Ich bekam nur am Rande mit, wie unser neuer Herr meinen Menschen überzeugte, daß sich die Leute tatsächlich für unser Leben in der Klinik interessierten - und daß es ein guter Gedanke wäre, das auszunutzen, damit die Leute die Klinikleitung zwingen, besser mit Katzen und Heilern umzugehen. Im Verlaufe dieses Gesprächs begann meinem Menschen der Gedanke an ein Interview immer besser zu gefallen.
Der Mann von der Zeitung wirkte alt - aber nicht so alt wie mein Mensch,
obwohl er viel älter war. Meinem neuen Herrn gegenüber
fühlte er Neid, aber meinen Menschen mochte er auf Anhieb. Auch er
sah in ihm einen freundlichen alten Mann. Die Einrichtung des Hauses
schüchterte ihn ein, weil er dachte, daß sie
fürchterlich viel Geld gekostet hatte. Ich konnte mir nichts
Unwesentlicheres vorstellen. Ich beschloss, allen Anwesenden Tee zu
bringen. Als ich wiederkam, waren sie gerade mit der Begrü-
ßung fertig und der Zeitungsmensch sagte:
"Ich habe gehört, daß die Heiler in der Klinik nicht sehr
alt werden. aber ihr scheint da ja eine Ausnahme zu sein."
"Für wie alt haltet ihr mich denn?"
"Siebzig."
"Dann scheine ich wohl in den letzten zehn Tagen zehn Jahre
jünger geworden zu sein." schmunzelte mein Mensch.
Der Zeitungsmensch starrte ihn verwirrt an.
"Das war ein Scherz. Tatsächlich bin ich 18. Vor zehn Tagen hat
mein jetziger Herr mich auf mindestens 80 geschätzt."
erklärte mein Mensch.
Der Zeitungsmensch war so erschüttert, daß
ihm keine weitere Frage einfiel.
Ich ging zu ihm rüber, kletterte auf seinen Schoß und
schnurrte für ihn. Er streichelte mich eine Weile, bis er sich
einigermaßen gefangen hatte.
"Mein Gott ist das ein liebes Tier." meinte er dann.
Ich schaute nachdenklich auf.
"Eine Katze ist kein Tier." korrigierte mein Mensch ihn.
"Ich wollte sie nicht beleidigen."
"Jetzt dürfte sie nur das "liebe" gehört und das
Tier geflissentlich überhört haben. Aber wer im Umgang mit
Katzen von der Prämisse ausgeht, daß sie Tiere seien, tut
früher oder später etwas, was sie tötlich beleidigt. Und
dann bekommt er Probleme mit ihnen. Katzen sollte man immer wie
intelligente gutwillige Menschen behandeln. Ihnen die Erklärungen
geben, die auch ein Mensch bräuchte. Dann werden sie die treuesten
und verläßlichsten Kameraden, die man sich wünschen
kann. Es geht Katzen in der Klinik noch schlechter als uns Menschen. Er
war die vier Jahre, die ich dort gearbeitet habe, mein Partner. Ich
muß sagen, er hat sich rücksichtsvoller, vernünftiger
und klüger verhalten als ich."
Ich kletterte wieder auf den Schoß meines
Menschen. Jedesmal, wenn er an die Klinik
dachte, wurde er traurig.
"Was machen sie bloß mit euch, daß ihr so schnell so alt ausseht?"
"Sie saugen uns aus. Die Energiekanäle werden mittels Akupunktur
so weit gestellt, daß sie Lebenenergie nicht mehr festhalten
können und die Kranken saugen sie auf, weil sie krank sind und zur
Heilung Energie(VA180. Definition Eso) brauchen. Gleichzeitig haben wir die Aufgabe, ihr
Energiefeld von Verschmutzungen zu reinigen und diese auf den Katzen
abzustreifen. Ein erheblicher Teil der Verschmutzungen bleibt dabei in
meinen Energiekanälen hängen. Das führt zu
beschleunigter Alterung, obwohl wir uns sehr gesund ernähren
müssen." erklärte er.
Ich genoß sein geistesabwesendes Streicheln, während ich
zuhörte. Er hatte das sehr gut beschrieben.
Ich beobachtete nachdenklich, wie der Zeitungsmensch unglaublich schnell mit seinen Fingern auf die Tasten eines Laptops drückte. Ich konnte lesen, obwohl ich mich nie wirklich dafür interessiert hatte. Jetzt kam mir der Gedanke, daß das die Lösung für mein Sprachproblem sein könnte. Interessiert setzte ich mich so auf den Schoß des Zeitungsmenschen, daß ich ihm beim Schreiben beobachten konnte. Wenn ich meine Krallen noch hätte, wäre es sicher leichter, aber das konnte ich auch lernen - und mein Mensch konnte ja lesen.
Als er kurz die Finger vom Gerät nahm, drückte ich die
Returntaste und schrieb dann selbst:
"Mein Mensch weiß besser als Ärzte." unter die
Mitschrift der Erklärung meines Menschen.
Leider dauerte es viel länger, als ich gedacht hätte, weil ich
immer so lange nach den richtigen Buchstaben suchen mußte und
manchmal war ich mir nicht sicher, wie es geschrieben wurde. Der
Zeitungsmensch stutzte.
"Sie hat GESCHRIEBEN!" rief er überrascht.
Ich wunderte mich. Katzen taten so etwas meist nicht. Aber es gab keinen
Grund, anzunehmen, daß wir das nicht können.
"Interessant. Ich wußte gar nicht, daß er das kann."
antwortete mein Mensch und betrachtete interessiert den Satz, den ich
geschrieben hatte "Hast du die Sprache absichtlich
vereinfacht?"
"Ja. Nicht so lang." schrieb ich als Antwort.
"Warum hast du bis jetzt nicht geschrieben?"
"Schreiben langweilig. Gedanken lesen viel besser." antwortete
ich.
"Warum hast du jetzt damit angefangen?"
"Zeitungsmensch kann nicht Gedanken lesen."
"Ich doch auch nicht."
"Du merkst nur nicht."
"Du meinst, ich lese deine Gedanken und merke es selbst
nicht?"
"Ja. Du antwortest."
"Willst du auch so einen Laptop?"
"Ja."
"Gut. Ich werde dir einen besorgen."
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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