Reinkarnationserinnerung - Helden leiden länger

FB9.

Eine Lektion in Respekt

In den folgenden Wochen gab es noch zwei Angriffe auf den König, die beide erfolgreich abgewehrt wurden. Bei dem einen wurde Karm getötet, bei dem zweiten gab es nur zwei leichte Verletzungen.

Zwei Monate nach dem Attentat besuchte ich Gared wie jeden Abend in seinem Haus. Nachdem wir uns im Wohnzimmer niedergelassen und die erste Tasse Tee gemeinsam getrunken hatten, eröffnete ich das Gespräch mit den Worten:
"Langsam weiß ich nicht mehr, was ich tun soll. Ich weiß, daß sie es besser können, aber alle Männer bringen nur die halbe Leistung, die sie früher gebracht haben. Außer denen, über die du gerade Aufsicht führst. Und wir wissen, woran es liegt. Sie wollen dich, nicht mich als Gardehauptmann. Kariv hat es mir gesagt."
"Kariv hat es dir ins Gesicht gesagt. Das war ehrlich und anständig. Und er tut seine Arbeit, wie er sie immer getan hat, wenn nicht besser. Er sollte nicht bestraft werden. Die anderen sagen es hinter deinem Rücken. Schalar, Ilon und Gerid sind die schlimmsten Unruhestifter. Gerid ist der Rädelsführer."
Ich schwieg und fragte mich, wie er das herausbekommen hatte. Vielleicht war es für ihn einfacher. Schließlich ging es ja nicht gegen ihn. Mit ihm redeten die Männer, mit mir nicht, nicht wirklich jedenfalls. Sie bestätigten meine Befehle, weil sie es mußten - und das wars.
"Ich gebe dir den Ratschlag nicht gerne, weil es nicht gut für die Disziplin ist, wenn der Hauptmann zu solchen Mitteln greift. Aber langsam fällt mir nichts anderes mehr ein. Wenn Gerid dir das nächste mal irgendwie quer kommt, forderst du ihn zum Kampf. Mit Holzschwertern oder - nein mit echten Schwertern. Du bist gut genug, daß er dich nicht verletzen wird. Und dann verprügelst du ihn mit der flachen Klinge nach Strich und Faden. Sollte das nicht reichen, nimmst du dir nach ein paar Tagen die anderen beiden vor. Die Leute werden wissen, wofür die drei bestraft werden, auch wenn du es nicht sagst."

Am Morgen machte ich die Runde um den Hof und befragte sie Wachen - es waren nicht viele - aber zumindest an jedem Tor mußten immer zwei stehen - damit einer bleiben konnte, wenn der andere unerwartete Gäste ins Haus begleitete.

Ich begrüßte sie und fragte, ob während der Nacht etwas Unerwartetes vorgefallen war. Es war wie immer. Eigentlich hätten sie mir unaufgefordert alles erzählen sollen, was wichtig sein könnte. Besser zu viel als zu wenig - und statt dessen mußte ich ihnen die Würmer aus der Nase ziehen. Wenn Gared mit ihnen sprach, erzählten sie es ihm dann, so daß ich abends dann immer wieder erfuhr, daß ich nicht alles aus ihnen herausbekommen hatte, was ich hätte wissen müssen.

Am Haupttor war Gerid eingeteilt, mit Kainer. Ich begrüßte sie wie immer und fragte, ob etwas besonderes vorgefallen sei.
"Nein, nicht wirklich."
"Und was war das nicht wirkliche?" fragte ich zurück.
"Nichts Besonderes." antwortete Gerid.
"Gerid ich will nicht wissen, was es alles nicht war. Ich will wissen was es war." sagte ich und an Gerids Gesicht konnte ich ablesen, daß er bemerkt hatte, daß irgendetwas anders war als sonst.
"Eigentlich ist es nicht von Bedeutung."
"Gerid, es reicht. Du hast lange genug gegen mich gehetzt. In einer halben Stunde ist Wachablösung. Dann ziehst du dich um und in einer Stunde erwarte ich dich mit scharfen Schwertern zum Duell in der Übungshalle." sagte ich.
"Mit scharfen Schwertern?" fragte Gerid fassungslos.
"Mit scharfen Schwertern und auf Leben und Tod. Das heißt wenn du gewinnst, hast du dein Ziel erreicht. Ich fürchte nur, dann wird dich Gared entlassen. Er hat etwas gegen Unruhestifter." sagte ich mit einem leichten Lächeln.
"Aber..."
Gerid war bei dieser Vorstellung schneeweiß geworden und überlegte offensichtlich, ob es einen Ausweg gäbe. Wir beide wußten, daß ich der bessere Kämpfer war. Das war zwar keine Garantie, daß ich den Kampf überlebe. - Oder zumindest Gerid besiege. Bei einem Kampf kann viel schiefgehen. Aber im Gegensatz zu mir hatte Gerid schreckliche Angst vor dem Tod. Und ich hatte ihm ja nicht verraten, daß ich ihn nur verprügeln wollte. Ich sah ihm ruhig in die Augen, starrte ihn regelrecht nieder, während er nicht wußte wo er hinschauen sollte. Kainer starrte mich fassungslos an.
"In einer Stunde sehen wir uns in der Halle." wiederholte ich und ging.

