Es müßte doch jedem klar sein, daß ein Satz, der eine ganze Seite Text umfaßt, niemandem verständlich sein kann!
Vorgeschichte:
F1538. Danien Wolf:
"Silas Gutmenschenfassade hat ja Risse bekommen! Wie hast du denn das gemacht?" fragte er mich
Silas aus dem Tal erzählt:
Als Saman mir zum ersten mal einen Text vorgelegt und gefragt hatte, ob der verständlich ist, war ich fassungslos. Es müßte doch jedem klar sein, daß ein Satz, der eine ganze Seite Text umfaßt, niemandem verständlich sein kann. Ich sagte ihm, daß ein Satz für normale Leute höchstens einen Nebensatz enthalten darf. Solche endlos langen geschraubten Konstruktionen gehen gar nicht.
"Aber du sagtest doch auf einem Plakat dürfen höchstens zwei drei Sätze stehen!" protestierte er.
"Ja und diese Sätze dürfen alle zusammen genommen höchstens dreißig Worte enthalten. Besser ist ein einziger Satz von höchstens zehn Worten Länge." erklärte ich.
"Aber dann kann man doch gar nichts Sinnvolles schreiben!" protestierte Saman.
Ich fragte mich, was daran, daß man sich für das Volk kurz und einfach ausdrücken muß, so schwer zu verstehen ist. Seufzend erklärte ich ihm noch einmal, was er alles ändern mußte und daß man für interessierte Menschen eine Broschüre machen kann, wo etwas mehr drin steht und für die die wirklich interessiert sind dann erst ein richtiges Buch schreibt.
Saman hörte sich das an und meinte:
"Tharr sagt auch immer, daß wir alles vereinfachen müssen."
Ich fragte, warum sie das dann immer noch nicht gelernt haben.
"Weil das gar nicht so einfach ist. Die Welt ist doch noch viel komplizierter!"
Den Eindruck bekommt man tatsächlich, wenn Saman einem irgendeinen völlig banalen kleinen Sachverhalt erklärt. Beispielsweise hat er mir mal erklärt, wie man eigentlich ein Bein hebt. Natürlich weiß jeder, wie das geht, aber Saman scheint zu meinen, man müßte den Namen jedes einzelnen Knochen, jeder einzelnen Sehne und jedes Muskels wissen. Er denkt auch, jeder müßte wissen, welche Adern es im Bein gibt und das jedes Haar zwei Talgdrüsen hat. Außerdem müßte man wissen, wie die Muskeln funktionieren und aus welchen Molekülen jeder Teil der Zellen aufgebaut ist, sonst könnte man kein Bein heben. Ich jedenfalls hebe einfach mein Bein und es funktioniert einfach so, ohne daß ich all diese Dinge weiß. Den Trick beherrscht übrigens auch jede Fliege, die ganz bestimmt nichts darüber weiß. Ich kann mir das jedenfalls nicht alles merken, ich bin schließlich Psychologe und kein Biologieprofessor! Ich würde ja annehmen, wenn man so viel über eine so unbedeutende Bewegung nachdenkt, würde man irgendwann so verwirrt sein, daß man es eben nicht mehr schafft, sein Bein anzuheben, aber damit hatte der XZB12 jedenfalls nicht das geringste Problem.
Ich arbeitete also mit Saman an dem Text, bis ich zumindest verstanden hatte, was er sagen wollte, dann machten wir daraus eine Broschüre. Den kurzen griffigen Satz für das Plakat formulierte ich selbst, schließlich muß man sein Ziel, für eine gerechtere Welt zu sorgen, unterstützen.
Die nächste Kopfgeburt von Saman war immer noch nicht viel besser gewesen, aber ich konnte mich schneller reindenken, merkte ich. Irgendwie gewöhnt man sich doch an seine langen Sätze.
Ich fragte mich echt, wie diese Hochschulprofessoren zu dem Ruf gekommen waren, sie wären dumme Muskelprotze.
Ach was sage ich. Ich habe doch ein abgeschlossenen Studium und während ich unsere Professoren durchaus verstanden habe, habe ich selbst bei den jüngeren XZB12s Probleme, ihnen zu folgen. Noch schlimmer war das mit den Technikern, wie ich gerade im Zuchtmenschennetz feststellte, in dem sie ihre Pläne diskutierten.
Und irgendwann schrieb ich dem Techniker Talis LZB45-321-59, dem ich kein Gesicht zuordnen konnte, ob er sich nicht einfacher ausdrücken könne und er gab zurück, das müsse er doch als Flottenbefehlshaber den ganzen Tag tun, ob er da denn nicht wenigstens im Zuchtmenschennetz Pause machen könnte. "Flottenbefehlshaber?" fragte ich mich, dann wurde mir mit einem Schock klar, daß ein Gerücht, was umging, buchstäblich wahr war. In der harmlosen Form lautet es, an dem Kronprinzen sei ein Zuchtmenschentechniker verloren gegangen. In der deutlich direkter ausgedrückten Form hieß es, Prinz Talis vom hohen Licht wäre nicht der Sohn des Königs sondern ein Kind aus einer aussortierten LZB-Techniker-Zuchtlinie. Talis vom hohen Licht verwendete im Zuchtmenschennetz offensichtlich seine Zuchtnummer als Decknamen und der Palasttechniker Tanan LZB45-321-37 war laut Zuchtnummer Talis älterer Bruder gewesen. Das erklärte natürlich, warum er sich so intensiv um die Prinzen und Prinzesinnen gekümmert hatte.
Und wenn man das recht bedachte, erklärte das die Reformen im Lichtreich, die ja vorwiegend zugunsten der Sklaven und einfachen Leute waren. Ich kann, ehrlich gesagt, nur froh über diese Reformen sein, weil ich sonst wahrscheinlich irgendwann als Sklave verkauft worden wäre, statt ein Studium abschließen zu können. Ich werde mich nicht an der Gerüchteküche beteiligen, weil es ein Problem wäre, wenn bestimmten arroganten Idioten das klar würde. Dagegen machte mir das, was ich im Zuchtmenschennetz las, keine Sorgen. Es würde den einfachen Leuten das Leben einfacher machen, gleich wer sie sind und wo sie leben.
Fortsetzung:
F2534. Geron vom Silbersee:
Danien Wolf schickte mir eine Skizze - und wirklich nur eine Skizze einer denkbaren Pressekampagne