erste Version: 1/2020
letzte Bearbeitung: 1/2020

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Der Bruder des Prinzen

F1602.

Ich habe das, was er sagte, nicht verstanden, denn Saman redete nur in Andeutungen, aber er muß sich Diro richtig zur Brust genommen haben, denn der wurde weiß wie eine Wand

Vorgeschichte: F1601. Turin vom hohen Licht: Beim Abendessen machte Diro einen wirklich komischen Eindruck, also fragte ich ihn, was denn los sei

Der König Turin vom hohen Licht erzählt:
Nachdem ich Saman wieder weggeschickt hatte, war ich mir erst recht nicht sicher, wie ich darauf reagieren sollte. Daher bestellte ich denjenigen Offizier zu mir, der zum Zeitpunkt der Geschichte gerade Wache in der Kaserne gehabt hatte. Selis war ein Eunuch, da er hier als Sklave im Palast aufgewachsen war. Daher hatte er als junger Mann häufig Innendienst im Palast gehabt. Inzwischen hatte er als Diros Stellvertreter einen zu hohen Rang, um in so untergeordneter Position eingesetzt zu werden und Diro hielt viel von ihm. Ich begrüßte ihn also und erklärte ihm, warum ich mir Sorgen machte und daß weder Diro noch Saman mit der Sprache rausrücken wollten.
"Dann sehen wir uns das Gespräch doch einfach an." schlug er vor und bat Geron den Überwachungsfilm zu zeigen.
Der Überwachungsfilm begann, als Samans Tablet piepte, um ihn davon zu benachrichtigen, daß er sich bei Diro melden sollte. Er zog das Gerät aus der Uniformtasche, warf einen Blick darauf und auf seinem sonst so friedlichen Gesicht zogen Gewitterwolken auf. Dennoch machte er sich sofort auf und als er den Raum betrat, wirkte sein Gesicht wieder ruhig, nur um richtig grimmig zu werden, als Diro einen seiner üblichen völlig geschmacklosen Scherze machte. Ich muß sagen, ich habe das, was er sagte, nicht verstanden, denn Saman redete nur in Andeutungen, aber er muß sich Diro richtig zur Brust genommen haben, denn der wurde weiß wie eine Wand und begann sogar vor Angst zu zittern. Als er mit einem üblichen höflichen Abschiedsgruß das Zimmer verließ, wirkte das wie eine Flucht. Samans Gesicht zeigte ein böses und sehr befriedigtes Grinsen.

"Und wie interpretieren sie das Gespräch? Ich habe es nämlich nicht verstanden." fragte ich.
"Ich hatte es auch nicht verstanden, deshalb habe ich Saman dazu befragt und danach sind die ominösen Betriebsunfälle, über die er mit Diro geredet hat, vertuschte Morde an Sklaven gewesen und Saman hält Diro für einen mehrfachen Mörder. Er hat dafür aber keine Beweise ausgepackt, daher weiß ich nicht ob die mich überzeugt hätten." antwortete Selis.
Ich glaubte nicht, daß Diro Morde begangen hatte, aber wenn es so gewesen wäre, wollte ich das lieber nicht so genau wissen. Ganz sicher war ich mir jedenfalls, daß er jetzt nicht mehr auf dieser Schiene ist, denn er hatte auch an Stellen, die überhaupt nicht sein Aufgabengebiet waren, dafür plädiert, besser mit den Sklaven umzugehen. Außerdem war er derjenige gewesen, der mir gesagt hatte, daß ich mir Kiwar von Lenniskalden als Leibarzt auswählen soll. Zuerst war ich davon nicht begeistert, aber ich mußte zugeben, daß er recht hatte, wenn er mir sagte, daß ich mir die ganzen unbequemen Sachen, die mir Kiwar immer sagte, anhören mußte, weil mir Kiwar sagt, was die Sklaven nur denken und ich muß es wissen, damit ich mich zumindest so sozial verhalte, daß ich deren Loyalität nicht völlig untergrabe. Kiwar stammt im Grunde aus der Gosse und hat sich aus eigener Kraft in diese Stellung hochgearbeitet. Für Diros alte Freunde hätte das geheißen, daß er immer noch in die Gosse gehört und daß man ihn möglichst schnell an seinen Platz verweisen muß. Daß Diro heute anders denkt und mir sagt, daß das zeigt, daß Kiwar ein außergewöhnlich intelligenter Mensch ist und daß er ihn bewußt fördert, zeigt, daß Diro inzwischen selber ziemlich sozial denkt, auch wenn ihm das niemand, der ihn kennt, zutrauen würde.

Ich fragte Selis, ob er meinte, daß ich mir jetzt Sorgen machen müßte, daß die beiden sich richtig in die Köppe kriegen.
"Diro kann ich nicht so recht einschätzen, aber Saman ist ein Mann von Wort. Wenn er sagt, daß Diro mit ihm kein Problem haben wird, so lange er sich an die Regeln hält, dann kann man sich darauf verlassen." antwortete Selis.
Ich vermutete, daß Diro das genauso eingeschätzt hatte, sonst hätte er er sich nicht auf diese unverständlichen Worte darüber, wie gruselig Saman wäre, beschränkt.
"Was versteht Saman unter Regeln?" fragte ich.
"Daß Diro niemanden foltert und niemanden ermordet." antwortete er und erklärte, daß Saman dazu neigte, alles was harmloser war überhaupt nicht ernst zu nehmen.
"So etwas macht er nicht mehr." antwortete ich und erklärte ihm, warum er mir den Leibarzt empfohlen hatte, den ich jetzt habe und warum mich das überzeugte, daß Diro begriffen hatte, warum es ein ganz dummer Gedanke ist, Leute nur zum Spaß zu foltern.

