Gefallene Engel


Der Untote

FF9.

Golem

Ich hatte gerade wieder einmal meinen Körper verloren, als ich einen magischen Ruf hörte. Neugierig folgte ich der telepathischen Botschaft und entdeckte einen Körper, der nie gelebt hatte. Er war sorgfältig von Hand geformt worden. Daneben stand ein Mann, brüllte Zaubersprüche in die Nacht und verbrannte Räucherwerk. Telepathisch verstand ich, daß er wollte, daß ich in den Körper ging und dann sein Sklave wäre.

Ich umkreiste die Lichtung mit dem Körper, auf der er einen Kreis eingezeichnet hatte. Der Kreis war in der feinstofflichen Welt gut zu erkennen und ich mußte ihn erst öffnen, um den Körper erreichen und untersuchen zu können. Er war so zusammengesetzt, daß man ihn leicht in einen echten lebenden Körper umwandeln konnte. Und gegen Sklavenarbeit hatte ich nichts einzuwenden, sofern ich dabei keine Schuld auf mich laden mußte.

Außerdem waren seine Beschwörungen sowieso nicht dazu geeignet mich zum Gehorsam zu zwingen. Also nahm ich das Angebot an, betrat den Körper und begann ihn für meine Zwecke umzuformen. Das nahm ein paar Tage in Anspruch, funktionierte aber sehr gut. Der Mensch beobachtete die Veränderungen an meinem neuen Körper mit steigender Erregung. Als ich began zu atmen, brach er in Jubel aus.

Schließlich setzte ich mich auf und sah ihn an.
"Kannst du schon aufstehen?" fragte er.
Ich nickte nur, denn mit den Sprechwerkzeugen war ich noch nicht ganz fertig.
"Dann mußt du mir jetzt folgen. Du mußt mir gehorchen, weißt du? Ich habe dich nämlich erschaffen und mit magischen Sprüchen gebannt. Da kannst du gar nichts gegen tun. Du mußt mir gehorchen."
Ich war wieder einmal erstaunt, mit welcher Insbrunst Menschen an die Realität ihrer eigenen Fantasien glauben können, folgte ihm aber gehorsam.

Er brachte mich zu einem Feld, befahl mir, es zu pflügen und ging. Ich nahm den Pflug und arbeitete gehorsam die ganze Nacht. Gleichzeitig pefektionierte ich weiter meinen schönen neuen Körper. Er tat mir gar nicht weh und ich hatte viel mehr Gefühl darin, als in den Leichenkörpern, die ich früher immer gehabt hatte.

Als mein Herr am nächsten Morgen kam, sagte ich ihm:
"Ich habe Hunger. Gib mir etwas zu essen."
Doch er brachte mich nur zum nächsten Feld und sagte mir, daß ich dort auch pflügen solle.
"Gut. Ich arbeite und du bringst mir etwas zu essen." stimmte ich zu und pflügte dort weiter.

Am Abend kam er wieder und brachte einen anderen Mann mit.
"Ich habe Hunger. Gib mir etwas zu essen!" sagte ich ihm.
"Wenn du nicht tust, was ich dir sage, dann gebe ich dich meinem Golem zu fressen." erzählte mein Mann dem anderen Mann.
Der andere Mann wurde schneeweiß, sah mich an und rannte davon.

Ich ging auf meinen Mensch zu und sagte ihm wieder:
"Ich habe Hunger. Gib mir etwas zu essen."
Er fuchtelte mit den Armen herum und redete unverständliches Zeug. Verwirrt blieb ich stehen und betrachte sein seltsames Gebaren. Was hat er sich dabei bloß gedacht?
"Siehst du? Du kannst mich gar nicht angreifen also arbeite brav weiter und versuch nicht, dich aufspielen."
Sprachlos sah ich zu, wie er sich umdrehte und wieder ging. Statt jedoch weiterzuarbeiten, folgte ich ihm. Wenn er ging, ging ich auch, wenn er rannte, rannte ich hinter ihm her und wenn er atemlos stehenblieb, um mir irgendwelche sinnlosen Gesten an den Kopf zu werfen blieb ich auch stehen und wunderte mich, warum er sich so unsinnig benahm.

