erste Version: 5/2019
letzte Bearbeitung: 5/2019

Chronik des Aufstiegs: Die Pforten der Hölle - Die Beschützer der Menschheit vor den Geistern der Verzweiflung

F1303.

Irgendwann wurde mir klar, daß die Jugendlichen von Erlebnissen redeten, die vor ihrer Geburt in Rußland oder Japan stattgefunden hatten, als wären sie dabei gewesen

Vorgeschichte: F1302. Khar: Die anderen hatten dem Arzt zwar durchaus gesagt, daß ich ebenfalls besessen war, das schien er aber nicht zu glauben, als ich mich ihm gegenüber völlig normal verhielt

Kalar, der Arzt des anderen Ordensstandortes erzählt:
Ich redete - wenn wir uns nicht um den Patienten kümmerten - fast die ganze Zeit mit Khar. Er hatte eine irgendwie sehr seltsame Diskussion mit Ehon darüber geführt, ob er den Käfig verlassen dürfte oder nicht. Seltsam, weil ich nicht verstanden habe, wovon die Argumente handelten. Khar stellte nämlich so Fragen wie ob Kanush Angst vor komischen Fragen hätte oder warum er sich sonst Sorgen machen würde, außerdem wären sie ja im Wagen sowieso unter sich.

Dann verließ Khar einfach den Käfig und setzte sich zu den anderen, die nur kurz aufblickten und dann mit dem weitermachten, was sie angefangen hatten.

Ich war neugierig und stellte ihm Fragen zu den Dämonen. Dann erzählte er mir eine Geschichte, die mich aus dem Grauen nicht mehr herauskommen ließ. Aber in einem ganz normalen Ton, als wäre so etwas alltäglich. Er lächelte und scherzte dabei auch mit den Jugendlichen, die mit uns im Wagen saßen.

Er war von den Gefährten Jesu zusammen mit zwei seiner Kindern gefangen genommen worden. Sie hatten ihn und die Kinder gefoltert und er konnte mir die Narben davon zeigen. Er war dann befreit worden - wobei ich nicht verstehe, wie sie das genau gemacht hatten, da wollte er aber auch nicht so recht mit der Sprache rausrücken. Dann war er jahrelang in den Höllen - sagte er. Die Jugendlichen meinten: "Da waren nur Dämonen." Seltsamerweise schien niemand von ihnen etwas gegen Dämonen zu haben. Stattdessen erzählten sie mir Beispiele für die merkwürdigsten Dämonensprüche, die ihnen so begegnet waren und sie redeten von einem Dirk, auf den immer alle Dämonen gehört hatten und von dem sie jetzt nicht wußten, ob er noch lebt. Sie fragte mich, ob denn das Pferd, auf dem er geritten war, zurückgekehrt war. Mir wurde plötzlich klar, daß Dirk der Jugendliche war, der mit Ehon zusammen bei uns zu Gast gewesen war und von dem wir immer noch nicht wußten, ob er sicher ans Ziel gelangt war oder ob ihm etwas Schlimmes zugestoßen war. Leider konnte ich ihm auch noch nicht mehr sagen, als sie bereits wußten.

