Vorsichtig geworden, schlich mich an den abseits gelegenen Gutshof des Mannes an, sah mich aufmerksam um und beobachte ihn mehrere Wochen lang.
Was ich sah, gefiel mir nicht sonderlich. Er hielt merkwürdige Wesen, die halb Affe halb Mensch waren in Käfigen und ließ sie schwere Sklavenarbeit leisten. Meist ging er freundlich mit ihnen um, neigte aber manchmal zu völlig unmotivierter sadistischer Grausamkeit. Bei den Bewohnern des benachbarten Dorfes galt er als ein unbeliebter, gefährlicher und sehr unheimlicher Mann, der aber jeden geschlossenen Vertrag getreulich einhielt und die Gesetze des Dorfes befolgte, sofern sein Handeln das Dorf und nicht nur den eigenen Hof betraf.
Schließlich war er es, der mich fand.
"Grüß dich, Golem."
Ich fuhr erschrocken herum und sah den Mann hinter mir, den ich
monatelang, heimlich beobachtet hatte. Bevor ich mich genug wieder
gefaßt hatte, daß mir eine Antwort einfiel, sagte er:
"Ich dachte mir, du findest vielleicht nie den
Mut, mich anzusprechen. Deshalb habe ich dich gesucht."
Ich nickte wortlos.
"Wir können uns auch hier unterhalten, wenn
du willst, aber ich würde mich lieber in die
kleine Hütte mit den vier Türen setzen, um
dir zu erklären, was ich anzubieten habe."
"Gut." stimmte ich zu und folgte ihm.
Ich kannte die Hütte, die nur aus einem Raum bestand und
wußte, daß ihre vier Türen keinerlei Riegel oder
Schloß hatten. Dennoch ging ich um sie herum und
überprüfte bei jeder Tür, ob sie auch wirklich
nicht verriegelt war, ehe ich es wagte, den Raum zu betreten. Auch das
Innere enthielt keinerlei böse Überraschung. Ich setzte
mich auf seine Aufforderung hin, während er ein Feuer im Kamin
anzündete und hörte ihm aufmerksam zu, wie er mir sein
Vorhaben erläuterte.
"Ich werde deinen Golemkörper in keiner Weise
beschädigen, sondern einfach das Stangenimplantat abschirmen, das
dich an den Körper kettet. Dadurch hast du die Sicherheit,
daß du nicht plötzlich noch schlimmer dastehst als vorher.
Wenn du den Halt in deinem Körper verlierst, bist du ganz normal
gestorben, wie ein Mensch und wirst danach nie mehr fähig sein,
einen Leichenkörper anzunehmen. Normalerweise sollte es dir dann
möglich sein, den Körper eines Affenmenschenembryos zu
beanspruchen und normal zur Welt zu kommen.
Das Verfahren ist einmal erprobt und funktioniert - beim ersten mal
habe ich allerdings Wochen gebraucht, bis ich das Implantat gut
genug abgeschirmt hatte, um wirklich zur Welt kommen zu können.
Ich weiß jetzt, worauf ich achten muß und bin deshalb
zuversichtlich, daß ich es auf Anhieb gut genug mache, kann aber
nicht dafür garantieren. Wenn irgendein Problem auftritt, komm
morgen in einer Woche um diese Zeit hierher und ich werde die
Abschirmung noch einmal nacharbeiten, bis es funktioniert. Ich kann
Tote sehen, deshalb dürfte es kein Problem sein, dir zu helfen.
Außerdem werde ich die Abschirmung in deinem ersten Leben
täglich nacharbeiten, damit sie so perfekt wie möglich ist,
wenn du danach irgendwo anders als Mensch zur Welt kommst.
Nun zum Preis. In deinem ersten Leben, in
dem du richtig geboren wirst, gehörst du
mir. Ich erwarte von dir, daß du absolut alles
tust, was ich dir befehle." erklärte er.
"Das kann ich nicht tun. Ich werde niemandem
absichtlich Unrecht tun, auch nicht dafür."
"Das ist in Ordnung. Ich mache mit dir einen Vertrag und wenn ich
etwas für dich tue, mußt du den Preis dafür zahlen,
niemand anders. Ich werde nicht von dir verlangen, daß du
Unrecht tust, aber wenn ich dir sage, daß du mir deinen Arm
hinhalten sollst, damit ich ihn dir abhacken kann, dann erwarte ich,
daß du widerspruchslos gehorchst. Dein erstes Leben gehört
mir, und ich werde mit dir tun, was ich will, verstanden?"
Ich nickte nachdenklich.
"Ich werde aber nichts tun, was dich über dieses eine Leben
hinaus schädigt. Das verspreche ich. Wir können, wenn du
willst, sofort beginnen oder du kannst jederzeit auf mein Angebot
zurückkommen. Du solltest aber bedenken, daß ich nicht zu
den Unsterblichen zähle und daß du deshalb zu mir kommen
mußt, ehe ich an Altersschwäche sterbe."
Ich nickte wieder und überdachte das Angebot. Da ich seine
sadistischen Neigungen beobachtet hatte, wußte ich, daß er
einen hohen Preis verlangte. Andererseits schien er sich seiner Sache
sicher zu sein und ich konnte mich wohl darauf verlassen, daß er
sein Bestes tun würde, seinen Teil des Vertrags zu erfüllen.
Es war die Sache wert. Zumal ich den Preis nur bezahlen mußte,
wenn er Erfolg hatte.
"Gut. Ich bin einverstanden. Was muß ich tun?"
"Leg dich hier auf den Tisch, damit ich arbeiten kann."
Ich fühlte mich sehr unwohl, während er arbeitete. Ich
beobachtete mißtrauisch jeden Handgriff, analysierte jede
Veränderung an meiner Aura, die ich nicht einordnen konnte
und hatte einfach nur Angst. Es gab keinen konkreten Grund für
diese Angst, außer daß ich mich in einem Maße
ausgeliefert und hilflos fühlte, wie nie zuvor. Außerdem
hatte ich Angst vor der Zukunft, weil ich wußte, daß nach
diesem Tag nichts mehr wie vorher sein würde. Neue, unbekannte
Wahrnehmungen überschwemmten mich und ängstigten mich noch
viel mehr, obwohl sie nicht wirklich unangenehm waren.
Irgendwann dachte ich an den Pferch mit
den Affenmenschen und war zu meinem Erstaunen sofort da.
*Komm zurück du Idiot, ich bin noch nicht fertig!* rief mich mein
neuer Herr sofort zurück.
Ich gehorchte, betrachtete den Körper, den ich abgelegt hatte
neugierig und plötzlich wurde mir bewußt, daß ich
mich zum ersten mal, so lange ich mich erinnerte, ohne Körper
wohl fühlte. Irgendwie frei und leicht. Ich hatte keine Worte
für diesen angenehmen Zustand. Ich hatte gar nicht gewußt,
daß man sich gut fühlen konnte. Ich kannte nur verschiedene
Grade von Schmerz und, seit ich den Golem-Körper hatte, manchmal
auch kurze Phasen, in denen ich keine Schmerzen hatte. Staunend
schwebte ich in der Luft und konzentrierte mich auf dieses wunderbare
Gefühl.
Der Herr legte den nicht mehr benötigten
Golemkörper zur Seite und befahl mir:
*Leg dich wieder hin. Ich bin noch nicht fertig.*
Ich gehorchte. Er arbeitete noch Stunden, ehe er mir erlaubte, zu gehen
und einen Babykörper für mich in Anspruch zu nehmen.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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