Nach einer Weile kam die Heilerin herein und fragte mich, wie es mir ginge.
"Es geht." antwortete ich und beschrieb ihr dann genau, wie sich
mein Körper anfühlte: Zerschlagen und fiebrig.
"Ich finde, die Strafe war zu hart", sagte die Heilerin leise,
"Es war ein Unfall."
Ich war verwundert.
"Ich dachte, ihr Bauern wolltet, daß ich verbannt werde."
sagte ich.
"Nicht alle. Die meisten finden Holdins Verhalten unmöglich."
antwortete die Heilerin.
"Warum sagt ihr das dann nicht? Ich dachte alle Bauern wären
so."
"Wir können ihn doch nicht vor allen Leuten blamieren. Er
würde uns das nie verzeihen"
"Er blamiert sich selber und ihr euch auch, wenn ihr das
gutheißt."
"Misch dich nicht in die Angelegenheiten unseres Dorfes ein." sagte
die Heilerin streng.
"Tut mir leid, ich war einfach neugierig. Ihr habt manchmal so seltsame
Ansichten."
"Ich finde bewundernswert, daß ihr bei Leuten wie Holdin nie die
Geduld verliert."
"Ein Krieger darf nicht unbeherrscht sein. Wenn man im Kampf die
Selbstbeherrschung verliert, kann das tödlich sein." gab ich
geistesabwesend die dazu übliche Antwort und fragte dann:
"Wie geht es dem Jungen mit dem gebrochenen Arm?"
Der Bauernjunge war mir sympathisch.
"Es geht Koresch einigermaßen gut. Es wird vollständig
heilen."
"Das ist gut. Grüß ihn schön von mir."
"Du solltest ihn besuchen."
Ich nickte. Eine gute Idee. Die Dörfer brauchten gute Beziehungen
zueinander.
Als ich mich so weit erholt hatte, daß ich wieder aufstehen durfte,
lief ich hinunter ins Bauerndorf. Die Bauern, begrüßten mich viel
kälter und zurückhaltender, als ich es gewohnt war. Bei einer
Frau erkundigte ich mich, wo ich Koresch finden konnte.
"Es wurde aber auch Zeit, daß du dich bei entschuldigst!"
meinte sie, nachdem sie mir die Wegbeschreibung gegeben hatte.
"In den letzten Tagen war ich krank." antwortete ich ruhig.
Dann bedankte ich mich für die Auskunft und bog in den Weg, wo der
Junge wohnte. Dort kam mir Holdin entgegen, der mich während der
Gerichtsverhandlung geschlagen hatte. Ich grüßte ihn.
"Du wagst es hierher zu kommen? Unverschämter Kerl!" fuhr er
mich an und gab mir eine Ohrfeige.
Ich wich nicht aus. Langsam wurde dieser unbeherrschte Bauer lästig.
Vielleicht regte er sich mit den Wochen von alleine ab.
Ich klopfte an. Der Junge, den ich besuchen wollte öffnete.
"Hallo Rundon, komm herein! Möchtest du Tee?"
begrüßte er mich herzlich, "Sag mal, hat es nicht
schrecklich wehgetan, wie sie dich geschlagen haben?"
Ich zuckte mit den Schultern und erwiderte:
"Ich konnte es aushalten."
"Aber nachher sahst du wie tot aus!"
"Toris hätte es nie riskiert, mich zu töten. Ich bin an
diesem Abend auf meinen eigenen Beinen nach Hause gegangen." meinte
ich lächelnd.
"Aber dir muß doch alles wehgetan haben!"
"Das hat es auch. Schmerzen gehören nun einmal zum
Kriegerleben"
"Aber das ist ja schrecklich."
"Nach meiner ersten Kampfübung dachte ich das auch. Aber mit der
Zeit nimmt man Schmerzen nicht mehr so wichtig und das Üben macht
trotzdem Spaß."
"Ihr Krieger seid seltsam."
"Das denke ich auch über euch Bauern", antwortete ich
lächelnd, "sag mal, wo wohnt eigentlich der Bauer, der mich auf
der Versammlung geschlagen hat?"
"Hier, er ist mein Vater."
Ich fand, daß die beiden nicht zusammenpaßten.
Der Besuch bei dem Bauernjungen war schön. Ich fragte ihn ein wenig
über sein Leben aus und erzählte von mir. Nachher verabredeten
wir gleich ein nächstes Treffen. Ich besuchte den Bauernjungen
mindestens einmal pro Woche. Immer wieder begegnete ich dabei Holdin.
Jedesmal, wenn er mich sah, gab er mir eine Ohrfeige, doch statt sich
abzuregen, schlug er jedesmal heftiger zu. Schließlich sagte ich mir,
daß es so nicht weiterging. Als er mir das nächste mal eine
Ohrfeige gab fragte ich ihn:
"Holdin, weißt du, warum ich nicht zurückschlage?"
"Na klar, du würdest dann verbannt, wie du es verdient
hättest." antwortete er boshaft.
"Du irrst. Sie würden uns als Kinder betrachten, die die Sprache
nicht gut genug beherrschen, um Probleme durch Worte zu klären. Es
sei denn, du stolpertest über deine Füße und brächst
dir das Genick, wenn ich dir eine Ohrfeige gebe. Was ich nicht ganz
für ausgeschlossen halte. Wenn du das noch einmal machst, bringe ich
das vors Gericht der beiden Dörfer. Damit habe ich keine Geduld
mehr."
Damit drehte ich mich um und ging. Bei der nächsten Gelegenheit gab er
mir wieder eine Ohrfeige und ich brachte ihn vors Gericht.
Es wurde beschlossen, daß er für ein Jahr von jeder Erwachsenenverantwortung entfernt wurde, da er sich wie ein Kind verhalten hatte.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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