vor 15.2.00

Fantasy, Darkover: Zwillingsbande

G11.

Eine nutzlose Waffe

Taron Einarm erzählt:

Seit drei Jahren kam Tianna mich besuchen, so oft sie zum Handeln in meine Stadt kam. Ich bin stolz, sie zu meinen Freunden zählen zu dürfen, denn sie hat mehr Kihar als jeder Krieger des Trockenlandes. Als einmal wieder bei mir vorbeischaute, fiel mir auf, wie müde sie aussah. Sie war hager geworden und lachte nicht mehr so fröhlich, wie damals, als ich sie kennenlernte. Ich fragte sie was sie so bedrücke.

Tianna sagte:
"Wären wir Männer, hätten wir uns längst einen Namen gemacht. Ich habe im letzten Jahr jeden Trockenlandfürsten im Zweikampf besiegt. Ich kann nicht sagen, wieviele Angreifer ich in den Monaten erschlug, seit ich durch meinem Kampf mit dir gezeigt habe, daß wir existieren.
Wenn wir dafür sorgen wollen, daß alles Notwendige an Material und Lebensmitteln im Haus ist, müssen wir mit Städten handeln, die in unserem Fall den Marktfrieden nur anerkennen, bis wir knapp außerhalb der Tore sind. Hinter dem nächsten Busch lauern zwanzig oder dreißig Männer, die uns zehn Händlerinnen ausrauben wollen. Mehr können wir nicht mitnehmen, denn auch unser Haus muß gut bewacht werden, soll es bei unserer Rückkehr noch stehen. Am Anfang hatten wir nur leichte Verletzungen. Jede, die ich mitgenommen hatte, war eine weit überdurchschnittliche Kämpferin. Ich hatte meine Frauen monatelang gedrillt, ihnen die Feinheiten des Kiharkodex eingebläut und die abgewiesen, die nicht schnell genug lernten. Doch die tägliche Anspannung, die immer wiederkehrenden kleineren Verletzungen zehrten an unseren Kräften. Die Kämpfe folgen zu dicht aufeinander. Keine der Frauen blieb ganz unverletzt. Dann kamen schließlich die ersten schweren Verletzungen. Als ich hierher aufbrach, hatte ich in meiner Naivität geglaubt, als ausgebildete Leronis könnte ich alle anfallenden Verletzungen behandeln. Ich mußte herausfinden, daß wir zu viele Verletzte haben - so wenige wir auch sind. Du selbst hast mir ja eine Heilerin empfohlen.
Langsam glaube ich, daß diese Männer uns erst in Frieden lassen werden, wenn wir alle tot sind. Als Frauen können wir nicht wahr sein. Männer trauen ihren Augen nicht, wenn wir siegen. Es muß Zufall sein. Oder unsere Gegner Feiglinge. Uns darf es nur in alten Sagen geben, deshalb fühlt sich jeder jugendliche Führer einer Trockenlandbande berufen, uns in das Reich der Toten zu der Göttin zu schicken, deren Zeichen wir tragen."

Schweigend betrachtete ich ihr hübsches Gesicht. Sie sah müde aus, nein zu Tode erschöpft, als hielte sie nur noch ihr unbeugsamer Stolz auf den Beinen. Tianna ist nicht der Mensch, der aufgibt. Ich wußte, sie würde entweder siegen oder sterben. Ich sah keine realistische Hoffnung, daß sie ihr Ziel, ihr Haus zu halten, erreichen konnte. Also erzählte ich:
"Vor Jahren, nachdem ich in einem Kampf gegen einen Rivalen den Arm verlor, dachte ich nach. Mir wurde klar, daß ich als Krüppel keine Chance hatte. Ein Arm weniger ist im Kampf ein Nachteil, den man nicht wieder wettmachen kann. Ich würde zwangsläufig als Bettler enden, der von den Almosen mitleidiger Frauen lebt. Da begehrte alles in mir auf. Ich habe täglich stundenlang kämpfen geübt, jeden herausgefordert, der an meinen Fähigkeiten zweifelte. Jetzt habe ich das Unmögliche geschafft: Ich führe ein eigenes Haus. Viel wahrscheinlicher wäre gewesen, daß ich jetzt tot bin."