Schließlich kam er auf einer Lichtung mit drei Gebäuden an, stürmte in das größte der Häuser und schloß hinter sich ab. Der Voratsspeicher stand direkt daneben und war für mich viel interessanter als das Wohnhaus, in dem er sich eingeschlossen hatte. Ich zerbrach das hölzerne Schloß und schaute hinein. Dann nahm ich mir etwas Brot und Käse heraus, setzte mich gemütlich auf die Bank vor dem Haus und aß mich in aller Ruhe satt. Schließlich ging ich zum nahegelegenen Bach und trank.

Plötzlich hörte ich jemanden laufen, fuhr herum und sah, wie mein Mensch mit einem 2 Meter langen, armdicken Knüppel auf mich zugerannt kam.
"Ich bringe dich um!" brüllte er.
Das war nicht wirklich gefährlich, also blieb ich stehen, fing den Knüppel mit der Hand auf, riß ihn ihm mit einem Ruck weg und brach ihn in kleine Stücke. Der Mann wurde vor Schreck schneeweiß, denn der Knüppel war so dick, daß ein Mensch das nicht so einfach hinbekommen hätte.

"Ich arbeite Tag und Nacht und du bringst mir jeden Abend zu Essen. Gut?" sagte ich.
Er zitterte wie Espenlaub. Beim dritten Anlauf hatte er sich erst genug unter Kontrolle, um zu antworten:
"Gut."
"So ist brav. Bis morgen Abend." sagte ich.
Ich ging zum Feld und pflügte weiter.

Als er am nächsten Morgen vorbeikam um mir zu zeigen, wo ich weiterarbeiten sollte, brachte er mir schon ein wenig zu essen mit.
"So ists brav." sagte ich.
"Du sollst nicht immer sagen, so ists brav! Ich bin schließlich kein Hund."
"Was soll ich sagen?" fragte ich überrascht.
Ich hatte "So ists brav." eigentlich immer gerne gehört, weil es ein ehrlich gemeintes Lob ist. Die Hunde hatten sich auch stets darüber gefreut, wenn jemand so etwas zu ihnen sagte.
"Danke." antwortete er.
Das fand ich sehr merkwürdig, denn "Danke" sagen die Leute, wenn ihnen ein Geschenk nicht gefällt oder wenn jemand etwas für sie getan hat, was sie nicht wollten und so. Ich habe das Wort deshalb nie gemocht. Aber wenn er das wollte, konnte ich natürlich auch "Danke" sagen.
"Danke." sagte ich und steckte das Essen ein.
"So ists brav." sagte er.
Ich beschloß, ihn diesmal nicht zu fragen, warum er jetzt "So ists brav." gesagt hatte, obwohl er den Satz doch nicht mochte. Wahrscheinlich hätte ich die Antwort sowieso nicht verstanden und es wäre wohl etwas viel, alle Rätsel des menschlichen Denkens an einem Tag erforschen zu wollen.

Als ich alle Felder gepflügt und eingesät hatte, hackte ich genug Brennholz für den Winter und grub den Garten des Herrn um. Er hatte übrigends noch so eine rätselhafte Marotte. Er wollte, daß ich ihn "Herr und Gott" nannte, obwohl er natürlich wirklich kein Gott ist. Ich tat ihm den Gefallen. Er dagegen nannte mich Sklave oder sein unwürdiges Geschöpf, obwohl er mich ja gar nicht gekauft hatte, wie man das mit Sklaven macht und mich auch nicht erschaffen hatte. Menschen spielen halt gerne und wenn man nicht mitspielt, bekommen sie schlechte Laune.

Eines Tages befahl er mir, sein Vieh zu hüten und es auch gleich auf der Weide zu melken. Ich erklärte ihm, daß das nicht geht, weil ich zu ungeschickt dazu bin und dann dem Vieh der Euter blutet und es krank wird. Da ging er ins Dorf und als er wiederkam, sagte er mir, daß ich am nächsten Tag das ganze Vieh des Dorfes hüten und es am Abend zu seinem Hof bringen sollte. Außerdem sagte er mir einen bedeutungslosen Satz und befahl mir, ihn im Dorf zu rufen, damit die Leute mir das Vieh geben.

