erste Version zwischen dem 11.5.2002 und dem 15.10.02

Das Drachenreich: Ich bin ein Zentaur

FE1.

Wissenschaftler sind eine Landplage

Vorgeschichte: FE1. Kersti: D

Kanandor, Gutsherr von Faht: Die Kosten-Nutzen-Analysen hatten ergeben, daß sich das Forschungsprojekt Zentaur lohnen würde. Es ist teuer, von Gen-Designern eine lebensfähige Eizelle mit einer neuen Art erschaffen zu lassen, aber es gäbe laut Marktanalyse genug interessierte Wissenschaftler, damit sich die Forschungen an den Prototypen schon an sich lohnen würden. Die Tantiemen an den Nachkommen der Zentauren würden es zu einem großen Geschäft machen.

Also investierte ich in das Projekt. Nach tausenden von Versuchen überlebten nur zehn Embryos die ersten Tage und konnten in die bereitstehenden Mutterstuten eingepflanzt werden. Sieben davon wuchsen an, doch zwei erwiesen sich bei den Schwangerschaftsuntersuchungen als Mißbildungen. So hatte am Ende jeder Anteilseigner der für die Experimente gegründeten Gesellschaft ein Zentaurenfohlen. Der Fötus der Mutterstute in Gut Faht wuchs gesund bis zur Geburtsreife heran.

Jorian, der Zentaur:
Liebkosend strich nach der Geburt eine warme rauhe Zunge über meinen Körper und leckte mein Fell sauber und trocken. Ich wurde wach und stand auf.

Klar war, daß das große vierbeinige Wesen mit dem braunen Fell vor mir meine Mutter sein mußte. Aufmerksam sah ich es an, und stellte fest: es sah anders aus als ich. Da, wo ich einen Oberkörper mit Armen und einem Kopf hatte, hatte es nur einen Hals und Pferdekopf. Komisch. Ich suchte zwischen den Beinen nach den Zitzen und trank mich satt, während die weiche Pferdeschnauze mich liebkoste.

Dann hob ich den Kopf, weil ich Schritte hinter mir hörte und sah Menschen mit Seilen und Stangen auf mich zukommen. Ich versteckte mich hinter meiner Mutter. Sie führten das Pferd zur Seite, legten mir ein Stachelhalsband mit Kette an und wollten mich wegziehen. Ich stemmte alle Viere in den Boden und ließ sie ziehen, bis Blut unter dem Halsband hervorquoll. Ich hatte Angst. Schließlich setzte sich jemand auf meine Mutter, band mich an ihr fest und ritt auf ihr. Da half alles Sträuben nichts, denn sie war stärker als ich. Ich fühlte mich bitter betrogen. Eigentlich sollte eine Mutter doch ihr Kind beschützen, oder? Sie zerrten mich zu einem großen sterilen Raum, wo ich mit Riemen aufrecht an ein Gestell gefesselt wurde. Dann pieksten sie mir in den Arm und ich verlor die Besinnung.

Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich mich benommen und hatte leichte Schmerzen wie von einem eingeschlafenen Fuß im ganzen Körper. Als sie mich wieder zurückführten, wehrte ich mich nicht mehr. Es hatte ja keinen Sinn.

Schon in den ersten Tagen schnappte ich einige Worte auf und lernte die Tür der Box von innen zu öffnen. Zentauren werden reifer gebohren als menschliche Babys, die erst im Alter von einem Jahr in der Lage sind, sprechen zu lernen.

Sie brachten mich jeden Tag mit den Mutterstuten und Fohlen auf die Weide. Dort war es entsetzlich langweilig. Mit den Fohlen konnte man zwar um die Wette rennen und raufen - sie waren genauso groß, stark und schnell wie ich. Aber richtig spielen konnte man mit ihnen nicht, denn sie waren dumm. Also öffnete ich das Weidentor und erkundete die Umgebung. Nachdem ich einmal die ganze Herde rausgelassen und dafür fürchterlich geschimpft bekommen hatte und ein weiteres mal, weil sie mich erwischt hatten, drei Tage in der dunklen Box bleiben mußte, die inzwischen ein Vorhängeschloß bekommen hatte, achtete ich darauf, daß es niemand bemerkte. Meine Mutter stand oft am Weidenzaun und wieherte hinter mir her, wenn ich meine einsamen Ausflüge machte.