Tianna nickte nachdenklich. Als sie heimritt, dachte ich an jenen Tag, da ich ihr Kihar kennenlernte:

Unbewegter Kampf

Heirol, einer meiner Männer kam am frühen Morgen in mein Zimmer gestürmt.
"Weshalb diese ungebührliche Hast?" fragte ich lächelnd.
"Da sind Domänenschwertfrauen, die dich bestimmt ermorden wollen." rief er atemlos.
"Wie kommst du darauf?" fragte ich gelassen.
"Es ist alles wie bei denen, die die Zauberin in die Domänen zurückholten. Sie haben sich sogar einen Stand auf dem Markt aufgebaut. Zehn Frauen."
Ich nickte. Die Schwertfrauen damals hatten Methoden angewandt, die ein Trockenlandmann, der etwas auf sich hält, nie gewählt hätte. Da sie unsere Sitten nicht kannten und sich wohl auch kaum dafür interessiert haben dürften, ist das nicht auf Feigheit zurückzuführen. Sie waren mit sehr wenigen Frauen in dieses auch damals scharf bewachte Haus eingedrungen, wurden im letzten Augenblick entdeckt und sind dennoch, ohne eine ihrer Frauen zu verlieren, entkommen, während mehrere ihrer Gegner und der Hausherr tot waren. Das gab meinem Vater damals Gelegenheit, dieses Haus zu erobern. Das deutet auf Mut, kämpferisches Können und gute Planung hin. Jemand der gut planen kann, wird nicht zwei mal denselben Plan verwenden. Wenn diese Frauen allerdings von demselben Kaliber waren, wie deren damalige Schwestern, täte ich gut daran, herauszufinden, welche Ziele sie verfolgten.
"Ich werde sie mir ansehen." sagte ich. Gemächlich kleidete ich mich an und ging los.

Das große Haus von Shainsa hatte seit meiner Kindheit zwei mal den Besitzer gewechselt. Als ich ein Jugendlicher war, wurde mein Vater mit seinen Männern von einem Muallir besiegt, den ich inzwischen selber in das Land der toten Kriegergötter geschickt habe. Der Markt von Shainsa hatte sich dagegen kaum verändert: Händler priesen ihre Waren an und Frauen mit musikalisch klingenden Ketten bestaunten die Auslagen. Männer schlenderten lässig herum - einige davon achteten in meinem Auftrag darauf, daß keine Frau belästigt wurde und der Marktfrieden gewahrt blieb. Der Stand der Kriegerfrauen unterschied sich äußerlich kaum von den anderen. Nur ihre Kleidung schien fremdartig. Sie priesen ihre Waren an und plauderten scheinbar sorglos miteinander. Eine Rrylspielerin sang ein altes Trockenlandlied von der Frau, die von den geschlechtslosen Göttern des Krieges wegen ihrer überragenden Fähigkeiten als eine der Ihren aufgenommen wurde. Sie beherrschte das blau leuchtende Zauberschwert der Götterkrieger wie kaum ein Gott. An den Armen der Frauen sah ich breite Metallarmbänder ohne Ketten, die das Symbol eben dieser Göttin trugen. Hatten sie keine Angst, daß die Göttin sie für diesen Hochmut strafen könnte?
"Wer führt diesen Handel?" fragte ich.
Eine rothaarige, kleine, zartgebaute Frau stand lässig auf. Sie war atemberaubend schön, hatte ein schmales Gesicht und lächelte mir herzlich zu, als sie sagte:
"Ich bin Tianna, Herrin des Hauses am Felsquell, Tochter von Torana, der edlen Kriegerin und früheren Hausherrin von Shainsa"

Tianna. Eine jüngere Schwester von mir. Ich hatte ihren Zwillingsbruder damals für verrückt erklärt, als er behauptete, daß sie das Zeug zu einer Kriegerin hätte. Sie sah aus wie ein nettes, kleines Mädchen, das mit den Waffen ihres Vaters spielte. Wie kam es, daß gerade diese körperlich schwache, sehr kleine Frau Anführerin war? Wer nach meinem Aussehen geht, würde in mir nur einen Krüppel sehen. Tatsächlich bin ich einer der besten Kämpfer des Trockenlandes. Unsere Mutter kämpfte in Verkleidung wie ein Mann - und solange sie lebte war sie tatsächlich inoffizielle Hausherrin. In mir erwachte Neugier. Ob sie den Geist eines Kriegers in sich trug?

