"Außerdem habe ich noch eine Bitte. Ich würde euch gerne
einem jungen Drachen vorstellen. Wenn ihr die Zeit dazu findet,
würde es mich freuen, wenn ihr ihn kennenlernt und dann ein
psychologisches Profil erstellt."
"Aber warum? Das macht man doch, um Menschen zu überwachen."
fragte sie erstaunt.
"Einerseits habt ihr sowieso den Auftrag psychologische Profile zu
erstellen - andererseits wird ein realistisches psychologisches Profil
dem Drachen vermutlich das Leben retten. Drachen werden als viel
gewalttätiger betrachtet, als sie sind."
"Drachen sind gewalttätig. Ich habe bis gestern zwei Mädchen
betreut, die für eine Gegenüberstellung bereitgehalten wurden.
Sie waren völlig verstört."
"Das war ich damals aber nicht. Du mußt bedenken, daß der
Planet belagert wurde und jeder Drache wußte, daß ihm
vermutlich in ein paar Tagen bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen
würde. Von den etwa 7000 Drachen, die hier lebten, sind nur noch
drei am Leben. Ein frisch geschlüpfter - er ist hier. Einer, der
zwei Meter lang ist, im Zoo von Doraithe und ein Ei im Brutschrank dieses
Zoos. Meines Wissens hat es in diesen Tagen zwar viele Drohungen und
Wutanfälle gegeben, aber kein einziger Drachenreiter wurde verletzt.
Es ist bedauerlich, daß die Mädchen mitten in diesen
Hexenkessel hineingeraten sind. Sie wußten nicht, wie Drachen
denken, und deshalb kann ich nur zu gut verstehen, wie viel Angst sie
gehabt haben müssen, zumal ich in der Zeit auch nicht sehr
ausgeglichen war und sie manchmal angebrüllt habe." antwortete
ich.
"Und wir wissen immer noch nicht, was aus dem dritten Mädchen
geworden ist..."
"Nicht? Sie ist hier und kümmert sich um den jungen Drachen. Wenn
ihr mich hier herauslaßt, kann ich sie euch zeigen."
erklärte ich.
Sie sah mich sehr merkwürdig an. Dann schloß sie die Tür
wieder auf und folgte mir durch die Gänge des Gefängnisses.
Schließlich schloß sie die Tür zum Gefängnishof
auf, auf dem sich der junge Drache sonnte. Daeraith schaute auf und
lächelte mir zu. Ich dachte ihr zu, daß die Frau neben mir
Psychologin sei und Persönlichkeitsprofile von uns erstellen solle.
Die Psychologin stellte sich ihr mit denselben Worten vor, mit denen sie
sich auch mir vorgestellt hatte. Und Daeraith gab ihr dieselbe Antwort.
Die Psychologin warf mir einen sehr merkwürdigen Blick zu. Ich
lächelte ironisch, berührte den Geist des Drachen und bat
ihn, mit der Psychologin geistig Kontakt aufzunehmen.
Dann beobachtete ich aufmerksam den Geist der Frau. Der Drache stellte mit der ihm angeborenen Leichtigkeit Kontakt her und übertrug ihr einen Gedankenkristall, der die Frau in absolute Verwirrung stürzte, weil er wie üblich viel zu kompliziert war.
Daeraith und ich lachten und erklärten ihr, daß es ganz normal sei, daß man einen Drachen nur versteht, wenn er alles extrem vereinfacht hat.
"Aber du sagtest doch, daß hier das dritte Mädchen sei?"
meinte sie, nachdem sie sich wieder gefangen hatte verwirrt.
"Ich bin das dritte Mädchen. Dania war mein Name, jetzt
heiße ich Daeraith. Daera heißt mein Drache und ith
heißt so etwas wie Haustier oder Sklave." erklärte
Dhaeraith.
"Aber das kann doch gar nicht sein - die anderen waren doch so
verstört!"
"Sie haben ja auch keinen Drachen." antworteten wir im Chor und
brachen dann in Lachen aus, weil wir das nun wirklich nicht beabsichtigt
hatten.
"Aber... wie ist das möglich?"
"Was macht einen guten Psychologen aus?" fragte ich zurück.
"Ein Psychologe muß jeden seiner Patienten so lieben und achten
wie er ist."
"Ein Drache, wenn er schlüpft, sucht einen Menschen. Er sucht
einen Menschen und nur einen Menschen und wenn er keinen Mensch findet
ist er unglücklich. Findet er aber einen Menschen ist er absolut
seelig. Der Mensch mag aussehen, wie er will, der Drache findet ihn
schön. Ganz gleich wie sein Charakter ist, der Drache findet ihn
liebenswert. Jeder Drachenreiter, den ich schon kannte, bevor er seinen
Drachen bekam, hat sich nach der Gegenüberstellung zum Positiven
entwickelt. Und was Angst vor Drachen angeht: Wenn man weiß wie
Drachen denken - und das weiß jeder Drachenreiter - dann weiß
man auch, daß sie niemals absichtlich einen Menschen verletzen
würden. Und das ist bei ihrer Größe ein echtes
Glück." erklärte ich.
"Während der Angriffe haben Drachen Menschen getötet."
"Ja. Weil es um ihr Leben ging. Aber all die Jahre davor habe ich
dergleichen nicht erlebt. Selbst die Verteidigungsflotte des Planeten
wurde von Menschen gebildet."
Die Psychologin schickte mich zurück in meine Zelle und ging los um sich die anderen anzusehen.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
Ich freue mich über jede Art von Rückmeldung, Kritik, Hinweise auf interessante Internetseiten und beantworte Briefe, soweit es meine Zeit erlaubt.