Reinkarnationserinnerung - Ein Kriegerleben

FA23.

Ausserhalb

Der Weg hinaus in die Welt führte an einem einzelnen, großen Bauernhof vorbei. Ich war der einzige Krieger, der oft genug bis zu diesem ersten Hof außerhalb unserer kleinen Welt geritten war, um sagen zu können, daß ich Harun, den Besitzer kannte. Ich ritt auf den Hof und klopfte an die Haustür. Harun öffnete.
"Darf ich hier übernachten?" fragte ich.
Er sah mich an und fragte bestürzt:
"Rundon, was ist denn mit dir los?"
"Sie haben mich verstoßen." antwortete ich.
"Komm herein Rundon. Möchtest du etwas essen?" fragte er besorgt.

Ich schüttelte den Kopf. Bei dem Gedanken wurde mir übel.
"Ich möchte jetzt nur schlafen." sagte ich.
Der Bauer rief seiner Frau zu, daß sie ein Bett für mich machen solle und forderte mich auf, vor dem Kamin der Wohnstube Platz zu nehmen. Ich setzte mich auf den Stuhl und ließ den Kopf in die Hände sinken.
"Du hast das nicht verdient. Du bist so ein guter Mensch. Warum haben sie gerade dich verstoßen?"
Ich hätte mich am liebsten in einem Mauseloch verkrochen.
"Bitte verschone mich heute mit Fragen zu diesem Thema. Das ist das letzte, worüber ich jetzt reden möchte." flehte ich, ohne den Kopf zu heben.
Er platzte fast vor Fragen. Doch statt sie zu stellen, erzählte er eine Geschichte:
"Mein Vater erzählte immer: Das Kriegervolk sind unheimlich stille, friedliche Nachbarn. Nur ein einziges Mal kam eine Kriegerin bis hierher. Es war eine hochgewachsene, katzenhaft geschmeidige Frau, die höflich anklopfte und bat, bei uns schlafen zu dürfen. Sie sah so mitgenommen aus, daß ich es nie übers Herz gebracht hätte, sie fortzuschicken. Ich fragte sie, was geschehen sei. Bereitwillig anwortete sie: "Ich habe einen der Unseren getötet und bin deshalb verstoßen worden." Am nächsten Morgen bedankte sie sich für die Gastfreundschaft und ritt fort. Ich fand ihre Leiche noch am selben Tag. Sie hatte sich selbst die Kehle durchgeschnitten."
"Wenn du das wissen willst: Nein, ich werde nicht Selbstmord begehen. Ich weiß aber auch nichts, für das es sich zu leben lohnen würde." beschwichtigte ich ihn.
Harun setzte an, mich von der Schönheit des Lebens zu überzeugen.
"Es ist, als wäre ich neugeboren - inklusive Geburtsschmerzen. Ich bin neu in dieser Welt Außerhalb und weiß zu wenig darüber, um mir begründete Hoffnungen machen zu können. Ich werde lernen und zurechtkommen." sagte ich sanft.
Er betrachtete mich prüfend und akzeptierte meine Worte. Bald darauf ging ich zu Bett.

Als ich wieder erwachte, saß Harun neben mir. Ich war überrascht.
"Du bist noch da?" fragte ich.
"Du sahst so mitgenommen aus, daß ich dich nicht alleinlassen wollte. Meine Frau und ich haben abwechselnd an deinem Bett Wache gehalten."
Ich zog mich an, nahm mein Schwert vom Kopfende des Bettes, gürtete es, kämmte und flocht mein langes, schwarzes Haar.
"Danke. Eine solche Geste hätte ich außerhalb des Kriegerdorfes nicht erwartet. Bei uns sagt man: Die Menschen von Außerhalb können nicht richtig lachen, nicht richtig weinen und nicht glücklich sein. Damals als Geisel habe ich erschreckend viel Herzlosigkeit gesehen. Vielleicht habe ich nur die schlechtesten Seiten der Welt Außerhalb erlebt. Ein Heer, wo Kinder vergewaltigt und ermordet werden und Frauen, die ihre Kinder loswerden wollen." sagte ich nachdenklich.
Harun nickte:
"Ein schrecklicher Haufen, dieses Heer. Daß es dir gelungen ist, 18 der 19 Kinder heil wieder mit nach Hause zu bringen, ist eine unglaubliche Leistung für das halbe Kind, das du damals warst."
"Es ist besser gelaufen, als ich hoffen konnte. Gilt das Angebot mit dem Essen noch? Jetzt habe ich Hunger." fragte ich.
"Weißt du, wie lange du geschlafen hast? Zwei Nächte und einen Tag."
"Das wundert mich nicht. Ich konnte die Nacht davor nicht schlafen." antwortete ich.
"Was ist im Kriegerdorf passiert? Warum haben sie dich verstoßen?" fragte der Bauer.
"Nach dem Essen", wehrte ich lächelnd ab, "Eine Geschichte gehört richtig erzählt."