"Ich bin Taron Einarm, Sohn Darions, der nach Torana in diesem Haus herrschte. Als Herr des Hauses von Shainsa, obliegt es mir, die Ehre der toten Götter zu hüten - ich fordere dich, den Sieg zu erwarten."

Tianna nickte ernst und gab ihren Frauen einen Wink, einen freien Platz zum Kampf zu schaffen. Ich befahl meinen über den Platz verstreuten Ordnungshütern dasselbe. Die Frauen führten den Befehl auf dieselbe freundliche, höfliche aber auch ruhige und bestimmte Art aus, die auch ich von meinen Männern erwarte: Gewalttätigkeit ist für Feiglinge.

Der Kampf, zu dem ich sie herausgefordert hatte, war ihrer Anmaßung, die Zeichen einer Göttin zu tragen, angemessen. Es ist eine Nervenprobe. Man steht einander mit geschlossenen Augen gegenüber. Wer zuerst angreift, kann den Kampf nur dadurch noch für sich entscheiden, daß er den Gegner mit höchstens drei Hieben entwaffnet oder tötet. Jeder längere Kampf gilt als unentschieden - oder als klarer Sieg für den Gegner, wenn beide gleich gut kämpfen. Bisher habe ich jeden Kampf dieser Art gewonnen. Tianna schluckte, wirkte, als sei sie überhaupt nicht sicher zu gewinnen. Dann raffte sie sich entschlossen auf und trat in den Kreis. Ich nahm ihr gegenüber Aufstellung. Wir hoben die Schwerter und schlossen die Augen. Dadurch, daß die Klingen mit leichtem Druck aneinanderlagen, konnte ich jede noch so geringe Bewegung der kleinen Frau spüren. Laut sagte mein Herold an, daß der Kampf begonnen hatte.

Es war merkwürdig. Ihre Unruhe war wie weggeblasen. Die Götter der alten Sagen besaßen die Fähigkeit, die Gefühle und Absichten ihrer Gegner zu spüren. In geringerem Maße habe ich diese Gabe auch - manchmal. Bei Kämpfen, wo man den Sieg erwartet, spürte ich meist die Unruhe und Unsicherheit meiner Gegner. Sobald sie unsicher genug waren, griff ich an und entwaffnete sie mit einem einzigen Schlag. Das konnte nach Minuten oder Stunden geschehen. Oder mein Gegner verlor die Nerven, griff an - und ich entwaffnete ihn ebensoschell. Tianna war ruhig. Sie badete in Ruhe und Zuversicht, schien mit endloser Geduld gesegnet. Stunden standen wir uns schweigend gegenüber, rührten uns nicht. Ihr Arm begann vor Erschöpfung leicht zu zittern. Immer noch ging von ihr eine Aura von Ruhe und Zuversicht aus. Es wurde dunkel und kühl um uns her. Ich fragte mich, ob sie für den Rest ihres Lebens so stehenbleiben wollte. Sie wartete. Ich staunte, warum sie nicht unsicher wurde. Sie wartete. Ich begann mich zu langweilen. Sie wartete. Ich dachte: *Ich muß dieser Farce ein Ende machen.* und griff an. Sie verteidigte sich mit fließenden, anmutigen Bewegungen. Sie kämpfte gut, doch statt richtig anzugreifen, schien sie immer noch zu warten. Ich versuchte verbissen, sie zu entwaffnen. Ihr Schwert schien wie Wasser an meinem vorbeizugleiten. Ich war verwirrt. Plötzlich war ihr Bein an einer Stelle, wo es vorher noch nicht gewesen war, ich stolperte darüber und noch während ich fiel schlug sie mir das Schwert aus der Hand. Ihre Knie hinderten mich daran, mich sofort wieder auf die Beine zu rollen und ein Dolch an meiner Kehle verhinderte jede weitere Abwehrbewegung. Fassungslos starrte ich sie an. Ihr Gesichtsausdruck war ernst, ruhig und sehr sanft - als gäbe es an dieser Frau nichts Kriegerisches. Ich entspannte mich. Der Kampf war verloren. Sie trat zurück und ließ mich schweigend aufstehen. Sie hätte mich nach den Kampfregeln auch töten und mein Haus übernehmen dürfen. Doch statt dessen bestätigte sie mich als Hausherrn - mehr als ein Haus bräuchte sie ja nicht - und dankte mir höflich für den guten Kampf - sie würde nur einen weiteren Kämpfer kennen, der vergleichbare Fähigkeiten hätte.
"Wer?" fragte ich.
"Toal, mein Zwillingsbruder." antwortete sie.