Damit hatte ich die Antwort, die ich brauchte. Ich hatte mir Diro deshalb als Sicherheitschef ausgesucht, weil er einerseits den Sinn von Recht und Ordnung begriffen hatte, so daß ich mir sicher sein konnte, daß er nicht hinter meinem Rücken eine Tyrannei aufzieht, andererseits aber so furchterregend wirkte, daß er Typen in Schach halten kann, die gleichzeitig mächtig und skrupellos sind. Saman hatte offensichtlich diese beiden Qualitäten in noch größerem Ausmaß. Noch war er zu unerfahren und kannte die Welt zu wenig, aber das war ein Potential, das ich brauchte und das es wert war, ausgebildet zu werden.

Mein Onkel Tharr vom Licht hatte mich auf die Idee gebracht, auf der Zuchtstation nach Kindern zu suchen, die mir als Erben dienen konnten. Eigentlich hatte die Geschichte einige Jahre früher begonnen. Er hatte nämlich damals behauptet, er könnte die Probleme auf der Thorian dem Zuchtsklavenkriegsschiff beheben, man solle ihn einfach als Kapitän dorthin versetzen. Eigentlich war er damals zu jung, um als Kapitän zu dienen, zumal er als Palastsklave aufgewachsen war und daher nicht die Vorteile hatte, die Adelige in der Karriere haben. Mein Vater hatte nicht wirklich geglaubt, daß er das kann, war aber der Ansicht, daß man auf jeden Fall irgendjemanden auf das Schiff schicken muß, weil wir die Zuchtsklaven brauchen, um die Schlachten zu gewinnen. Es war seit Jahren schon so, daß man nur Leute auf das Schiff geschickt hat, die man gerne losgeworden wäre, weil nach jeder Fahrt zehn Prozent des Offizierskorps fehlte, ohne daß sich nachweisen ließ, wer für den "Unfall" verantwortlich war, der diese Leute ereilt hatte. Außerdem kamen auch zwanzig Prozent der Kriegssklaven nicht lebend auf dem Schlachtfeld an.

Tharr bekam den Posten und während seiner Dienstzeit dort ist kein einziger Todesfall an Bord aufgetreten. Außerdem kamen Todesfälle bei den nach ihm kommenden Offizieren nur im Einzelfall vor. Keiner seiner Nachfolger war so erfolgreich darin, die Disziplin an Bord aufrecht zu erhalten, wie Tharr selbst, aber es wurde auch nie wieder zum ernsten Problem.

Da mein Vater mich und meinen Freund Diro ebenfalls für Problemfälle hielt, setzte er Tharr danach auf einen Posten im Palast und ließ ihn weit genug die Karriereleiter herauffallen, daß er meiner und Diros Vorgesetzter war. Tharr hat mir damals das Gefühl vermittelt, er wäre noch viel bedrohlicher als Diro. Inzwischen weiß ich, daß ich gar nicht in Gefahr geschwebt hatte, denn mein Vater hatte Tharr eingesetzt, wie ich heute Diro einsetze - Tharr ist jemand, der weiß, wie man anderen eine Heidenangst einjagt, wenn er das braucht, aber sich an Recht und Ordnung hält und erklären kann, warum das so wichtig ist.

Im Augenblick leitet Tharr die Zuchtstation, um dort die Probleme so weit in den Griff zu bekommen, daß es nicht ständig als Betriebsunfälle vertuschte Morde gibt. Er hat damit schon erstaunliche Erfolge, ist aber der Ansicht, daß er noch eine Weile arbeiten muß, ehe jemand anders seinen jetzigen Posten übernehmen kann.

Ich dachte noch einmal an den Überwachungfilm mit dem Gespräch zwischen Diro und Saman nach und mußte schmunzeln. Offensichtlich hatte Tharr auf der Zuchtstation die ein oder andere Methode angewendet, auf die nur jemand kommen kann, der selber als Sklave aufgewachsen ist. Letztlich hat er uns aber politisch den Rücken freigehalten, indem er die Zuchtsklaven eingesetzt hat, um die Kriminellen aus dem Weg zu schaffen, die Diro einmal für seine Freunde gehalten hat. Ich werde noch einmal mit Tharr darüber reden müssen, damit er erstens weiß, daß wir Bescheid wissen und zweitens in Zukunft solche Aktionen mit mir abspricht, aber prinzipiell ist mir Tharrs Denkweise um Klassen lieber als die diverser anderer Leute, die ich spontan benennen könnte. Wahrscheinlich habe ich mich einfach zu viel mit Diros früheren Freunden abgegeben.

Kersti

Fortsetzung:
F1693. Diro von Karst: Ich mußte Tharr auf den Zahn fühlen, ob er etwas gefährlicheres vorhatte, als Kriminelle aus dem Weg räumen, die als Privatvergnügung jeden ermorden, der sich nicht wehren kann

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben