Reinkarnationserinnerung - Ein Kriegerleben

FA21.

Woher Kinder kommen

Wieder eine Woche später ging ich weit den Weg nach außerhalb hinunter und betrachtete das Tal, in dem damals das riesige feindliche Heer gelagert hatte. Seltsam, daß mich die ganze Welt außerhalb als Kind nicht interessiert hatte.

Ich sah, wie ein Wagen den Weg hochkam. Ein struppiges, graues Pony war davor gespannt und eine Frau mit einem Baby saß auf dem Bock. Direkt vor mir hielten sie an, die Frau stieg ab und legte mir das Kind in die Arme. Ich strich ihm liebevoll durchs Haar und sah die Frau fragend an. Sie drehte sich um, stieg auf den Bock und wendete das Pferd.

"Halt." rief ich "Was machst du?"
"Ihr braucht doch Kinder, oder?" fragte sie.
"Ja. Aber willst du das Kind denn nicht selber behalten? Es ist doch so ein schönes Kind!"
"Mach damit, was du willst." sagte die Frau schroff, knallte mit der Peitsche und fuhr im Gallopp davon.
Ich starrte ihr fassungslos nach, hielt das Kind in den Armen und konnte nicht glauben, was ich erlebt hatte. War es wirklich möglich, daß eine Frau freiwillig ihr eigenes Kind weggab? Freiwillig? Mein gesamtes Weltbild war ins wanken geraten.

Erst als das Kind mit lautem Schreien seinen Hunger kund tat, raffte ich mich zusammen, ging ins Dorf und gab es einer Frau, die es an die Brust legte. Abends nahm sie es endgültig als ihren Sohn an.

Regia

Drei Tage später fand ich ein etwa drei Jahre altes Mädchen gefesselt auf dem Weg liegen. Sie weinte herzzerreißend. Ich befreite sie von den Fesseln und fragte, was geschehen sei.
"Meine Mutti will mich nicht mehr." sagte sie.
"Was hat sie denn gemacht?"
Sie erzählte, das ihre Mutter sie hierhergebracht hatte und ihr erzählt hatte, daß sie bei uns bleiben müsse. Wir wollten Kinder wie sie.
"In einem hat sie recht. Wir würden uns freuen, wenn du bei uns bleibst. Wir freuen uns über jedes Kind, das wir als Tochter oder Sohn in unseren Familien aufnehmen dürfen."
"Aber ich will zu Mutti!" protestierte sie.
"Gut, dann werden wir beiden sie suchen. Aber wenn es so ist, wie du erzählt hast, sehe ich keine Hoffnung, daß sie dich wieder mit nach Hause nimmt." sagte ich und rief das Pferd.

Es gab nur einen Weg aus unserem Tal heraus und die meisten Besucher machen bei dem einzigen Bauern am Wegesrand Halt. Er bot für ein geringes Entgeld Essen an. Dort fanden wir die Mutter des Kindes. Das Mädchen stürmte zu ihr hin und flehte sie an, sie wieder mit nach Hause zu nehmen. Die Frau sah mich an:
"Wollt ihr das Kind nicht?"
"Doch. Aber sie will nicht." antwortete ich.
"Hör auf zu jammern, Regia. Du bleibst bei diesem Krieger und damit basta."
Das Mädchen brach erneut in Tränen aus, ihre Mutter gab ihr eine Ohrfeige und schickte sie zu mir. Regia weigerte sich und weinte noch mehr. Die Frau legte sie übers Knie und setzte an, sie noch mehr zu schlagen. Da griff ich ein, nahm das Kind auf den Arm, streichelte sie und erklärte:
"Regia, du siehst, was deine Mutter tut. Ich weiß nicht warum, aber sie will dich nicht mit heim nehmen. Sie liebt dich, schau, sie weint, weil sie dich so geschlagen hat. Aber es wird dir nichts übrig bleiben, als mit mir zu kommen, denn bei ihr hast du keine Heimat mehr."
Auch die Mutter war in Tränen ausgebrochen.

Schweigend streichelte ich das Kind das nun leise, aber sehr verzweifelt weinte, trug Regia hin und her, bis sie sich beruhigt hatte. Dann fragte ich sie, ob sie sich von ihrer Mutter verabschieden wolle.
"Nein. Mit der rede ich nie mehr." sagte sie.
Ich nickte - ließ mir aber erklären, wo die Frau wohnte. Ich konnte die Wut des Kindes verstehen. Erfahrungsgemäß dauert ein solches "nie" dennoch nicht ewig.

Wie ist es möglich, daß eine Mutter ihr Kind so im Stich lassen will? Da ich aus meiner eigenen Kindheit nur ein ständiges "Wir haben zu wenig Kinder" kannte, war ich vollkommen unfähig, ihre Beweggründe nachzuvollziehen. Ich sah nur das Leid des Kindes - und der Mutter - und konnte nicht fassen, was ich sah.

Später fragte ich den Bauern, dem der Hof gehörte:
"Warum geben diese Leute ihre Kinder weg?"
"Armut, Rundon." antwortete der Mann "Bevor eine Mutter ihr Kind verhungern läßt, gibt sie es weg, damit es anderswo gesund groß werden kann."
"Aber sie sahen doch gar nicht so verhungert aus." sagte ich.
"Noch nicht. Aber der Winter steht vor der Tür. Sie werden keine Wintervorrräte haben - zumindest nicht genug, um selbst davon satt zu werden."
Unsere Bauern lagerten aufgrund der Erfahrung, daß es im Winter immer, wenn das Wetter es erlaubte, Gäste gab, ein vielfaches der für die Dörfer selbst notwendigen Vorräte ein.

Am Ende des darauffolgenden Jahres hatten wir so viele Kinder, als hätte jede Frau, die in den letzten fünf Jahren ein Kind zur Welt gebracht hat, Zwillinge bekommen. Wir teilten sehr junge Kinder zu ihrer Betreuung ein und teilten sie gleichzeitig einer Familie zu - in der in der Hälfte der Fälle die Eltern keine vierzehn Jahre alt waren. Ich war täglich Stunden damit beschäftigt, nachzuschauen, daß wirklich niemand zu kurz kam.

Hinzu kam, daß es in jenen Tagen durch den Hunger außerhalb sehr viele Räuberbanden gab. Keine dieser Banden bestand wirklich aus Kämpfern. Aber dennoch waren sie bedrohlich für uns, denn wir hatten einfach zu wenige Erwachsene. Jeder der verletzt wurde, war eigentlich unentbehrlich und wir wußten nicht, wie wir das entstandene Loch stopfen sollten. Bald zählten wir schon die zehnjährigen als erwachsen.

Und dennoch überstand das Dorf die nächsten fünf Jahre und die ersten der Kinder von Außerhalb wurden erwachsen. - Das heißt zehn Jahre alt. Und damit verdoppelte sich die Anzahl der Erwachsenen von einem Jahr auf andere.

Zwei Jahre danach gab es einen wirklich großen Angriff. Mehr Feinde als beim letzten Angriff, an den ich mich erinnern konnte und der für das Dorf so verheerend gewesen war. Regia, meine erste Pflegetochter von Außerhalb wurde bei diesem Angriff so schwer verletzt, daß sie bald darauf starb. Dennoch hatten wir wenige ernsthafte Verletzungen - viel weniger als damals, denn wer müde oder leicht verletzt war, hatte sich hinter die Linien der anderen zurückziehen und behandeln lassen können, statt weiterkämpfen zu müssen. Wir waren eben wirklich genug gewesen.

Der Bauer Harun an der Grenze zu außerhalb erzählte mir später, daß die wenigen, die fliehen konnten, völlig entsetzt gewesen waren, von einer Schar Kinder besiegt worden zu sein.

Danach in den Jahren ging es dann stetig aufwärts, weil wir alle älter, größer und stärker wurden. Das übliche Heiratsalter stieg beinahe unmerklich zuerst auf vierzehn und dann auf fast achtzehn Jahre an. Dann schließlich beauftragten wir den Bauern Harun, bekanntzumachen, daß wir nur noch Kinder zwischen zwei und fünf Jahren annehmen.

Kersti


FA22. Kersti: Fortsetzung: Krieger kennen keine Gnade
FA20. Kersti: Voriges: Zu wenige
FAI. Kersti: Inhaltsübersicht: Ein Kriegerleben
FA1. Kersti: Zum Anfang: Mein erster Kampf
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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