erste Version: 2/2019
letzte Bearbeitung: 7/2019

Chronik des Aufstiegs: Die Pforten der Hölle - Der im Nachtmeer wohnt

F1232.

Ich kam zu dem Schluß, daß Mirko eine große Seele in einem Körper war, durch den sie sich nicht richtig ausdrücken konnte

Vorgeschichte: F1188. Mirko: Ich verstand das nicht. Was fanden die ganzen Überfliegertypen an mir?

Takumondo, der buddhistische Mönch erzählt:
Khar stellte mich Mirko vor und sagte ihm, er hätte mit mir täglich zu reden, weil er mehr Zeit für so etwas hätte als Khar. Das mit dem mehr Zeit war natürlich ein Witz, denn Mirko kam erst einmal ins rotieren und überlegte hin und her, wie er mich denn noch in seinen überfüllten Alltag quetschen sollte und verfiel dann auf einen Gedanken, auf den man nur kommt, wenn man wirklich keine Zeit hat. Er schob nämlich drei notwendige Beschäftigungen auf einen einzigen Zeitpunkt - essen, seine Wache bei einem der Besessenen und das Gespräch mit mir. Es gab also jeden Mittag essen in dämonischer Gesellschaft und mit vielen herrlich absurden Situationen.

Das erste, was mir an Mirkos Persönlichkeit auffiel war sein wirklich gesundes Selbstvertrauen. Schon daß er wegen einer Querschittslähmung auf einen Rollstuhl angewiesen war, hätte den meisten Menschen viel Stoff für Minderwertigkeitskomplexe geboten. Mirko stand darüber und löste die mit der Behinderung verbundenen praktischen Probleme mit einer selbstverständlichen Beiläufigkeit, die mich staunen ließ. Er machte auch die üblichen Freizeitbeschäftigungen mit, wie wildeste Ausritte auf einer sehr feurigen Stute, die ihn sehr zu mögen schien.

Auf den ersten Blick wirkte Mirko eher einfach gestrickt. Er war in der Lage, die Anforderungen seines Berufes zu erfüllen, das aber nur knapp. Die weniger intelligenten seiner Kollegen hielten ihn schlicht für dumm, weil sie in den alltäglichen Dingen besser abschnitten. Gerade Leute wie Khar oder Tharon, die weitaus intelligenter waren als der Durchschnitt der Ordensleute, sahen das aber anders und waren der Ansicht, daß der schlichte Eindruck täuscht. Mirko selbst gehörte eher zu der Fraktion, die Mirko für dumm hält, aber ich konnte ihm da nicht so recht zustimmen. Es war nämlich so, daß Mirko regelmäßig zu richtigeren Schlüssen kam, als sich durch die Gedanken, die er in Worte fassen konnte, erklären ließ. Auch wenn er das, was er erkannte, nicht erklären konnte, mußten irgendwo die Gedanken stecken, die zu diesen Schlüssen führten.

Mirkos Problem muß irgend so etwas ähnliches sein wie das, was die Wanderarbeiter denken läßt, ich wäre dumm, wenn ich ungarisch rede. Er kann aus irgendeinem Grund Gedanken nicht richtig in Worte fassen und sie deshalb auch nicht über Sprache vermitteln. Und ebenso wie Khar bei mir sofort durchschaut hatte, daß die schlichte Sprache täuscht und daß ich eigentlich viel intelligenter bin, sah er auch bei Mirko, daß da mehr hinter der schlichten Fassade war.

Was mich dann mit der Zeit beeindruckte war, daß bei ihm nicht etwa gar nichts rauskam, sondern daß er die großen Wahrheiten, die die meisten Menschen gar nicht verstehen, mit ganz schlichten einfachen Worten ausdrücken konnte, so daß jeder sie verstehen kann.

Ich kam zu dem Schluß, daß da eine große Seele in einem Körper war, durch den sie sich nicht richtig ausdrücken konnte.

Kersti

Fortsetzung:
F1233. Khar: Mirko hat eine Verdrängung, massiv wie eine Burgmauer. Warum sonst nimmt er nicht zu Kenntnis, daß er dieselben Dinge erkennt, wie die Überfliegertypen
F1370. Takumondo: D