Reinkarnationserinnerung - Helden leiden länger

FB17.

Ein hundsgemeines Heiratskomplott

Zwei Monate später hatte ich Streit mit meinem König um ein leidiges Thema, bei dem sein Bruder auch nicht weitergekommen war.
"Fang du nicht auch noch damit an. Ich denke gar nicht daran zu heiraten! Ich werde mich ganz bestimmt nicht mit einem dieser aufgeblasenen albernen Gören abgeben, die nichts anderes als Spiegel, Gekichere und Männerjagd im Kopf haben!" fuhr mich mein König an.
Ich verbarg ein Schmunzeln hinter der Hand. Dann wäre er nämlich wirklich ärgerlich geworden.

Es stimmte schon: Genau das waren die Eigenarten, die man von den jungen adeligen Damen bei festlichen Angelegenheiten zu sehen bekam. Aber genausowenig wie in allen anderen Gesellschaftsschichten, waren diese jungen Edeldamen alle wirklich so. Es gab auch unter ihnen welche, die sich mit sinnvollen Dingen abgaben. Es gab keinen Weg, den König zu einer Heirat zu zwingen - aber ich fand, daß er eine Frau brauchte. Kein albernes verwöhntes Ding sondern eine echte Partnerin, die ihm einen Teil der Regierungsverantwortung abnehmen konnte. Er war einfach zu einsam.

Es war nicht schwer gewesen, herauszufinden, welche der Mädchen vernünftig waren, etwas im Kopf hatten und ein paar Interessen mit meinem König teilten. Und dann mußte ich mir nur noch etwas einfallen lassen, daß Geron diese Seite seiner zukünftigen Frau auch zu sehen bekam...

Ich ging zum Stall wo die Pferde der Gäste aus Longhold untergebracht waren, die heute morgen angekommen waren. Gared kam mir entgegen und sah mich an. Ich lächelte ihm zu und fragte:
"Wo ist sie?"
"Im Stall und striegelt ihr Pferd."
Ich nickte und ging hin. "Sie" war ein fünfzehnjähriges Mädchen. Gerade mal im heiratsfähigem Alter und trug einfache Reitkleidung. Tatsächlich war sie eine Edeldame - aber im Augenblick hätte ein unaufmerksamer Beobachter sie für einen der Kadetten halten können.
"Sie striegeln ihr Pferd selbst?" fragte ich anerkennend.
"Ja. Er genießt es immer so."
Liebevoll ließ sie den Blick über ihr Pferd gleiten, das sich unter den gleichmäßigen festen Strichen des Striegels behaglich streckte.

Ich betrachtete amusiert den feurigen Hengst, der ihr gehörte. Er war schön - aber gewiß nicht das, was man als das passende Pferd für eine Dame betrachtet - obwohl Gared mir erzählt hatte, daß er sich bei offiziellen Anlässen so verhielt, als wäre er eines - aber nur unter dieser Reiterin. Es hieß, niemand anders könne das Pferd reiten. Und sie hatte ihn selbst zugeritten.

Lächelnd hielt ich ihm die Hand hin und er schnaubte leise hinein. Als er mich ausgiebig begrüßt hatte, begann ich sacht, ihn zu streicheln. Er war ein sehr liebes Tier. Er hatte nur sehr bestimmte Vorstellungen davon, wer auf ihm reiten durfte und wer nicht. Und sie hätte es nie zugelassen, daß ihn jemand zu irgendetwas zwingt. Ich fragte mich, ob ich ihn mit etwas Geduld dazu bewegen könnte, mich reiten zu lassen.

Eine Weile redeten wir über Pferde dann fragte sie:
"Darf ich eine persönliche Frage stellen?"
"Ja." antwortete ich, denn mir war schon klar, welche Frage folgen würde:
"Wo haben sie ihren Arm verloren?"
Ruhig erzählte ich, was dazu geführt hatte.
"Sag mal, ist der König es wert, daß man so etwas für ihn tut?" fragte sie.
Ich warf ihr einen überraschten Blick zu. Niemand stellt einem Leibwächter eine solche Frage. Es wurde als selbstverständlich betrachtet, daß er sein Leben für seinen Herrn gibt. Andererseits mußte sie wissen, daß ihr Vater versuchte, sie mit dem König zu verheiraten. Allerdings ging er es völlig falsch an. Dann wurde ich nachdenklich.
"Für mich: Ja. Ich liebe ihn wie einen jüngeren Bruder. Ich bin heilfroh, daß er noch am Leben ist, auch um den Preis, daß ich einen Arm verloren habe. Aber er selbst konnte es sich lange nicht verzeihen, daß er mich in diese Situation gebracht hat. Und ich weiß nicht, wie ich damit hätte leben sollen, wenn ich damals nicht dagewesen wäre, um ihn zu verteidigen und wenn er gestorben wäre." antwortete ich ruhig.

