Also stand ich auf und schaute nach, was Kariv mein Stellvertreter so
machte. Er trainierte gerade mit den Kadetten, als ich in die Halle kam.
Sofort kam alles zum Stocken und er schaute zu mir herüber.
"Weitermachen!" rief ich laut und ging am Rand der Halle entlang zu
ihm hinüber.
Er erklärte zwei Kadetten, was sie falsch machten, schaute
zwischendurch aber immer wieder zu mir herüber. Als ich bei ihm
angekommen war, wartete ich ruhig, bis er den letzten Satz zuendegesprochen
hatte und sich mir zuwandte.
"Ich wollte dich fragen, ob ich für ein, zwei Wochen beim
Kadettentraining mitmachen kann, bis ich wieder einigermaßen auf
dem Damm bin." sagte ich.
"Du solltest beim Training nicht mitmachen, du solltest hier
unterrichten." widersprach er.
"Da würde ich aber jedem meiner Männer nach einer solchen
Verletzung etwas anderes erzählen. Nein, erst einmal muß ich
mich darum kümmern, daß ich körperlich wieder
einigermaßen in Form komme. Dann kann ich wieder Befehle erteilen.
Jedenfalls gilt das so lange, wie ich einen so guten Stellvertreter habe,
wie du es bist. Außerdem werde ich für eine Weile noch mit
anderen Dingen beschäftigt sein, ehe ich mich ums Training
kümmern kann. Darüber müssen wir noch miteinander reden.
Und die Männer werden davon profitieren, mal ein anderes Training zu
haben."
Er schaute immer wieder zu mir herüber, während ich mit den
Vierzehnjährigen zusammen die einfachen Grundschläge übte.
Ich hielt nur die Hälfte der Zeit durch, dann ging ich hinaus, wusch
mich, zog trockene Sachen an und fragte, wo der König ist.
Sie schickten mich zu seinem Zimmer, wo er gerade die Haushaltsbücher
durchschaute. Nachgerechnet hatte sie jemand anders - aber auch er brauchte
einen gewissen Überblick über Einnahmen und Ausgaben und deshalb
schaute er sich nicht nur die Jahresabrechnung an sondern diesmal auch das
Haushaltsbuch selber. Ich grüßte ihn.
"Du bist auf?" fragte er erstaunt.
"Ja. Ich habe beschlossen, mich wieder als gesund zu betrachten."
antwortete ich.
"Und was sagt der Arzt dazu?"
"Ich habe ihn nicht gefragt." antwortete ich.
"Und - bist du wieder gesund?"
"Na ja - ich habe das Kadettentraining mitgemacht. Nach der Hälfte
konnte ich nicht mehr." Ich grinste.
"Paß nur auf daß du dich nicht überforderst. Du hast
deine Verwundung nur ganz knapp überlebt. Denk an deinen Bruder."
sagte er ernst.
An meinen Bruder dachte ich nicht gerne. Es war ein zu trauriges Thema. Es
wurde immer schlimmer mit seinem Trinken.
"Ich weiß. Und ich glaube nicht, daß ich mich
überfordert habe. Ich habe aufgehört, lange bevor ich wirklich
am Ende war. Aber irgendwann muß ich meinen Körper auch wieder
an die Bewegungen des Kampfes gewöhnen."
Er sah mich skeptisch an. Ich lächelte ironisch.
"Aber eigentlich wollte ich etwas anderes mit dir besprechen. Du wirst
dich in Zukunft nicht damit abfinden immer überallhin zehn Gardisten
mitzunehmen, oder?" fragte ich.
Er sah mich lange schweigend an. Ich erwiderte seinen Blick unverwandt.
"Nein. Damit werde ich mich nicht abfinden." sagte er
schließlich fest.
"Nun, dann will ich Dir einen anderen Vorschlag machen. Ich will eine
Sondertruppe der Palastgarde ausbilden - zehn Mann, die entweder dich in
Zivil begleiten, oder, wenn du den Eindruck erwecken willst, allein
unterwegs zu sein, sich unauffällig in erreichbarer Nähe
aufhalten, um Dir rechtzeitig zu Hilfe kommen zu können, wenn jemand
dich angreift. Außerdem bestehe ich darauf, daß du jeden Tag
mindestens zwei Stunden das Kämpfen trainierst, damit wir in einem
solchen Fall überhaupt genug Zeit haben, um dir helfen zu
können." sagte ich.
"Und du gibst keine zwei Zentimeter mehr nach, wie?" fragte er in
einem seltsam resignierten Tonfall.
"Nein. Ich gebe keine zwei Zentimeter mehr nach. Weißt du,
innerhalb eines halben Jahres habe ich zehn Anschläge auf dein Leben
miterlebt. Und ich will nicht, daß du bei dem nächsten
umkommst. Also ist das das beste, was ich dir anbieten kann. Denn eine
bessere Welt kann ich dir nicht herbeizaubern." sagte ich.
"Und dir auch nicht." sagte er leise und traurig.
"Und mir auch nicht." antwortete ich.
Und mir kamen die Tränen. Ich konnte nichts dagegen tun. Das war am
Vormittag.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
Ich freue mich über jede Art von Rückmeldung, Kritik, Hinweise auf interessante Internetseiten und beantworte Briefe, soweit es meine Zeit erlaubt.