Wie es die guten Sitten erforderten lud ich sie zu einem Festessen ein. Doch in meinem Kopf herrschte Chaos. Sie hatte mich besiegt. Ich bat um Zeit, um alles für das Fest vorzubereiten. Dann ging ich nach Hause. Kairan, mein Stellvertreter fragte fassungslos:
"Wie konnte das passieren?"
Ich schwieg lange. Erst im Haus sagte ich leise:
"Sie ist besser als ich."
Kairan sah mich an, als hätte ich gesagt, daß die Sonne blau sei. Ich muß Tianna wohl genauso entgeistert angestarrt haben, als mir bewußt wurde, daß sie mich besiegt hatte.
"Ich weiß nicht, ob sie technisch besser kämpft. Aber sie hat die weitaus besseren Nerven und einen stärkeren Willen als ich." sagte ich.
"Aber das kann doch nicht sein", stammelte er, "sie ist eine Frau!"
"Kairon, kümmer du dich bitte um die Vorbereitungen. Ich muß meine Gedanken ordnen." bat ich und drehte ihm den Rücken zu. Ich brauchte Ruhe, sonst würde ich beim Essen kein vernünftiges Wort herausbringen.

Göttlicher Irrsinn

Am Morgen nach dem Gespräch über Tiannas aussichtslose Situation wurde meine Stadt Shainsa umzingelt. Schweigend schritt ich auf dem Wehrgang die gesamte Länge der Stadtmauer ab. Pfeile flogen dicht an mir vorüber. Wir konnten weder siegen noch fliehen. Es waren zu viele. Das halbe Trockenland mußte sich vor unseren Toren versammelt haben. Der Spott, den sie mir über die Mauer zuriefen, ließ keinen Zweifel, daß sie gekommen waren, um Tianna ihres einzigen Verbündeten zu berauben, indem sie meine Stadt in Schutt und Asche legten und daß vor Tiannas kleiner Burg noch einmal so viele lagerten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis unsere Vorräte ausgehen würden, dann konnten wir nur noch aufgeben oder verhungern, wenn nicht schon vorher alle Krieger des Hauses durch gute Bogenschützen getötet würden. Mit leisen ruhigen Worten ordnete ich die Verteidigung ein wenig besser. Wenn wir schon verlieren mußten, sollte es zumindest nicht an meinen Fehlern liegen.

Wochen vergingen.

Eines Abends ging ich wie jeden Tag die Wehrmauer ab und wechselte mir jeder der Wachen ein paar Worte - nichts bedeutendes. Doch diesmal sprachen mich gleich mehrere Männer an, wie hoffnungslos unsere Lage sei, wir könnten eigentlich gleich aufgeben. Die klügeren meiner Männer werden es sofort gemerkt und geschwiegen haben. Doch es dauerte einige Wochen, bis auch die dümmeren, die über alles reden zu müssen glauben, begriffen. Ich hatte ihre Nahrungsmittelrationen so empfindlich gekürzt, daß sie nachzudenken begannen. Es war schwierig, sie zum Durchhalten zu bewegen. Schließlich wandte ich mich der Treppe nach unten zu. Plötzlich entstand Unruhe im Heer der Belagerer. Ich sah hinunter. Ein einzelner Reiter näherte sich auf einem großen, dunklen Pferd und reagierte weder auf Zurufe noch auf Fragen. Schließlich trat ein großer Krieger ihm entgegen und sagte:
"Meine Geduld ist am Ende, Fremder. Entweder stellst du dich jetzt vor, wie es sich ziemt, oder du bist des Todes."
"Wohl kaum. Doch ich will mich vorstellen: Ich bin Tianna, Tochter Toranas, die bis zu ihrem Tode im Kindbett Herrin des Hauses von Shainsa war. Wer seid ihr, hochmütiger Herausforderer?"
"Jetzt ist sie vollkommen verrückt geworden." sagte der Wachhabende neben mir auf der Mauer. Klirrend fuhren Schwerter aus den Scheiden. Die ganze Scene wurde in geisterhaft blaues Licht getaucht, das von Tiannas Schwert ausging. Tianna lenkte ihr Pferd auf den Herausforderer zu, der mit aufgerissenen Augen zurückwich.
"Sie ist eine Kriegergöttin." murmelte jemand ehrfürchtig. Schulterzuckend wandte Tianna ihr Pferd dem Stadttor zu. Ich ließ es gerade weit genug öffnen, daß sie hindurchschlüpfen konnte. Dann fragte ich Tianna zornig:
"Bist du vollkommen verrückt geworden?"
"Wahrscheinlich. Aber es hat funktioniert. Das ist mehr, als ich von jeder vernünftigen Aktion hätte erwarten können." antwortete sie leise.
Ich lachte. Dann fragte ich neugierig:
"Wie hast du es geschafft, daß dein Schwert wie ein Dokir aussah?"

Als Dokir werden die blau leuchtenden Zauberschwerter der Kriegergötter bezeichnet. Tianna zog ihre Waffe und sagte ernst:
"Es ist eins. Eine Schmiedin brachte mir dieses Schwert und sagte, daß es mir zustünde. Allerdings ist es einfacher, mit normalen Schwerten zu kämpfen. Die blaue Schicht besteht aus demselben Zeug wie unsere Zaubersteine. Es hat die Gefühle der mich umgebenden Menschen mit solcher Wucht auf mich übertragen, daß ich beinahe die Besinnung verloren hätte. Eigentlich ist es eine Waffe, die ihrem Träger im Kampf eher schadet als nutzt."
"Darf ich es einmal in die Hand nehmen?" fragte ich ehrfürchtig staunend.
"Wenn du mir deinen Stein in die Hand gibst." entgegnete Tianna grinsend. Ich wurde blaß. Einmal hatte mir ein älterer Junge diesen Stein aus dem Beutel geraubt. Ich schrie vor Schmerzen so sehr, daß er ihn mir sofort zurückgab. Ich habe heute noch Alpträume von dieser Erfahrung.
"Taron, du kannst es jetzt anfassen." sagte sie unvermittelt.
Ich glaubte, mich verhört zu haben.
"Ehrlich. Ich habe mich auf dich eingestimmt. Wenn ich das nicht könnte, wäre ich nicht fähig, mit einem Dokir zu kämpfen."

Ich nahm die blau leuchtende Waffe entgegen. Sie lag gut in der Hand. Man konnte sie zu einem Halbkreis biegen. Ein Schwert aus sehr gutem Stahl. Wie war es möglich, daß es gleichzeitig die Eigenschaften der Zaubersteine in sich trug? Tianna nahm es wieder an sich, schob es zurück in die seidenüberzogene Scheide und folgte mir in die Wohnräume des großen Hauses. Im Licht der Öllampen sah sie erschöpft und abgehärmt aus, sehr klein und schmächtig. Müde stützte sie den Kopf in die Hände.
"Schau nicht so hoffnungslos Tianna. Immerhin hast du jetzt ein Zauberschwert." sagte ich tröstend.
"Die Waffe ist nutzlos. Was meinst du, wie lange so ein Bluff vorhält?" entgegnete sie.
"Warum sagst du mir das?"
"Dir kann ich es erzählen. Die Frauen würden resignieren. Du kämpfst, auch wenn du eine Situation für vollkommen hoffnungslos hältst. Ich brauche eine Heilerin für eine meiner Schwertfrauen."
"Wie willst du sie zu euch hineinbringen?"
"Ich verlasse die Stadt durch den Geheimgang und dort wende ich zum Hineinkommen denselben Trick an wie hier."
"Ich muß zugeben: Der Wahnsinn hat Methode. Zeigst du mir dem Gang?"
Tianna lachte. "Nein."

Als Muallir meinen Vater besiegte, wurden meine jüngeren Brüder mit verbundenen Augen durch diesen Gang bei meiner Bande in Sicherheit gebracht. Als ich es zurückerobert hatte, verschwanden die kleinen Söhne Muallirs und tauchten in Tiannas Obhut wieder auf. Der älteste ist Tiannas leiblicher Sohn. Zuerst hatte ich Sorge, daß die Jungen sich später an mir rächen könnte, aber Tianna wird, wie ich sie kenne, einen weiteren Kampf zwischen Söhnen derselben Mütter zu verhindern wissen. Hinter das Frauengeheimnis des Ganges werde ich wohl nie kommen. Tianna würde mal wieder spurlos aus den Frauengemächern verschwinden. Sie verabschiedete sich, holte die Heilerin und ging fort. Ich legte mich schlafen.

Wer keine Hoffnung hat, hat keine Sorgen

Am nächsten Tag wollten die Feinde mit "der Göttin" verhandeln, wie sie Tianna nannten. Ich schickte sie zu Tiannas Burg. Einige Stunden später traf die Nachricht ein, ich sei zum Entscheidungskampf eingeladen, der in der Dämmerung auf der Ebene vor den Stadttoren stattfände. Tianna würde gegen die fünf Anführer der Gegner kämpfen. Ich war entsetzt. Tianna ist eine sehr gute Kämpferin - aber sie ist nicht unbesiegbar. Sie hatte keine Möglichkeit gehabt, sich diesem Kampf zu entziehen ohne daß sie so viel Kihar verloren hätte, daß ihre Feinde wie Wölfe über sie hergefallen wären. Die Feinde werden ihren Anführern diesen Kampf aufgezwungen haben: Eine gute Möglichkeit entweder die Anführer, die sie gegen eine unbesiegbare Göttin geführt hatten loszuwerden - oder aber die falsche Göttin, die eben doch nicht unbesiegbar war.

Ich kleidete mich sorgfältig an und ritt hinaus. Höchstwahrscheinlich würde Tianna verlieren und damit wäre mein Schicksal besiegelt. Dem Tod sollte man mit Stolz entgegentreten. Meine Männer waren optimistisch. Das Zauberschwert hatte sie beeindruckt. Das riesige Heer unserer Gegner ließ uns bis an die Kampffläche vor. Die fünf Anführer waren schon da. Ihre Gesichter verrieten nicht, was sie dachten. Auch sie hatten Grund zu Angst. Zuletzt kam Tianna mit ihren Frauen. Auch sie trug ihre besten Sachen, grüßte ihre Gegner und betrat den Kreis. Ruhig bewegte sie sich zu dessen Mitte, setzte sich im Schneidersitz auf den Boden, legte ihr Dokir auf ihren Schoß und betrachtete versonnen die blau schimmernde Waffe. Ein Bild des Friedens. Wer mit seinem Leben abgeschlossen hat, sorgt sich nicht mehr. Ihre fünf Gegner wußten nicht, was sie tun sollten. Zögernd traten sie näher. Als sie nur noch drei Schritt entfernt waren und sich zum Angriff bereit machten, sprang sie auf, mit einer einzigen fließenden Bewegung, einem Wirbeln von blauem Licht und schnellen Füßen, innerhalb von Sekundenbruchteilen war jeder ihrer Gegner tot. Wie erstarrt stand sie zwischen den Leichen, die hell strahlende Klinge hoch erhoben, die Augen in weite Ferne gerichtet. Es herrschte Totenstille. Es dauerte lange, bis ich begriff, daß sie weinte. Leise ging ich zu ihr hinüber, legte sanft meinen Arm um sie, wie um ein kleines Kind.
"Tianna, was ist los?" fragte ich liebevoll, aber so leise, daß nur sie mich hören konnte. Sie zitterte.
"Komm. Steck die Waffe ein. Sie sind tot. Du hast gesiegt."