Am nächsten Tag ging ich ins Dorf, rief den bedeutungslosen Satz, und nahm das Vieh außer einer kranken Ziege mit. Es war ein schöner friedlicher Tag. Die Muttertiere grasten und ich trug ein ganz Kleines auf dem Arm, weil es zu müde geworden war, um selbst zu laufen. Ich freute mich, daß ich das konnte, ohne ihm wehzutun.

Am Abend ging ich ins Dorf, schickte alle Tiere zurück nach Hause und brachte schließlich die Tiere meines Herrn zu seinem Hof zurück.
"Wo sind die anderen Tiere?" fragte er mich ärgerlich.
"Ich habe sie zurück nach Hause gebracht." antwortete ich.
"Du solltest sie HIERHER bringen."
"Oh nein, das darf ich nicht. Sie gehören im Dorf den Leuten und wenn ich sie hierher bringe, ist das Diebstahl. Und Diebstahl ist böse." erklärte ich.
"Morgen gehst du noch mal das Vieh holen und diesmal bringst du es zu mir, verstehst du?"
"Ja. Herr und Gott. Ich verstehe." antwortete ich.
Danach ging er zu Bett und ich machte meine Arbeit für die Nacht.

Am nächsten Tag durfte ich alle Tiere mitnehmen. Ich fragte die Ziege telepatisch, ob sie wirklich krank gewesen war und sie erzählte, daß sie ganz gesund war und sehr wütend gewesen war, daß sie nicht mitdurfte. Am Abend brachte ich das Vieh wieder zurück ins Dorf und der Herr wurde wieder wütend. Er sagte sogar, er würde mich umbringen, aber ich erklärte ihm, daß er das ja gar nicht konnte, weil er kleiner und schwächer war als ich.
"Ich habe jetzt ein Schwert!" drohte er.
"Und ich habe eine Axt. Seit ich den Axtstil ersetzt habe, den ich kaputtgemacht hatte, ist meine Axt länger als dein Schwert - und deshalb habe ich dich dann totgehauen, ehe ich in Reichweite von deinem Schwert bin." erklärte ich ihm.
"Aber ich bin dein Herr und Gott weil ich dich erschaffen habe und du bist nur mein Geschöpf und Sklave. Ich kann dich auch wieder vernichten, wenn ich das richtige Ritual mache."
"Oh nein. In Wirklichkeit spielst du nämlich nur Herr und Gott und ich spiele deinen Sklaven und dein Geschöpf. Du kannst dein Ritual natürlich gerne einmal ausprobieren. Ich setze mich auch ganz friedlich in deinen Bannkreis und schaue dir zu. Nur schlagen darfst du mich nicht. Ich will meinen schönen neuen Körper nämlich noch viele Jahre behalten."
Er sagte gar nichts mehr, legte sich nur brummig schlafen. Ich erinnere Menschen ungern an solche Wahrheiten, weil sie dann immer so ärgerlich werden und vielleicht am nächsten Tag nicht mehr mit mir reden wollen. Sie lieben ihre selbsterfundenen Geschichten zu sehr. Aber manchmal ist das einfach notwendig.

Am nächsten Tag durfte ich nicht mehr Vieh hüten, dabei hatte mir das wirklich gefallen.

Den Rest des Jahres strengte er sich sehr an, sich genug Arbeiten auszudenken, damit ich wirklich Tag und Nacht etwas zu tun hatte. Ich fällte Bäume und trug sie zu ihm hin, half ihm, ein neues Haus zu bauen, bestellte seine Felder, rodete danach neues Land und legte darauf neue Felder an.

Kersti

Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben


FF10. Kersti: Folgendes: Die Ehefrau
FF8. Kersti: Voriges: Retias Heirat
FFI. Kersti: Inhalt: Gefallene Engel
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Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
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