erste Version: 6/2019
letzte Bearbeitung: 6/2019

Chronik des Aufstiegs: Die Pforten der Hölle - Die Beschützer der Menschheit vor den Geistern der Verzweiflung

F1336.

Ich fragte: "Warum hat denn hier keiner Angst?"

Vorgeschichte: F1307. Kalar: Ich fragte langsam ernsthaft irritiert nach, warum eigentlich alle so mit mir redeten, als hätte ich gefragt, ob ich hierbleiben darf

Kalar erzählt:
Ich fragte:
"Warum hat denn hier keiner Angst?"
Mirko wußte zunächst nicht, was ich damit meinte, nachdem ich ihm den Unterschied zwischen einem typischen Flüchtling und Khar beschrieben habe, verstand er.
"Ja, das hat mich auch gewundert. Sie müssen wissen, daß ich als junger Mann ein sehr ängstlicher Typ war, der sich vor jedem Schatten fürchtet. Weil das eine Seite war, die ich an mir selbst nicht akzeptieren konnte, habe ich besonders gefährliche Aufträge angenommen. Unter anderem habe ich die Feinde, die die Schwarzen Ritter so furchtbar verfolgen unterwandert und wurde letztlich von den Schwarzen Rittern gefangen genommen. Sie haben mich dann so behandelt, wie sie ihre Feinde normalerweise behandeln und das was sie da machen, ist der regulären Ausbildung zum Schwarzen Ritter oder der Art wie sie Dämonen behandeln sehr ähnlich. Als ich diese Ausbildung durch hatte, hatte ich unter den Schwarzen Rittern nicht nur mehrere Freunde gefunden - ich war auch kein ängstlicher Mensch mehr. Ich habe seither einige schlimme Dinge erlebt, beispielsweise war ich in den Höllen, wurde so verletzt, daß diese Querschnittslähmung zurückgeblieben ist und diverse enge Freunde von mir wurden ermordet. Trotzdem hatte ich mit jedem Jahr weniger Angst. Ich habe dieses Phänomen nicht verstanden, aber ich habe wirklich kaum noch vor irgend etwas Angst."

Als ich weiter nach Khar fragen wollte, waren wir schon fast an der Schule angekommen und Mirko riet mir, die Fragen doch direkt Khar zu stellen. Khar sagte mir, daß er zuerst mit Kanush etwas besprechen müßte, daß er aber nachher bei der Wache bei Ehon mit mir sprechen könne.

Ich beschrieb ihm, was mich daran irritiert hatte, wie er sich von normalen Flüchtlingen unterschied.
Khar lachte und meinte dann:
"Das Ganze ist noch viel absurder. Die Foltern sind inzwischen einige Jahre her, daher haben sich meine engeren Freunde an den Anblick gewöhnt. Aber wann immer mir jemand Fremdes begegnet erstarrt er mitten in der Bewegung und ist dann wie versteinert. Dann muß man ihnen erst mal eine ganze Weile gut zureden und sie beruhigen, bis sie sich wieder entspannen und man wieder mit ihnen reden kann. Ich meine, ich bin doch gefoltert worden und habe das Problem nicht. Warum müssen die anderen mich nur ansehen, um zu reagieren, als wären sie schwer traumatisiert? Du hast entspannter reagiert, aber du bist da eine große Ausnahme."
Ich fragte Khar, was er denn meinte, warum das so ist.
"Die Frage taucht immer wieder auf - beispielsweise hat auch Mirko Tharon, meinen Lehrer, damals, nachdem er beide Beine verloren hat, gefragt, wie er das gemacht hat, dann einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen und bekam etwas später wegen der Querschnittslähmung dieselbe Frage gestellt. Ich habe mir - als jemand der fast sein gesamtes Leben bei den Schwarzen Rittern verbracht hat - eher die umgekehrte Frage gestellt, also warum reagieren andere Leute an diesen Stellen so komisch. Es hat etwas mit der Ausbildung zu tun, aber so ganz verstanden, warum das so ist, habe ich nicht." antwortete er mir.

Im Laufe des Gesprächs erwähnte Khar noch diverse einzelne Ereignisse seines Lebens, die andere Leute schon allein ein ganzes Leben traumatisiert hätten, doch so beiläufig wie andere über ihr Frühstück reden. Ich stellte fest, daß ich keine Ahnung gehabt hatte, welchen Wahnsinn er in seinem bisherigen Leben erlebt hatte. Danach zu urteilen, was er mir so alles erzählt hatte, hatte er sich wohl keinen Tag seines bisherigen Lebens sicher fühlen können. Trotzdem wirkte er so entspannt!

Mir wurde zunehmend klar, daß ich dieses Rätsel wirklich verstehen wollte und lernen wollte, was man tun muß, wenn man mit solchen Erlebnissen fertig werden will, ohne in der Seele Schaden zu nehmen.

Ich brauchte aber noch fast eine Woche, ehe ich diese Entscheidung offiziell machte, weil mir mein eigenes Verhalten so rätselhaft war. Schließlich hatte jeder, mit dem ich darüber geredet hatte, mir klar gemacht, daß die Schwarzen Ritter auf eine Weise verfolgt wurden, die man eigentlich gar nicht aushalten können kann und warum sie immer noch existierten, war mir ein völliges Rätsel. Und dann entscheide ich mich, daß ich mich mitten in diesen Wahnsinn hineinbegeben will, um auch so zu werden? Das verstehe wer will! Ich habe mich nicht verstanden.

Kersti

Fortsetzung:
F1337. Khar: Wir erzählen den Leuten ja gar nicht, was bei uns alles toll ist - wir erzählen ihnen nur von Gefahren und Problemen, aber sie kommen trotzdem!