Meine Mutter forderte ihn auf, in die Versammlungshalle zu kommen, während ich hinausging, das Pferd fütterte und trockenrieb. Es war größer als unsere struppigen Ponys, machte auf mich aber einen übernervösen und unzuverlässigen Eindruck. Ständig legte es seine Ohren an, zuckte vor jeder leichten Berührung zurück und wollte mich beißen, als ich eine flache Wunde an seinem Hals säuberte und mit Heilsalbe bestrich. Er war nicht das Pferd, das ich gerne reiten würde, wenn es hart auf hart kommt.
Meine Mutter rief mich nachher zu ihr.
"Rundon, das ist ein Bote des Heeres, zu dem die Feinde gehörten,
die wir gestern besiegt haben. Du begleitest ihn und hörst dir die
Forderungen an, die ihr Anführer stellt. Sag ihm, was du für
angemessen hältst."
Ich nickte und rief unser Familienpony, das sich gut gelaunt gegen meine
Versuche wehrte ihm die Zügel anzulegen. Trotzdem saß ich
schneller auf meinem Pferd, als der Fremde. Nebeneinander verließen
wir das Dorf.
"Ihr seid ein merkwürdiges Volk", meinte der Fremde nach einer
Weile, "Erst besteht eine Frau darauf, sie wäre Anführerin
eurer Krieger, dann schickt sie ein Kind als Boten los. Habt ihr keine
richtigen Männer?"
"Du machst einen Gedankenfehler. Daß eine Frau eine gute
Anführerin ist und ein Kind ein guter Bote, macht Männer weder
schwach noch dumm. Im Gegenteil. Oder warum haben wir gestern
gesiegt?"
Der Mann lachte:
"Reden kannst du wenigstens, Bursche!"
Ich lachte ebenfalls und ergänzte:
"Kämpfen auch."
"Wieviele wart ihr eigentlich?" fragte er.
"Was hat euer Mann erzählt?" fragte ich.
"Doppelt so viele, wie unsere Leute. Sag schon, wie viele wart
ihr?" antwortete der Mann.
Ich lachte und erwiderte:
"Ihr unterschätzt uns."
"Noch mehr?" fragte er ungläubig.
Ich lachte wieder und entgegnete, daß wir unsere Feinde nicht
über militärische Geheimnisse aufzuklären pflegen. Er sah
mich ganz merkwürdig von der Seite an.
Der Weg gab den Blick in ein Tal frei, in dem es von Wagen, Lagerfeuern und
Bewaffneten wimmelte. Kinder waren keine zu sehen.
"Was wird euer Anführer von uns verlangen?" fragte ich, wieder
ernst geworden.
"Kinder als Unterpfand, daß ihr uns nicht angreift."
"Was macht er mit den Kindern?"
"Wir kümmern uns natürlich um sie und sie helfen im
Troß."
"Verlangt er von jedem besiegten Feind Kinder?"
"Ja."
"Wieviele Länder habt ihr erobert?"
"Die halbe Welt! Wir sind das größte Heer, was es
gibt!"
"Du lügst."
Sonst müßte das Heer zur Hälfte aus Kindern
bestehen. Undenkbar.
"Doch, ich sage die Wahrheit, du würdest staunen, wo wir
überall schon waren."
"Was macht ihr mit Kindern, die ihr nicht brauchen könnt?"
fragte ich streng.
"Na ja, wenn sie nicht arbeiten, werden sie getötet, wenn wir weit
genug von hier weg sind. Aber was kann man da machen? Ich bin nur ein
einfacher Soldat." antwortete der Mann verlegen.
Ich nickte. So hatte ich mir das vorgestellt.
"Wir hätten einen solchen Anführer abgesetzt." antwortete
ich.
"Aber das ist Meuterei." rief er entsetzt.
"Nein. Gerechtigkeit." widersprach ich.
Er warf mir einen merkwürdigen Blick zu.
Wir ritten zu einem großen Zelt im Zentrum des Lagers. Manche Leute
sahen uns neugierig nach, die meisten schienen uns kaum zu bemerken. Vor
dem Eingang standen, offen sichtbar, zwei lächerlich bunt gekleidete
Wachen mit Waffen, die für meinen Geschmack zu lang und zu schwer
waren. Man konnte sie leicht unbemerkt umgehen.
"He, du solltest einen Boten mitbringen, kein Kind!" rief einer von
ihnen.
"Das ist der Bote." antwortete der.
Es schien ihm peinlich zu sein.
In dem Augenblick öffnete ein großer rotblonder Mann die
Zeltklappe und fragte, was los sei.
"Dieses Kind will Bote sein!" sagte eine der Wachen.
Langsam ging mir dieses alberne Verhalten auf die Nerven. Würdevoll
sagte ich:
"Wenn ihr einen Boten des Kriegervolkes sprechen wollt, bin ich das. Es
steht euch frei, unser Dorf alleine oder mit bis zu drei bewaffneten
Begleitern zu besuchen, um mit dem Rat zu verhandeln. Wer höflich um
Einlaß bittet, wird unbeschadet heimkehren."
"Könnt ihr keinen Erwachsenen schicken?"
"Wir diskutieren mit Fremden nicht über die Auswahl unserer
Boten." lehnte ich ab.
"Wo ist das Zeichen, daß du der richtige Bote bist?" forderte
er zu wissen.
"Zum Verhandeln brauche ich meinen Kopf und meinen Mund. Beides habe
ich dabei." antwortete ich und begann mich langsam über dieses
alberne Geplänkel zu amusieren.
"Dann komm herein."
Ich stieg vom Pferd, streifte ihm den Zaum ab und sagte:
"Warte." Das Pony stieß mich noch einmal kräftig mit
seiner weichen Nase an, dann fing es an zu grasen. Ich lächelte und
betrat das Zelt.
"Wenn ihr nicht innerhalb von zehn Tagen zwanzig Kinder als Geiseln
schickt, komme ich mit dem ganzen Heer und zerquetsche euer Dorf zwischen
den Fingern."
Ich staunte über seinen Hochmut.
"Ihr schient zu glauben, daß die, die ihr gestern geschickt habt,
reichen, uns zu besiegen. Ihr habt euch geirrt. Woher nehmt ihr die
Sicherheit, daß ihr uns diesmal richtig einschätzt?" fragte
ich.
"Wieviele Krieger kann ein so kleines Nest schon ernähren?"
sagte er verächtlich.
"Offensichtlich mehr als ihr dachtet." entgegnete ich. Langsam
wünschte ich, meine Mutter wäre da.
"Es mag sein, daß übertriebene Forderungen zu unangenehmen
Folgen führen." deutete ich an.
Der Mann starrte mir drohend in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick, bis
er zu lächeln begann und meinte:
"Du bist ein kluger Bursche. Richte deinem Volk mein Ultimatum
aus."
Sein Lächeln war verschwunden, als wäre es nie dagewesen. Er
fürchtete die Macht unseres Volkes.
"Wir greifen niemanden an. Wir wehren Angriffe nur ab." versuchte
ich ihn zu beruhigen.
"Es ist mein Ernst."
Hinter seinen Worten lag eine solche Härte, daß ich wußte:
ich konnte seine Meinung nicht ändern.
Ich nickte.
Danach bot er mir eine gute warme Malzeit an, so daß ich mich vor
meiner Rückkehr noch stärken konnte. Als ich wieder auf mein
Pony stieg, das brav auf mich gewartet hatte, sagte der Führer des
Heeres:
"Langsam beginne ich zu verstehen, warum sie ausgerechnet dich
geschickte haben."
"Eine Entscheidung hat mehr als einen Grund und man zieht jeden
möglichen Irrtum des Feindes in Betracht." antwortete ich mit
unbewegten Gesicht.
"Oh, du Halunke!" lachte der Mann halb wütend und fragte:
"Sag mal, stimmt es, daß eure Krieger keine Befehle
bekommen?"
"Ein schneller Befehl, hilft maches Mal, unnötige Fehler zu
vermeiden." umging ich eine direkte Antwort.
"Ich wußte es doch!" freute er sich, daß sein
Vorurteil bestätigt war.
Ich behielt mein unbewegtes Gesicht bei. Nur schlechte Krieger erkennen
ihre Aufgabe nicht. Befehle gaben wir bei ungewöhnlichen Kriegslisten
und brauchten dazu keine Hauptleute.
Der Bote begleitete mich auch auf dem Rückweg. Leise fragte er:
"Du hast den Führer beeindruckt. Er begleitet Boten nie vors Zelt.
Hast du etwas erreicht?"
"Nein." antwortete ich.
"Tut mir leid." sagte er teilnahmsvoll.
"Das ist Schicksal." antwortete ich und dachte, daß es eine
verdammt ausweglose Situation sei.
Ich war den ganzen Rückweg über ins Nachdenken vertieft. Im Dorf
klopfte der Bote mir zum Abschied so fest auf die Schulter, daß
ich auswich und sagte:
"Paß auf dich auf Junge, ich will dich als erwachsenen Mann
wiedersehen, wenn unser Heer siegreich nach Hause
zurückkehrt."
Ich glaubte, daß dieses riesige Heer niemals heimkehren würde.
Es wirkte zu ziellos. Ich lächelte und antwortete:
"Tschüß und laß dich nicht zu sehr von Tyrannen
knechten."
Rikon kam und fragte:
"Was hat er gesagt?"
"Später." sagte ich unwirsch.
Wie kam er dazu, solche Fragen in Gegenwart von Fremden zu stellen? Winkend
ritt der Bote davon.
"Rikon, wann ist die Versammlung der Dörfer?" fragte ich.
"Woher weißt du davon?" wunderte Rikon sich.
Welch blöde Frage. Natürlich mußte es eine Versammlung
geben. Ich wartete stumm, daß er endlich meine Frage beantwortete.
"Bei Sonnenuntergang", antwortete Rikon endlich.
"Gut. Ruf alle Krieger zusammen. Wir müssen vorher noch etwas
besprechen."
Rikon sah aus, als wolle er noch zehn Fragen stellen.
"Na los." befahl ich.
Er lief fort.
Ich ging zu Toris und erzählte ihm alles. Ich brauchte Rat.
"Du hast erstklassige Arbeit geleistet", sagte Toris als ich fertig
war, "aber sie war nicht gut genug."
Ich nickte bedrückt.
"Ich hätte es nicht besser machen können." versuchte
Toris mich zu trösten.
Doch ich wußte so gut wie er, daß das unserem Volk nicht helfen
würde.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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