sie ihre Aufgabe gerade gar nicht erfüllte.

Ich war zunächst ratlos und wandte mich an ihre reguläre Vorgesetzte, die sie sicherlich besser kannte, um das Problem mit ihr zu besprechen. Die sagte mir, daß ihr das Problem schon berichtet worden sei, aber man zunächst übereingekommen sei, sie überall da, wo ihr Fachwissen nicht ausreichte, schlichtweg zu umgehen, bis man etwas mehr Ruhe hätte, um sich richtig um das Problem zu kümmern.
"Wo reicht denn ihr Fachwissen nicht aus?" fragte ich verblüfft.
"Mit der Art von Schwarzer Magie, mit der sie zu tun bekommen haben, haben wir hier alle keine Erfahrung. Die Kinder wissen aber durchaus wie man das behandelt, da sie praktisch ihr ganzes Leben so angegriffen wurden." antwortete sie.
"Irgendwie kommt es mir respektlos vor, daß wir alle sie nur 'die Kinder' nennen." sagte ich.
"Eigentlich nicht. Normalerweise würden wir Menschen in dem Alter Jugendliche oder junge Herren oder Damen nennen. Indem wir sie 'die Kinder' nennen betonen wir, wie sehr es uns irritiert, daß sie für ihr Alter so außergewöhnlich kompetent sind." antwortete sie.
Damit hatte sie natürlich recht. Genau das war der Grund, warum ich ständig "die Kinder" dachte.

Kersti

Fortsetzung:
F1200. Khar: Riko zu erklären, wie man so etwas behandelt und wo es herkommt, war natürlich schwieriger, denn ihm fehlte dazu eine ganze Menge Grundlagenwissen sowohl über spirituelle Dinge als auch über Psychologie und erst recht wo beides zusammenkam