Gefallene Engel


Der Untote

FF6.

Das Kind

Morgends kam zuerst ein kleines Mädchen, vielleicht zwei oder drei Jahre alt, auf den Hof. Erstaunt sah sie mich an.
"Du bist ja immer noch da!"
"Ja. Er hat gesagt, daß ich hierbleiben soll, bis er mir etwas anderes sagt und bis jetzt hat er mir noch nichts anderes gesagt." antwortete ich.
"Ist es nicht schrecklich, immer tun zu müssen, was einem jemand sagt?" fragte sie.
"Ehrlich gesagt war ich schon lange nicht mehr so glücklich wie jetzt. Ich habe mir immer gewünscht, daß die Menschen mit mir reden. Aber wenn ich versucht habe mit ihnen zu reden haben sie mich immer nur geschlagen, bis mein Körper ganz kaputt war." erklärte ich.
"Aber warum denn? Hast du ihnen was getan?"
"Nein. Sie haben mich angeschaut und hatten einfach Angst." sagte ich.
"Du siehst auch komisch aus. Wie meine Tante als sie tot war."
"Ich lebe auch nicht richtig." erklärte ich.
Leise erzählte ich ihr meine Geschichte, soweit ich sie selbst noch kannte. Nur daß das mit dem Haar nicht funktionierte, nicht wirklich jedenfalls, das erzählte ich ihr nicht. Dabei kam sie immer näher und setzte sich schließlich auf meinen Schoß. Ich streichelte sie und war glücklich wie schon lange nicht mehr.

Als ich beinahe mit der Geschichte fertig war, stürmte eine Frau aus dem Haus auf uns zu. Sie hatte ein großes Messer in der Hand.
"Geh zu ihr hin." sagte ich zu dem Kind und stellte sie auf den Boden.
Dadurch war sie zwischen mir und der Frau und verhinderte einen erfolgreichen Angriff auf mich. Es war nur die Angst einer Mutter um ihr Kind, und sie würde sich nicht gegen das Kind richten. Sie nahm das Kind auf den Arm.
"Ich lasse nicht zu daß du Retia etwas tust." fauchte sie mich an.
"Wenn ich ihr wirklich etwas tun wollte, wäre es längst zu spät gewesen. Wir haben uns seit über einer Stunde unterhalten." antwortete ich.

So kam es also, daß ich unter Menschen lebte. Zehn Jahre ging es gut. Ich arbeitete Tag und Nacht hart auf den Feldern und bekam dann Abends dafür zu essen. Alle außer dem Kind redeteten sehr herablassend mit mir und wann immer jemand etwas Ungezogenes tat, war ich schuld. Mein Gefühl, an allem Schuld zu sein, war so überwältigend, daß ich nicht einmal innerlich gegen diese ständigen ungerechten Strafen rebellierte, sondern sie als selbstverständlich hinnahm und die Schläge dafür klaglos über mich ergehen ließ. Nur Retia beobachtete mich und merkte, daß ich nicht nur für ihre kleinen Raubzüge in der Speisekammer bestraft wurde, sondern für alle Ungezogenheiten, die irgendeiner in der Familie tat. Sie gewöhnte sich ihre Ungezogenheiten ab, damit ich nicht so oft bestraft wurde. Die anderen waren eher häufiger ungezogen als am Anfang.

Im Großen und Ganzen war ich glücklich denn ich durfte unter Menschen leben und dann war da dieses Kind, daß mich abgöttisch liebte und ich liebte es auch.

Kersti

Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben


FF7. Kersti: Folgendes: "Ich bin schuld."
FF5. Kersti: Voriges: Warum hast Du ihn nicht umgebracht?
FFI. Kersti: Inhalt: Gefallene Engel
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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