Gerid kam. Wäre er nicht gekommen, hätte er seine Ehre verloren und das Land verlassen müssen. Er wäre von allen als Feigling verachtet worden. Ich lächelte Gerid zu und fragte ihn:
"Bist du bereit, der Ehre genüge zu tun?"
"Ja." antwortete er, obwohl er gar nicht so aussah, als würde er selber das glauben.
"Gut. Dann tritt in den Kreis." antwortete ich.

Der Kreis war in die Fliesen des Bodens eingefügt. Ein kunstvolles Muster, das aber nur einem Zweck diente: Das Kampffeld für Duelle festzulegen. Nicht jedes Duell wird auf Leben und Tod geführt. Nicht jedes geht um ein ernstes Thema. Meist ist es nur ein Freundschaftskampf mit stumpfen Waffen, der um irgendeine Kleinigkeit geht, mehr aus Spaß am Kämpfen als alles andere geführt. Diesmal war es aber toternst - zumindest von Gerids Seite.

Am Anfang meiner Kadettenzeit war ich ein sehr schlechter Schüler gewesen. Ich hatte zu viele Bilder vor meinem inneren Auge, was Kampf eigentlich sein sollte, um mich auf die langweiligen Schlagübungen wirklich konzentrieren zu können. Und meine Frustration darüber war wohl die Ursache für meine vielen Streiche. Und nach zwei Jahren regelmäßigen Trainings - jeden Tag vier mal zwei Stunden - schlug es plötzlich um und ich war von einem Tag auf den anderen besser als die meisten Gleichaltrigen. Irgendwie lag das wohl daran, daß es mir endlich gelungen war, die inneren Bilder mit der äußeren Realität in Einklang zu bringen. Und jetzt bin ich der beste Kämpfer der Garde. Glaube ich zumindest. Bei Tanis bin ich mir nicht so sicher, ob er vielleicht mir gewachsen sein könnte. Gerid jedenfalls war eher mittelmäßig. Er hatte keine Chance.

Wir beiden traten in den Kreis und standen uns schweigend gegenüber. Gerid sah mich an und versuchte seine panische Angst unter Kontrolle zu bekommen. Ich wartete. Als es ihm einigermaßen gelungen war, änderte er leicht seine Stellung - und ihm wurde plötzlich bewußt, daß ich noch gar nichts getan hatte. Ich sah Gerid schweigend an und erwartete seinen ersten Angriff. Es verwirrte ihn sichtlich, daß ich ihm bei einem ernsthaften Kampf alle Vorteile ließ. Damit der Kampf die psychologische Wirkung erzielte, die ich erreichen wollte, mußte ich das tun.

Innerlich ruhig und körperlich vollkommen entspannt stand ich ihm gegenüber. Ich spürte jedes Gefühl, jeden Gedanken von ihm, registrierte jede noch so geringe Änderung der Muskelspannung. Als er schließlich angriff, schlug ich ihm mit einer Bewegung, die er nicht kannte, die Klinge aus der Hand. Kommentarlos trat ich zur Seite und forderte ihn mit einem Nicken auf, sie wieder aufzuheben. Ihm taten durch meinen harten Schlag die Handgelenke weh. Er nahm wieder die Bereitschaftshaltung an, zitterte jetzt aber leicht. Ich griff an und schlug ihm das Schwert ein zweites mal aus der Hand. Auf meinen Wink hin hob er es auf und griff mich wütend an. Wieder landete sein Schwert am Boden. Er sprang hin und griff danach. Ich schlug ihm das Schwert mit der flachen Kinge über den Rücken, als er herumfuhr schlug ich noch einmal auf die Wangen. Es blieb ein blutiger Kratzer zurück. Dann schlug ich ihm so heftig auf den Ellenbogen, daß seine Hand sich von alleine öffnete und er das Schwert nur noch in einer Hand hatte. Ich lenkte seinen nächsten Schlag von mir ab, schlug wieder mit der flachen Klinge zu, wieder und wieder, bis er in die Knie sank - nicht weil er das wollte, sondern weil seine Beine ihm nicht mehr gehorchten. Ich prügelte weiter auf ihn ein. Er sank auf dem Boden zusammen, leise wimmernd, die Hände umklammerten krampfhaft das Schwert, das zu heben, ihm nicht mehr gelang. Er glaubte, ich würde ihn mit der flachen Klinge zu Tode prügeln und bemühte sich um Tapferkeit, denn aufgeben durfte er der Ehre entsprechend genausowenig, wie er vor diesem Kampf hätte fliehen können. Schließlich, als er auf mich den Eindruck machte, als wäre er ungefähr in dem Zustand, in dem der Arzt beim Auspeitschen das Ende fordert, trat ich aus dem Kreis und befahl den Männern, ihn ins Bett zu bringen und den Arzt zu schicken. Er tat mir leid - aber er hatte mir auch keine andere Wahl gelassen. Er hatte reichlich bewiesen, daß er im Guten nicht hören wollte.