"Wenn ich einen Arm verloren hätte, würde ich nicht mehr leben wollen." sagte sie.
Ich sah sie wieder überrascht an. Ich sah vielen Menschen an, wenn sie meinen Armstumpf betrachteten, daß sie genau das dachten. Und dann gingen sie mir mit ihrem nutzlosen Mitleid auf den Geist. Diese Direktheit gefiel mir.
"Das war für mich nie eine Frage. Ich wußte immer, daß ich leben will. Weißt du, das Leben ist so reich an Möglichkeiten. Selbst wenn man schwer behindert ist bleibt immer noch mehr übrig, als man je nutzen könnte." erklärte ich.
Sie musterte mich nachdenklich und nickte dann ruhig.

"Es heißt, daß Menschen die ein Körperteil verloren haben oft ein Leben lang Schmerzen haben." fuhr sie fort.
"Das stimmt. Die meiste Zeit brennt mein verlorener Arm wie Feuer. Und es hat sich, seit ich wieder auf den Beinen bin, nicht gebessert. Also gehe ich davon aus, daß ich für den Rest meines Lebens diese Schmerzen haben werde." erklärte ich und lächelte.
"Du bist ein merkwürdiger Mensch. Ich würde Dich gerne besser kennenlernen." sagte sie.

"Wir werden in zwei Stunden mit einigen Mitgliedern der Garde einen Ausritt machen. In Zivil, um nicht so aufzufallen. Das heißt, deine jetzige Kleidung wäre angemessen. Wer nicht genau hinschaut, wird dich für einen der Jungen halten, aber das macht den Ritt nur entspannter."
"Aber kann es dann nicht passieren, daß wir zu spät zum Essen kommen und wäre der König dann nicht beleidigt?"
"Ich kann Dir garantieren, daß wir rechtzeitig zurück sein werden." sagte ich, denn es war wirklich unmöglich, daß wir unpünktlicher zurückkommen würden als der Käönig.
Sie sagte zu.

Zwei Stunden später kam mein König in Bauernkleidung mit seinem Pferd aus dem Stall. Das Mädchen stand schon mit ihrem Hengst neben mir und wir unterhielten uns entspannt. Unsere beiden Pferde standen fertig gesattelt und aufgezäumt bereit und mußten von Zeit zu Zeit ermahnt werden, daß jetzt nicht der richtige Zeitpunkt zu einem kleinem Spaßkampf war. Eigentlich mochten sie einander. Die anderen Männer waren auch schon bereit.
"Geron, das ist Lira. Sie kommt heute mit." sagte ich.
Mein König nickte nur und schmunzelte. So abgekürzt - eingentlich hieß sie Liranna - klang es nach dem Namen eines Bauernmädchens und er dachte, ich hätte ein Mädchen gefunden, das mir gefiel. Irgendwo stimmte das ja auch. Sie war wirklich etwas Besonderes. Aber das war meiner Erfahrung nach ein guter Maßstab dafür, was ihm gefiel. Mein Mädchen hätte er auch gerne geheiratet, wenn das nicht aus gesellschaftlichen Gründen vollkommen undenkbar gewesen wäre. Ich hatte ihm damals nicht verraten, daß wir heiraten wollten.

Ich fand einige Ausreden, warum ich während des Rittes wenig Zeit hatte, mit ihr und dem König zu reden. Nicht so wenig, daß es auffällig gewesen wäre - aber so wenig, daß sie miteinander ins Gespräch kamen und sich bald nicht mehr voneinander losreißen konnten. Es sah also gut aus.

Nach dem Ausritt trennten wir uns. Alle hatten es eilig, sich in Schale zu werfen, um rechtzeitig zum Essen zu kommen, denn wir waren ziemlich spät dran. Ich mußte sehr aufpassen, um bei all der Eile nicht allzu auffällig zu grinsen, weil es so gut lief. Am Tisch saß sie direkt neben dem König. Er hatte zugeben müssen, daß es unhöflich gewesen wäre, wenn er auf einer anderen Tischdame bestanden hätte. Wir kamen herein. - Alles stand noch, denn niemand setzte sich vor dem König. Ich blieb einen Schritt hinter dem König zurück. Als Leibwächter würde ich während des Essens hinter dem König stehen und erst nach der Malzeit essen. Und diesmal hatte ich mich selbst zur Wache eingeteilt. Als wir hereinkamen drehte sich das zierliche Mädchen in den kostbaren Kleidern um, erkannte den König wieder und starrte ihn wie vom Donner gerührt mit offenen Mund an. Auch der König starrte sie fassungslos an und dann begannen beide gleichzeitig zu lachen. Ich schmunzelte. Es hatte funktioniert.

