Reinkarnationserinnerung - Ein Kriegerleben

FA26.

Den Tod auf die Reise schicken...

Im Jahr darauf nahm ich wieder in einen Bauerndorf den Auftrag an, eine Räuberbande zu besiegen. Wieder versuchte ich die Räuber einzeln oder zu zweit zu erwischen, wieder gelang mir das eine Weile, doch am Ende hatte ich die halbe Bande auf einmal gegen mich. Und wieder habe ich sie alle besiegt.

Mein letzter Gegner war ein junger Mann. Er war noch ausgeruht und unverletzt, doch das nützte ihm nichts gegen die überlegene Ausbildung, die ich im Kriegervolk erhalten hatte. Mit wenigen schnellen Bewegungen entwaffnete ich ihn und drängte ihn mit dem Rücken an die Felswand. Einen Augenblick zögerte ich. Es gab keinen Grund zur Eile. Ich hatte gesiegt und mein Gegner keine Chance zu entkommen. Er erkannte die Aussichtslosigkeit der Lage. Stolz richtete er sich auf und sah mich herausfordernd an. Ich erwiderte seinen Blick, bewunderte ihn. Er hatte einen Stolz, der ihn befähigte, auch in aussichtslosen Situationen sich selbst treu zu bleiben. Er hatte den Mut, unbekanntem und großen Gefahren gegenüberzutreten, wenn die Zeit dazu gekommen war. Er hatte den Willen eine ganze Ewigkeit der Hoffnungslosigkeit durchzustehen, um ein Ziel zu erreichen, das ihm wichtig erschien. Er dachte in Liebe und Trauer an die seinen, die ich im Verlauf weniger Tage alle erschlagen hatte. Er hatte all jene Eigenschaften, die ihn bei meinem Volk zu einem der besten Krieger hätten werden lassen.

Ich wünschte mir, diese Fähigkeiten ausgebilden zu können. Ich wollte ihn nicht töten. Ich steckte mein Schwert ein und sagte:
"Ich brauche einen Übungspartner für den Winter. Willst du mit mir kommen?"
Zuerst schaute der Junge sehr erstaunt. Dann dachte er darüber nach und ein böses Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Der Gedanke, erst von mir zu lernen, was ich ihn lehren konnte und dann dieses Können zu verwenden, um Rache zu nehmen, gefiel ihm. Ich lächelte bei dem Gedanken, daß er mich vermutlich für vollkommen verrückt erklärt hätte, hätte er gewußt, daß ich ihn durchschaut hatte. So hielt er mich für dumm. Ich führte ihn zu meinem Winterversteck.
Er hieß Karon. Es war ein seltsames Gefühl, diesen jungen Mann auszubilden. Er dachte wohl, ich wollte ihn ärgern und ließ ihn deshalb üben, bis er vor Erschöpfung in Tränen ausbrach. Er ahnte nicht, daß ich haargenau die Ausbildungsmethoden anwandte, durch die ich selber als Kind gelernt hatte, zu kämpfen. Immer wieder spürte ich seine Blicke in meinem Rücken, wußte, daß er wieder einmal Rachepläne schmiedete. Wir schliefen an entgegengesetzten Enden der Höhle und ich erwachte jedesmal, wenn er sich meinem Schlafplatz näherte. Mehrmals erwischte ich ihn dabei, daß er schon das Messer in der Hand hatte, mit dem er mich im Schlaf hatte erstechen wollen. Ich lächelte dann nur und fragte ihn, warum er denn so dämlich mit dem Messer herumfuchteln würde. Er fand immer eine Ausrede. Auch ich habe ihn oft nachdenklich betrachtet, beobachtet, wie er sich in dem Winter veränderte. Zuerst war Karon einfach ein normaler Räuberjunge, der mich zutiefst haßte und verabscheute. Ich erzählte ihm viel über mein Leben, meine Heimat. Ich erklärte ihm die Gesetze des Kriegervolkes und würzte das mit Erläuterungen zu Kampfstrategien und Kriegslisten, um ihn zum Zuhören zu animieren. Er hörte zu, um meine Schwächen kennenzulernen. Er suchte nach einem Weg, wie er mich möglichst sicher besiegen konnte. Er wurde ausgeglichener und innerlich stärker.

Es war Frühjahr. Gemeinsam begaben wir uns hinunter auf den Weg nahe unseres Verstecks. Dort wandte ich mich ihm zu und sah ihn an. Der Ausdruck seiner Augen verriet mir, daß er immer noch auf Rache sann. Wieder überlegte ich, ob es nicht sinnvoller wäre, ihn zu töten, bevor er mich töten konnte. Stattdessen verabschiedete ich mich und sagte:
"Ich wünsche dir viel Glück und Erfolg in allen Angelegenheiten außer einer." Ich lächelte als er davonritt.

Karon verstand die Andeutung nicht. Er glaubte, ich wüßte nicht, daß er sich rächen wollte. Gedankenverloren schwang ich mich auf mein treues, altes Pferd und ritt in die andere Richtung davon.

Eigentlich hätte ich einen Auftrag gebraucht, um mir die Vorräte für den nächsten Winter leisten zu können. Wenn ich auf den Straßen einem fremden Krieger begegnete, so teilten wir eine Malzeit und ich forderte ihn zu einem Übungskampf heraus. Ich genoß diese Kämpfe, die bewiesen, daß ich immer noch die Fähigkeiten hatte, die es mir ermöglicht hatten, ganze Räuberbanden allein zu besiegen. Doch ich hatte nicht den Wunsch, so etwas noch einmal zu machen. Es ging nicht um das Risiko. Nein, im Grunde hatte ich Gefahren immer geliebt, solange ich das Gefühl hatte, sie bewältigen zu können.

Jahre waren inzwischen vergangen. Ich hatte ein Kind von außerhalb zum Krieger ausgebildet. Ich hatte sehr viele Menschen im Kampf getötet und die Menschen von Außerhalb kennen und verstehen gelernt. Nichts war so einfach, wie es im Kriegerdorf gewesen war, wo die Bauern im Tal nicht mit Waffen umgehen konnten. Die Bauern hier sind nicht so friedlich wie die Bauern des Bauernvolkes. Kein Kampf kann ihnen Sicherheit bieten. Ich habe ganze Räuberbanden ausgerottet. Doch sind neue Banden an ihre Stelle getreten und die Bauern werden weiterhin ausgeraubt. Fürsten verlangen Steuern und verhalten sich dabei meist auch nicht besser als Räuber. Ich bezweifelte, daß meine Kämpfe irgendeinen Sinn gehabt hatten.

Die Möglichkeit an jenem Fürstenhof zu bleiben und den Sohn des Fürsten weiter zu erziehen, hatte ich mir verbaut, indem ich darauf bestanden hatte, dem Jungen meine Grundsätze zu vermitteln und nicht in der kleinsten Kleinigkeit davon abzugehen. Ich bereuhte es nicht. Doch das Töten hatte ich satt. Räuber sind auch Menschen, Menschen die durch irgendwelche unglücksseligen Zufälle keine andere Möglichkeit gefunden hatten zu überleben. Sie hatten auch gute und liebenswerte Eigenschaften. Ich wollte nicht mehr meinen Lebensunterhalt auf diese Weise bestreiten. Doch ich hatte nichts gelernt als die Kampfkunst. Ich beherrschte nicht einmal die elementarsten Arbeiten, die jeder kleine Bauernjunge lernt, bevor er fünf ist. Ich verlegte mich auf die Jagd und tauschte das erjagte Fleisch gegen Dinge die ich benötigte. Die Fürsten beanspruchten das Recht auf Jagd ausschließlich für sich, aber darum brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Sie fanden mich nicht.

Wenn ich in einfacher Bauernkleidung ein Dorf betrat, hörte ich die Gerüchte die über mich umgingen. Die meisten dieser Geschichten waren lächerlich übertrieben. Manche gaben auch beinahe unverändert Ereignisse wieder, die tatsächlich geschehen waren. Ich führte immer wieder einmal jemanden an einem Hinterhalt vorbei, den Räuber gelegt hatten, um Reisende auszurauben. Ich kenne das Land besser als sie. Zeit verging und es gab jedes Jahr einen oder zwei Krieger, die prahlen konnten, sie hätten einen Winter mit mir geübt. Einige von ihnen liefen zum nächsten Fürsten, um die Lage meines jeweiligen Winterlagers zu verraten und zu erzählen, was ich ihrer Meinung nach im Verlauf des Sommers vorhätte. Das hatte ich ihnen natürlich nicht verraten. Sie setzten das Gerücht in die Luft, daß ich eine Armee sammeln würde um sämtliche Fürsten der Gegend abzusetzen. Ich wüßte nicht, wozu das hätte gut sein sollen.

Kersti


FA27. Kersti: Fortsetzung: Wandlung
FA25. Kersti: Voriges: Im Fürstenhof
FAI. Kersti: Inhaltsübersicht: Ein Kriegerleben
FA1. Kersti: Zum Anfang: Mein erster Kampf
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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