Ich hatte überhaupt keine Lust, darüber zu reden. Das ging noch zu tief. Aber ich war der Ansicht, daß er ein Recht hatte, die Wahrheit zu erfahren. Also erzählte ich nach dem Essen in allen Einzelheiten, was geschehen war.
"Du bist verrückt. Warum bist du nicht geblieben?" rief der Bauer heftig.
"Harun, überleg nur, welche Wirkung das auf das Kriegervolk gehabt hätte. Sie haben mich als den zukünftigen Anführer betrachtet. Sie hätten gelernt, daß ein Führer sich alles erlauben kann, während die Schwächeren sich an die Gesetze halten müssen. Jeder andere hätte an meiner Stelle bleiben dürfen, wenn das Dorf ihn darum bittet. Ich als Führer dagegen muß jedes Gesetz doppelt ernst nehmen." widersprach ich.
"Wenn man dir zuhört, könnte man meinen, daß Anführer sein nur aus Pflichten besteht."
"So ist es. Ein Anführer hat doppelt bis drei mal so viel zu tun, wie ein einfacher Krieger und niemand, der nicht führt, merkt es auch nur. Immer muß man alles im Auge behalten, darauf achten, daß jede Arbeit erledigt wird, daß niemand zu kurz kommt. Immer wenn etwas schief läuft, fragt man sich: Bin ICH dafür verantwortlich? Hätte ich das verhindern können? Auch bei Rikon: Hätte ich irgendetwas für ihn tun können, um diesen Kampf zu verhindern?"
"Du bist verrückt. Rikon wollte dich ermorden!" protestierte er.
"Trotzdem. Rikon muß hochgradig verzweifelt gewesen sein, um diesen Kampf zu beginnen. Wenn er gewonnen hätte, wäre er verstoßen worden und hätte Selbstmord begangen. Ich habe mir schon lange Sorgen um ihn gemacht. Ich wünschte, ich hätte gewußt, was ihm wirklich fehlt, damit ich etwas tun konnte. Jetzt habe ich ihn selbst erschlagen. Andererseits, ich liebte meine Pflichten. Es ist wunderschön, das Dorf zu betrachten, das nun mehr Einwohner hat als in meiner Kindheit und mir sagen zu können: Das ist mein Werk. Ohne mich würden hier nur noch Ruinen stehen. Ich liebe das Kriegerdorf, jede Kriegerin, jeden Krieger, jedes Kind. Ich würde mein Leben für sie geben, wenn nötig."
"Rundon, wenn du willst, kannst du als Knecht bei mir arbeiten." bot Harun mir an.
"Ich würde es versuchen. Aber an deiner Stelle würde ich mir noch einmal sehr gut überlegen, ob du wirklich einen Mann einstellen willst, der von der Arbeit, die er tun soll, nicht mehr Ahnung hat, als ein Krabbelkind. Ich bin Krieger, das einzige, was ich gelernt habe, ist kämpfen." entgegnete ich ernst.
"Übertreib nicht. So schlimm kann das nicht sein."
"Doch. Harun, Bauern bauen Getreide an - wir lernen gerade mal, daß wir es nicht zertrampeln dürfen. Bauern haben Gemüsegärten. Wir essen das Gemüse nur auf. Bauern hüten Vieh. Uns interessiert daran nur, daß wir es nicht jagen dürfen. Bauern nähen Kleider. Wir holen sie fertig im Bauerndorf ab. Bauern kaufen ein. Wir stellen einen Wächter auf, der aufpaßt, daß die Händler keine Dummheiten machen. Auch der Schmied und die Heilerin sind Bauern. Wir sind Krieger und nur Krieger. Das einzige, was wir lernen, ist kämpfen."
Heute denke ich, ich hätte sein Angebot annehmen sollen.

Kersti


FA24. Kersti: Fortsetzung: Erster Auftrag
FA22. Kersti: Voriges: Krieger kennen keine Gnade
FAI. Kersti: Inhaltsübersicht: Ein Kriegerleben
FA1. Kersti: Zum Anfang: Mein erster Kampf
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
Sonstiges
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