Reinkarnationserinnerung - Ein Kriegerleben

FA12.

Der Bote

Ich saß neben Toris in der Versammlungshalle, als am nächsten Tag ein Bote mit einem großen braunen Pferd zu uns kam. Er verlangte den Anführer zu sprechen.

Meine Mutter forderte ihn auf, in die Versammlungshalle zu kommen, während ich hinausging, das Pferd fütterte und trockenrieb. Es war größer als unsere struppigen Ponys, machte auf mich aber einen übernervösen und unzuverlässigen Eindruck. Ständig legte es seine Ohren an, zuckte vor jeder leichten Berührung zurück und wollte mich beißen, als ich eine flache Wunde an seinem Hals säuberte und mit Heilsalbe bestrich. Er war nicht das Pferd, das ich gerne reiten würde, wenn es hart auf hart kommt.

Meine Mutter rief mich nachher zu ihr.

"Rundon, das ist ein Bote des Heeres, zu dem die Feinde gehörten, die wir gestern besiegt haben. Du begleitest ihn und hörst dir die Forderungen an, die ihr Anführer stellt. Sag ihm, was du für angemessen hältst."
Ich nickte und rief unser Familienpony, das sich gut gelaunt gegen meine Versuche wehrte ihm die Zügel anzulegen. Trotzdem saß ich schneller auf meinem Pferd, als der Fremde. Nebeneinander verließen wir das Dorf.

"Ihr seid ein merkwürdiges Volk", meinte der Fremde nach einer Weile, "Erst besteht eine Frau darauf, sie wäre Anführerin eurer Krieger, dann schickt sie ein Kind als Boten los. Habt ihr keine richtigen Männer?"
"Du machst einen Gedankenfehler. Daß eine Frau eine gute Anführerin ist und ein Kind ein guter Bote, macht Männer weder schwach noch dumm. Im Gegenteil. Oder warum haben wir gestern gesiegt?"
Der Mann lachte:
"Reden kannst du wenigstens, Bursche!"
Ich lachte ebenfalls und ergänzte:
"Kämpfen auch."
"Wieviele wart ihr eigentlich?" fragte er.
"Was hat euer Mann erzählt?" fragte ich.
"Doppelt so viele, wie unsere Leute. Sag schon, wie viele wart ihr?" antwortete der Mann.
Ich lachte und erwiderte:
"Ihr unterschätzt uns."
"Noch mehr?" fragte er ungläubig.
Ich lachte wieder und entgegnete, daß wir unsere Feinde nicht über militärische Geheimnisse aufzuklären pflegen. Er sah mich ganz merkwürdig von der Seite an.

Der Weg gab den Blick in ein Tal frei, in dem es von Wagen, Lagerfeuern und Bewaffneten wimmelte. Kinder waren keine zu sehen.
"Was wird euer Anführer von uns verlangen?" fragte ich, wieder ernst geworden.
"Kinder als Unterpfand, daß ihr uns nicht angreift."
"Was macht er mit den Kindern?"
"Wir kümmern uns natürlich um sie und sie helfen im Troß."
"Verlangt er von jedem besiegten Feind Kinder?"
"Ja."
"Wieviele Länder habt ihr erobert?"
"Die halbe Welt! Wir sind das größte Heer, was es gibt!"
"Du lügst."
Sonst müßte das Heer zur Hälfte aus Kindern bestehen. Undenkbar. "Doch, ich sage die Wahrheit, du würdest staunen, wo wir überall schon waren."
"Was macht ihr mit Kindern, die ihr nicht brauchen könnt?" fragte ich streng.
"Na ja, wenn sie nicht arbeiten, werden sie getötet, wenn wir weit genug von hier weg sind. Aber was kann man da machen? Ich bin nur ein einfacher Soldat." antwortete der Mann verlegen.
Ich nickte. So hatte ich mir das vorgestellt.
"Wir hätten einen solchen Anführer abgesetzt." antwortete ich.
"Aber das ist Meuterei." rief er entsetzt.
"Nein. Gerechtigkeit." widersprach ich.
Er warf mir einen merkwürdigen Blick zu.

Wir ritten zu einem großen Zelt im Zentrum des Lagers. Manche Leute sahen uns neugierig nach, die meisten schienen uns kaum zu bemerken. Vor dem Eingang standen, offen sichtbar, zwei lächerlich bunt gekleidete Wachen mit Waffen, die für meinen Geschmack zu lang und zu schwer waren. Man konnte sie leicht unbemerkt umgehen.
"He, du solltest einen Boten mitbringen, kein Kind!" rief einer von ihnen.
"Das ist der Bote." antwortete der.
Es schien ihm peinlich zu sein.

In dem Augenblick öffnete ein großer rotblonder Mann die Zeltklappe und fragte, was los sei.
"Dieses Kind will Bote sein!" sagte eine der Wachen.
Langsam ging mir dieses alberne Verhalten auf die Nerven. Würdevoll sagte ich:
"Wenn ihr einen Boten des Kriegervolkes sprechen wollt, bin ich das. Es steht euch frei, unser Dorf alleine oder mit bis zu drei bewaffneten Begleitern zu besuchen, um mit dem Rat zu verhandeln. Wer höflich um Einlaß bittet, wird unbeschadet heimkehren."
"Könnt ihr keinen Erwachsenen schicken?"
"Wir diskutieren mit Fremden nicht über die Auswahl unserer Boten." lehnte ich ab.
"Wo ist das Zeichen, daß du der richtige Bote bist?" forderte er zu wissen.
"Zum Verhandeln brauche ich meinen Kopf und meinen Mund. Beides habe ich dabei." antwortete ich und begann mich langsam über dieses alberne Geplänkel zu amusieren.
"Dann komm herein."
Ich stieg vom Pferd, streifte ihm den Zaum ab und sagte:
"Warte." Das Pony stieß mich noch einmal kräftig mit seiner weichen Nase an, dann fing es an zu grasen. Ich lächelte und betrat das Zelt.

"Wenn ihr nicht innerhalb von zehn Tagen zwanzig Kinder als Geiseln schickt, komme ich mit dem ganzen Heer und zerquetsche euer Dorf zwischen den Fingern."
Ich staunte über seinen Hochmut.
"Ihr schient zu glauben, daß die, die ihr gestern geschickt habt, reichen, uns zu besiegen. Ihr habt euch geirrt. Woher nehmt ihr die Sicherheit, daß ihr uns diesmal richtig einschätzt?" fragte ich.
"Wieviele Krieger kann ein so kleines Nest schon ernähren?" sagte er verächtlich.
"Offensichtlich mehr als ihr dachtet." entgegnete ich. Langsam wünschte ich, meine Mutter wäre da.
"Es mag sein, daß übertriebene Forderungen zu unangenehmen Folgen führen." deutete ich an.
Der Mann starrte mir drohend in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick, bis er zu lächeln begann und meinte:
"Du bist ein kluger Bursche. Richte deinem Volk mein Ultimatum aus."
Sein Lächeln war verschwunden, als wäre es nie dagewesen. Er fürchtete die Macht unseres Volkes.
"Wir greifen niemanden an. Wir wehren Angriffe nur ab." versuchte ich ihn zu beruhigen.
"Es ist mein Ernst."
Hinter seinen Worten lag eine solche Härte, daß ich wußte: ich konnte seine Meinung nicht ändern.
Ich nickte.

Danach bot er mir eine gute warme Malzeit an, so daß ich mich vor meiner Rückkehr noch stärken konnte. Als ich wieder auf mein Pony stieg, das brav auf mich gewartet hatte, sagte der Führer des Heeres:
"Langsam beginne ich zu verstehen, warum sie ausgerechnet dich geschickte haben."
"Eine Entscheidung hat mehr als einen Grund und man zieht jeden möglichen Irrtum des Feindes in Betracht." antwortete ich mit unbewegten Gesicht.
"Oh, du Halunke!" lachte der Mann halb wütend und fragte: "Sag mal, stimmt es, daß eure Krieger keine Befehle bekommen?"
"Ein schneller Befehl, hilft maches Mal, unnötige Fehler zu vermeiden." umging ich eine direkte Antwort.
"Ich wußte es doch!" freute er sich, daß sein Vorurteil bestätigt war.
Ich behielt mein unbewegtes Gesicht bei. Nur schlechte Krieger erkennen ihre Aufgabe nicht. Befehle gaben wir bei ungewöhnlichen Kriegslisten und brauchten dazu keine Hauptleute.

Der Bote begleitete mich auch auf dem Rückweg. Leise fragte er:
"Du hast den Führer beeindruckt. Er begleitet Boten nie vors Zelt. Hast du etwas erreicht?"
"Nein." antwortete ich.
"Tut mir leid." sagte er teilnahmsvoll.
"Das ist Schicksal." antwortete ich und dachte, daß es eine verdammt ausweglose Situation sei.
Ich war den ganzen Rückweg über ins Nachdenken vertieft. Im Dorf klopfte der Bote mir zum Abschied so fest auf die Schulter, daß ich auswich und sagte:
"Paß auf dich auf Junge, ich will dich als erwachsenen Mann wiedersehen, wenn unser Heer siegreich nach Hause zurückkehrt."
Ich glaubte, daß dieses riesige Heer niemals heimkehren würde. Es wirkte zu ziellos. Ich lächelte und antwortete:
"Tschüß und laß dich nicht zu sehr von Tyrannen knechten."
Rikon kam und fragte:
"Was hat er gesagt?"
"Später." sagte ich unwirsch.
Wie kam er dazu, solche Fragen in Gegenwart von Fremden zu stellen? Winkend ritt der Bote davon.

"Rikon, wann ist die Versammlung der Dörfer?" fragte ich.
"Woher weißt du davon?" wunderte Rikon sich.
Welch blöde Frage. Natürlich mußte es eine Versammlung geben. Ich wartete stumm, daß er endlich meine Frage beantwortete.
"Bei Sonnenuntergang", antwortete Rikon endlich.
"Gut. Ruf alle Krieger zusammen. Wir müssen vorher noch etwas besprechen."
Rikon sah aus, als wolle er noch zehn Fragen stellen.
"Na los." befahl ich.
Er lief fort.

Ich ging zu Toris und erzählte ihm alles. Ich brauchte Rat. "Du hast erstklassige Arbeit geleistet", sagte Toris als ich fertig war, "aber sie war nicht gut genug."
Ich nickte bedrückt.
"Ich hätte es nicht besser machen können." versuchte Toris mich zu trösten.
Doch ich wußte so gut wie er, daß das unserem Volk nicht helfen würde.

Kersti


FA13. Kersti: Fortsetzung: Eine schwere Entscheidung.
FA11. Kersti: Voriges: Kindheit / Erwachsen
FAI. Kersti: Inhaltsübersicht: Ein Kriegerleben
FA1. Kersti: Zum Anfang: Kindheit / Mein erster Kampf
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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