Irgendwann wurde mir klar, daß die Jugendlichen von Erlebnissen redeten, die vor ihrer Geburt in Rußland oder Japan stattgefunden hatten, als wären sie dabei gewesen. Ich war irritiert und fragte nach. Sie sahen alle ziemlich ertappt aus, als hätten sie etwas gemacht, was sie nicht dürfen.
"Haben sie schon einmal von Reinkarnation gehört?" fragte Khar.
"Das ist doch diese neue ketzerische Ansicht, daß Menschen öfter geboren werden sollen?" fragte ich.
"Kirçi, du kennst Kalar doch aus deinem vorhergehenden Leben als Khiris. Erzähl ihm doch mal von eurer letzten Begegnung."
Der Junge sah mich an, wirkte amusiert und überlegte wohl erst einmal, wie er das anfangen sollte. Ich war verwirrt, denn mir wollte kein Khiris einfallen. Dann erzählte er mir wie die Schwarzen Ritter einmal zu uns gerufen worden waren, weil wir ein Kind im nahegelegenen Heim für besessen gehalten haben. Khiris war ein kleingewachsener und komischer Typ mit einem seltsamen Humor gewesen, bei dem ich mich gefragt hatte, warum die anderen Schwarzen Ritter ihn zu mögen schienen, denn er war richtig unheimlich. Er erwähnte auch dieses Beispiel für seinen seltsamen Humor, das mich besonders entsetzt hatte und erklärte mir dann, daß er damals weggeschickt worden war, damit die anderen mich wieder beruhigen und mir irgendeine harmlose Erklärung für den Scherz geben konnten.
"Sie müssen wissen, daß das in Wirklichkeit gar kein Scherz gewesen war. Ich bin direkt vor meinem Leben als Khiris aus den Höllen entkommen und wußte einfach nicht, daß es auf der Welt Wesen geben könnte, die den Teufel nicht mögen. Schließlich wußte ich daß er eng mit Jesus befreundet ist und einer seiner wichtigsten Mitarbeiter bei dem Plan, einen Frieden zwischen Engeln und Dämonen zu vermitteln." erklärte der Junge mir.
Ich war genauso fassungslos wie damals, als Khiris diesen Scherz gemacht hatte, der eigentlich kein Scherz war. Khar wies auf eine Stelle in der Bibel hin, wo Jesus sich mit dem Teufel unterhalten hatte und erklärte, daß Jesus damals mit dem Teufel als Unterhändler Friedensverhandlungen mit den Dämonen geführt hätte, um endlich den Krieg zwischen Dämonen und Engeln zu beenden. Leider würde es immer noch auf beiden Seiten Leute geben, die nicht zu einem Frieden bereit wären, meinte er.
Ich war noch fassungsloser. Frieden zwischen Engeln und Dämonen. Wovon redete er? Das war nicht das Christentum, das ich kannte! Und die waren Teil unseres Ordens? Das war nicht nur ein anderer Glaube, das war eine andere Welt!

Aber andererseits ... Ich beobachtete die jungen Leute, die da saßen und miteinander redeten. Sie wirkten so entspannt. Irgendwann auf der Zugfahrt, löste einer der Jungen den ab der gerade drinnen bei Ehon Wache hielt und wir hatten auch eine gemeinsame Gebetszeit. Der ganze Umgang miteinander wirkte formlos und entspannt. Alle duzten einander. Die Jungen redeten und lachten miteinander und bezogen Khar dabei so mit ein, daß klar war, daß sie ihn weder wegen der Besetzungen noch als Autorität fürchteten. Meist behandelteten sie ihn wie einen Gleichberechtigten, es sei denn er gab Anweisungen. Es war ganz klar daß sie ihn als Fachmann achteten, aber nicht mit Strafen rechneten.

Aber auch wie sie über Dämonen redeten, das klang nicht als hätten sie Angst, sondern ... liebevoll. Sie erzählten mir Begebenheiten, die auf mich durchaus bedrohlich gewirkt hätten, bestanden aber darauf, das sei alles nicht böse gemeint gewesen oder es wäre doch zu verstehen, warum der Dämon so reagiert hätte.
"Aber haltet ihr die Dämonen denn nicht für böse?" fragte ich.
"Nein, die sind doch nicht böse! Sie sind nur ..." der Jugendliche sucht offensichtlich nach Worten, "... nicht von dieser Welt." Er wirkte, als wäre er mit seiner Formulierung nicht so richtig zufrieden. Schließlich erklärte er daß sie eigentlich schon von dieser Erde seien, nur aus älteren Zeiten, als es noch keine Menschen gab.

Khar erklärte mir an einigen Beispielen daß das Verhalten von Dämonen zwar sehr problematisch werden konnte, daß es aber keine böse Absicht war sondern ein die Welt nicht verstehen.

Kersti

Fortsetzung:
F1307. Kalar: Ich fragte langsam ernsthaft irritiert nach, warum eigentlich alle so mit mir redeten, als hätte ich gefragt, ob ich hierbleiben darf