Ich wusch mich und zog mir warme Sachen an, dann ging ich zum Haus des Arztes und wartete, daß er von seiner Arbeit zurückkehrte.
"Und. Bin ich zu weit gegangen?" fragte ich als der Arzt schließlich kam.
"Er wird überleben und hat keine ernsthaften Folgen für seine Gesundheit zu befürchten, wenn du das meinst." sagte der Arzt in einem feindseligen Tonfall.
"Gott sei dank." antwortete ich erleichtert.
Der Arzt sah mich überrascht an.
"Ich wollte ihn nicht umbringen, ich wollte ihn auch nicht ernsthaft verletzen. Es war nur dringend notwendig, ihm eine Lektion zum Thema Respekt vor seinem Hauptmann zu erteilen. Und bisher hat nichts anderes funktioniert." erklärte ich.
"Aber es hieß, das sei ein Duell auf Leben und Tod!"
"Das sollte Gerid auch denken. Aber wenn ich ihn hätte töten wollen, wäre er jetzt tot. Oder meinst du, ich bin zu dumm, ihm den Kopf abzuschlagen, wenn er es schon nicht mehr schafft das Schwert zu heben?" fragte ich.
"Nein."

Einen Monat und drei weitere erfolglose Attentate später saßen Gared und ich abends bei einer Tasse Tee zusammen. Diesmal war es Gared, der das erste Wort sprach:
"Der Graf von Longhold meinte, hier würden meine Fähigkeiten nicht richtig gewürdigt. Er hat mich gefragt, ob ich die Führung seiner Wache übernehmen wolle."
"Und. Was hast du gesagt?"
"Daß ich es mir noch einmal überlegen werde."
Ich sah ihn nachdenklich an.

"Wirst du ohne mich zurechtkommen?" fragte er.
Ich überdachte die letzten Monate. Ohne seine Hilfe hätte ich es wirklich nicht geschafft. Aber im letzten Monat waren meine Fragen an ihn immer seltener geworden. Und die Männer hörten auf mich, schienen sogar inzwischen der Überzeugung zu sein, daß ich ein guter Hauptmann bin. Und - ja - ich würde jetzt allein zurechtkommen. Ich staunte immer noch, daß er bereit gewesen war, mich all die Zeit so rückhaltlos zu unterstützen, obwohl ich den Posten hatte, den er sich immer gewünscht hatte und alle anderen gegen mich gewesen waren.

"Du solltest es machen. Du wirst nie wieder eine solche Chance kriegen." sagte ich, dann grinste ich "Und sollte sich wirklich noch ein Problem finden, für das ich deine Hilfe brauche, werde ich dich dort besuchen. So weit ist es nicht bis Longhold."
"Bist du dir sicher?" fragte er.
"Ja. Und es ist genau der Posten, den du hier haben wolltest. Kariv wird dann mein Stellvertreter. Er hat bewiesen, daß er gut genug ist, um notfalls die Garde übernehmen zu können, sollte mir etwas passieren." erklärte ich.
Seit dem Attentat kam mir immer wieder der Gedanke, daß es sein könnte, daß ich nicht alt würde. Nichts, das mich beunruhigte. Ich hatte nur das Gefühl, vorsorgen zu müssen.

"Korith, eins muß ich dir noch sagen." sagte Gared ungewöhnlich ernst zu mir.
Ich sah ihn fragend an.
"Du bist wirklich so gut, wie ich gedacht habe. So einen Mann wie dich gibt es nur alle drei Generationen einmal."
Das konnte ich nicht glauben - auch wenn ich spürte, daß es ihm damit hunderprozentig ernst war.
"Ich werde mit dem König reden, daß er sein Einverständnis gibt." sagte ich.
"Danke." antwortete er.

Kersti


FB10. Kersti: Fortsetzung: Gefährliche Freiheit
FB8. Kersti: Voriges: Mein Bruder...
FBI. Kersti: Inhaltsübersicht: Helden leiden länger
FB1. Kersti: Zum Anfang: Das Attentat
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
Sonstiges
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