Eines Tages kam ein kleines Menschenmädchen. Als ich es sah - es reichte nicht einmal bis zur Hüfte der großen Menschen, war ich hin und weg. So richtig zum spielen. Ich lief auf es zu. Das Kind verzog erschrocken das Gesicht. Ich hielt zögernd an und streckte meine Arme nach ihm aus.
"Bitte komm her."
Sie kam her und ich umarmte sie. Sie hieß Karima.

Sie wollte spielen. Leider verstand ich ihre Vorschläge nicht, weil ich die Dinge, von denen sie redete, nicht kannte. Also ging ich mit in ihr Zimmer. Meine Mutter pflockte ich vor dem Fenster an. Sie war zu dumm, daß man sie im Garten herumlaufen lassen konnte. Sie hätte glatt die Blumen gefressen. Daß sie nicht in die Wohnung scheißen darf, konnte ich ihr auch nicht erklären. Sie war halt nur ein Pferd. Ich sah mir alles an und staunte, daß sie Sachen hatte, die extra zum Spielen waren. In der folgenden Zeit spielten wir täglich miteinander.

Sie war die Tochter des Herrn des großen Gestüts, an dem ich lebte und überredete ihre Eltern, daß ich im Pferdewagen mitgenommen wurde, wenn sie wo hinfuhren. So war ich in der Stadt mit einkaufen, lernte die Kinder der mächtigen Familien der Umgebung kennen und spielte mit ihnen. Meine Mutter wurde nur mitgenommen, wenn sie für einen unerfahrenen Reiter ein braves Pferd brauchten.

Wissenschaftler, das müßt ihr mir glauben, sind eine Landplage. Sie stellen Fragen, deren Antwort wirklich nur ein Idiot nicht wissen kann. Bilden sich ein, sie wüßten besser, was ich denke, als ich. Behandeln mich, als wäre ich ein Gegenstand und wundern sich, daß ich einen eigenen Willen habe. Sie stechen mit Nadeln und machen lauter seltsame Untersuchungen, für die sie mich betäuben und nach denen man sich schlecht fühlt. Und sie verraten nie, was sie vorhaben. Außerdem lügen sie. Und dann gibt es auch noch ganze Schwärme von ihnen.

Alle paar Wochen kommen andere und jeder von ihnen hat eine neue schwachsinnige Idee, wie er mir auf die Nerven gehen kann. Das meiste tut schrecklich weh. Bei Anderen kommt der Arzt und hilft, wenn ihnen etwas wehtut. Nur ich kriege geschimpft wenn ich weine und sie sagen mir, ich bin nur dazu da, daß die Wissenschaftler so etwas mit mir machen. Und ich soll froh sein, daß sie mich überhaupt erschaffen haben, das hätte nämlich viel Geld gekostet. Ich habe gesagt, dann hätten sie es bleiben lassen sollen, ich will nämlich kein Zentaur sein.

Kanandor, Gutsherr von Faht:
Im Grunde war es ein Glücksfall, daß der kleine Zentaur sich meiner Tochter so eng angeschlossen hatte. Forschungergebnisse zeigen, daß im engen menschlichen Kontakt aufgezogene Nichtmenschen eine gesundere Persönlichkeitsentwicklung zeigen, gehorsamer sind und intelligenter werden.

Allerdings war es äußerst lästig, sich ständig sein Gejammere wegen der wissenschaftlichen Untersuchungen anzuhören. Schließlich beschloß ich, ihm einen Strafer einpflanzen zu lassen und ihn in Zukunft jedesmal zu bestrafen, wenn er über die Untersuchungen jammert.

Jorian, der Zentaur:
Einmal, als ich von der Betäubung einer Untersuchung aufwachte, hat der Wissenschaftler mich gefragt, wie ich mich fühle.
"Schlecht wie immer, wenn ihr eure Scheiß Untersuchungen gemacht habt." antwortete ich.
Dann rieb er Daumen und Zeigefinger aneinander und ich schrie auf, weil ich plötzlich am ganzen Körper Schmerzen hatte. Ich hätte sie am liebsten umgebracht! Er machte das noch einmal und sagte, daß er mich so lange bestrafen würde, bis ich mit dem Jammern aufhöre. Ich versuchte, die Tränen zu unterdrücken, doch es gelang mir nicht. Er folterte mich, bis mein Körper vor lauter Schmerzen gar nicht mehr weinen konnte.