Als Junge ist es mir ein einziges mal gelungen, im Kampf mit meinem Gegner vollkommen eins zu werden. Es war ein wunderbares Gefühl der Einheit, der Harmonie. Mir schien alles im Zeitlupentempo abzulaufen, doch in Wahrheit habe ich so schnell gekämpft, daß die Blicke unserer Zuschauer mir nicht folgen konnten. Einer meiner Hiebe traf meinen Gegner und fügte ihm eine unbedeutende Verletzung zu, doch ich brach schreiend unter dem Schmerz zusammen, den ich ihm zugefügt hatte, empfand ihn viel schlimmer, als ich jemals eigene Schmerzen empfunden hatte. In einem Abwehrschlag traf mein Gegner mein Schultergelenk, bevor ihm bewußt war, daß ich nicht mehr des Kämpfens fähig war und ich verlor dadurch meinen rechten Arm. Eine Heilerin aus der nahegelegenen Stadt rettete mit knapper Not mein Leben. Seither fürchte ich aus tiefster Seele die Macht meiner Gabe.

Wie sehr mochte Tianna unter den Verletzungen leiden, mit denen sie ihre fünf Gegner besiegt hatte? Ich sprach mit ihr, als wäre sie ein krankes Tier, führte ihre Hand so, daß das Schwert in die Scheide kam und vor den Ausstrahlungen ruheloser Geister geschützt war und brachte sie zu ihren Kriegerinnen. Dort befahl ich den Frauen uns vor neugierigen Blicken abzuschirmen und gab Tianna zwei heftige Ohrfeigen. Sofort wurde ihr geistesabwesender Blick hellwach, ihre Hand fuhr zum Schwert. Ich sah ihr gerade in die Augen und sagte eindringlich:
"Tianna, die Männer erwarten dich. Halte ihnen eine Rede, damit sie dich als Göttin anerkennen können, sonst werden sie uns erschlagen."
Tianna ließ die Hand sinken, biß die Zähne zusammen, nickte und begab sich würdevoll in die Mitte des Kampfplatzes. Ich staunte, woher sie die Selbstbeherrschung nahm, sich die Anspannung nicht anmerken zu lassen. Sie sprach:
"Männer des Trockenlandes!
Ein großer Kampf hat stattgefunden. Er wird in die Legenden unseres Volkes eingehen. Diese fünf toten Krieger, meine Gegner haben ehrenhaft gekämpft und verloren.
Freunde und Gefährten der Toten, tretet vor und holt sie zu euch. Bereitet alles vor, damit ihnen ein Begräbnis zuteil wird, das ihrem Rang entspricht, damit sie nicht als ruhelose Geister umherstereifen müssen. Ich als Göttin müßte sonst mit ihnen leiden, denn auch sie tragen Spuren der göttlichen Kampfesgaben in sich. Gebt meinen Feinden die Ehre, die ihnen gebührt!
In drei Tagen, wenn die Trauerfeierlichkeiten abgeschlossen sind, ist es früh genug, über die Zukunft des Trockenlandes zu beraten. Dann finden wir uns zusammen und ich werde meine Bedingungen nennen."

Die Rede war genial: Sie verschaffte Tianna Zeit, ihre Gedanken zu ordnen, würde sie von den Geistern der Toten befreien und gefiel unseren ehemaligen Feinden. Als sie zu uns kam fragte ich sie, ob sie das alles von Anfang an so geplant hätte.
"Nein. So weit ich es vorausahnen konnte, bin ich jetzt tot. Wozu bräuchte ich da Pläne."
Tianna lachte über ihre Worte, doch ihr Lachen ging in leises, verzweifeltes Weinen über, während die Frauen uns in die Mitte nahmen, damit niemand es merkte. Sie war zu Tode erschöpft. Ohne ihre Gefährtinnen, die sie heimbrachten, fütterten und behüteten wie ein kleines Kind, wäre sie jetzt verloren gewesen und ich hätte ihren späteren Ruhm nie miterleben können.

Ob die Götter der alten Sagen genauso hatten leiden müssen, während die einfachen Kämpfer nur ihren Ruhm sahen und sie für unbesiegbar hielten?

Seltsam, daß eine so nutzlose, für ihren Benutzer sogar gefährliche Waffe, dennoch geeignet ist, Tianna die Achtung zuzuführen, die ihrem Können entspricht. Seltsam, daß die meisten Krieger eine solche Rechtfertigung brauchen, um sich damit abfinden zu können, daß sie von einer Frau besiegt wurden.

Kersti


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G10. Kersti: Voriges: Geheimnisse
GI1: Kersti: Inhalt: Zwillingsbande
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
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