Der Vater des Mädchens fragte ungehalten, was denn los sei. Niemand antwortete. Die beiden lachten nur noch lauter. Die zweite Wache war nicht eingeweiht und war deshalb ebenso verwirrt wie der Rest der Tischgesellschaft.
"Liranna, wo hast du ihn kennengelernt?"
"Das kann ich nicht sagen. Er hat gesagt, wenn ich ihn verrate, wird er dafür sorgen, daß ich Prügel bekomme." antwortete sie immer noch prustend.
"Wo habt ihr euch kennengelernt!" fauchte der Fürst den König an, und vergaß über seinem Zorn sämtliche Umgangsformen.
"Das kann ich nicht sagen. Sie hat gesagt, daß ich Prügel bekomme, wenn ich verrate, wo wir uns kennengelernt haben." antwortete der König und lachte noch mehr.

In dem Augenblick sah der Fürst mich an und erkannte, welche Mühe ich mir geben mußte, um nicht ebenso laut zu lachen wie die beiden.
"Wo haben die beiden sich kennengelernt?" fragte er mich, ohne drohenden Unterton.
"Das kann ich nicht sagen. Wenn sie es nicht sagen wollen, dann steht mir das erst recht nicht zu." antwortete ich und irgendwie gelang es mir, meinem Gesicht eine einigermaßen ernste Miene aufzuzwingen, denn ich hätte mir es kaum erlauben können, ihn auszulachen.
"Was ist hier eigentlich los?" fragte er empört in die Runde.
"Ein hundsgemeiner Heiratskomplott." brachte mein König heraus und begann wieder zu lachen.
Der Fürst starrte mich durchdringend an. Ich mußte mich sehr beherrschen um nicht ebenso zurückzustarren, aber das wäre meiner Stellung unangemessen gewesen.
"Wie fühlt man sich so, wenn seine Intrigen durchschaut werden?" fragte er.
"Das ist bei einem hundsgemeinen Heiratskomplott vollkommen unerheblich, sobald er aufgegangen ist, Herr. Dann wollen beide Parteien nämlich heiraten." erklärte ich und schaute ihm offen in die Augen.

"Und wie ist der Komplott abgelaufen?"
"Ich habe ihnen lediglich vor Augen geführt, daß sie gemeinsame Hobbys haben, Herr." antwortete ich.
"Welche Hobbys?"
"Sie stehen im Stall und wiehern."
Der Fürst sah mich nachdenklich an und nickte dann verstehend. Ich hatte es nicht direkt gesagt, aber es mußte ihm klar sein, daß die beiden einen gemeinsamen Ausritt gemacht hatten, ohne zu wissen, wer der jeweils andere war. Also beide in Verkleidung. Und er hatte es seiner Tochter verboten, sich in ihrer einfachen Reitkleidung vor dem Mann zu zeigen, den sie seiner Ansicht nach heiraten sollte. Sie sollte schließlich keinen schlechten Eindruck machen. Es ging aber weder seiner Tochter noch dem König jetzt noch darum, daß der Fürst das nicht erfahren sollte. Da der Heiratskomplott aufgegangen war, würde der Vater dazu nichts mehr sagen. Sie waren nur beide zu sehr miteinander beschäftigt, um dem Fürsten angemessen zu antworten.

"Können wir uns nachher einmal unter vier Augen sprechen?" fragte der Fürst mich.
Ich sah meinen König fragend an. Er nickte.
"Ja." antwortete ich.
Ich sagte dem Küchenmädchen, das gerade Wein hereintrug, daß sie in der Wache melden solle, daß ich nach dem Essen Ablösung brauche.

Kersti


FB18. Kersti: Fortsetzung: Du bist ein merkwürdiger Mensch
FB16. Kersti: Voriges: Er sollte heiraten
FBI. Kersti: Inhaltsübersicht: Helden leiden länger
FB1. Kersti: Zum Anfang: Das Attentat
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
Sonstiges
Kersti: Hauptseite
Kersti: Suche und Links
Kersti: Über Inhalt, Philosophie und Autorin dieser Seite

Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/     E-Mail an Kersti
Ich freue mich über jede Art von Rückmeldung, Kritik, Hinweise auf interessante Internetseiten und beantworte Briefe, soweit es meine Zeit erlaubt.