Als ich das meiner Freundin Karima erzählte, hörte ihr Vater das, bestrafte mich genauso und sagte, daß ich nicht darüber weinen dürfte, weil ich dazu da sei und dankbar sein müßte, daß er mich überhaupt erschaffen hatte. Auch er folterte mich, bis ich mich nicht mehr rühren konnte. Karima weinte deshalb und wurde auch ausgeschimpft.

Ich begriff, daß niemand mir helfen würde, selbst wenn die Wissenschaftler mich umbringen und ich schwieg in Zukunft über meine Schmerzen und Ängste. Karima aber liebte ich um so mehr, denn sie hatte mir helfen wollen, auch wenn sie nicht die Macht dazu hatte.

Eine Woche später fehlte mir eine Hand, als ich wieder aufwachte. Ich sagte kein Wort, ging nur gehorsam in die Box und begann erst zu weinen, als ich mir sicher war, daß mir kein Mensch zuhörte. Da dachte ich zum ersten mal, daß ich sterben will.

Beim nächsten Mal bestand ich darauf, daß sie ihre Untersuchungen ohne Betäubung machten.
"Komm Kind. Wir machen eine Nervenfunktionsprüfung. Das tut schrecklich weh. Mit Betäubung ist es wirklich besser."
"Nein. Ich will keine Betäubung. Ihr lügt ja immer."
"Also gut. Wie du meinst."
Sie schnallten mich aufrecht an das Untersuchungsgestell und ließen die Betäubung weg.

Eine Nervenfunktionsprüfung ist eine grausame Folter, wenn man sie bewußt miterlebt. Jeder einzelne Nerv wird nacheinander so gereizt, daß er Schauer von Schmerzen durch den gesamten Körper jagt. Die Wissenschaftler beobachten dann, welcher Muskel zuckt. Bei Menschen wurde das manchmal unter Betäubung gemacht, wenn sie schwere Nervenverletzungen hatten, um herauszufinden, welche Nerven noch funktionstüchtig waren und ob sie richtig miteinander verschaltet waren. Bei mir hatten sie es in regelmäßigen Abständen gemacht, um herauszufinden, wie mein durch Gentechnik erzeugter Körper arbeitet.

Ich konnte nichts dagegen tun, daß ich mich in den Fesseln aufbäumte und vor Schmerzen schrie. So weh tat es. Immerhin sahen sie das ein und bestraften mich nicht auch noch dafür. Es dauerte über eine Stunde. Als sie fertig waren, hing ich zu Tode erschöpft in den Fesseln und versuchte verzweifelt, die Tränen zu unterdrücken, damit sie mich nicht auch noch deshalb folterten.

Jetzt wußte ich, warum ich nach Untersuchungen immer so naßgeschwitzt war und mich so elend fühlte.
"Na, sollen wir dich nächstes Mal nicht doch lieber betäuben?" fragte der Wissenschaftler in einem schmeichlerischen Tonfall.
Ich antwortete rebellisch: "Nein!"

Dann mußte ich täglich an ein Gerät, das die Narbe, wo sie die Hand abgeschnitten hatten, saumäßig wehtun ließ. Auch da weigerte ich mich, eine Betäubung zu akzeptieren. Ich fürchtete, daß sie noch mehr zerstören wollten. Tatsächlich begann die Hand nach einigen Wochen nachzuwachsen. Das hätte sie nicht von allein getan, wie ich durch die Verletzungen eines Stallburschen wußte, der bei einem Unfall ein Bein verloren hatte. Von da ab flickte er nur noch die Zaumzeuge, denn für andere Arbeit war er nicht mehr zu gebrauchen. Dabei war er einer von den wirklich netten.

Ich akzeptierte weiterhin keine Betäubung, ganz gleich wie schmerzhaft ihre Forschung war. Ich wollte sehen, was sie taten, weil sie nie freiwillig erklärten, was sie vorhatten. Ich sah, daß sie Papiere hatten, auf denen stand, was sie planten. Und ich wünschte mir sehnlichst, die lesen zu können.

Kersti

Fortsetzung:
FE2. Kersti: Wie man Zentauren kontrolliert

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben