vor 15.2.00
Tianna sagte:
"Wären wir Männer, hätten wir uns längst einen Namen gemacht. Ich habe im
letzten Jahr jeden Trockenlandfürsten im Zweikampf besiegt. Ich kann nicht sagen, wieviele
Angreifer ich in den Monaten erschlug, seit ich durch meinem Kampf mit dir gezeigt
habe, daß wir existieren.
Wenn wir dafür sorgen wollen, daß alles Notwendige an Material und Lebensmitteln im Haus
ist, müssen wir mit Städten handeln, die in unserem Fall den Marktfrieden nur anerkennen,
bis wir knapp außerhalb der Tore sind. Hinter dem nächsten Busch lauern zwanzig oder
dreißig Männer, die uns zehn Händlerinnen ausrauben wollen. Mehr können wir nicht
mitnehmen, denn auch unser Haus muß gut bewacht werden, soll es bei unserer Rückkehr noch
stehen. Am Anfang hatten wir nur leichte Verletzungen. Jede, die ich mitgenommen hatte, war eine weit
überdurchschnittliche Kämpferin. Ich hatte meine Frauen monatelang gedrillt, ihnen die
Feinheiten des Kiharkodex eingebläut und die abgewiesen, die nicht schnell genug lernten. Doch
die tägliche Anspannung, die immer wiederkehrenden kleineren Verletzungen zehrten an unseren
Kräften. Die Kämpfe folgen zu dicht aufeinander. Keine der Frauen blieb ganz unverletzt.
Dann kamen schließlich die ersten schweren Verletzungen. Als ich hierher aufbrach, hatte ich in
meiner Naivität geglaubt, als ausgebildete Leronis könnte ich alle anfallenden Verletzungen
behandeln. Ich mußte herausfinden, daß wir zu viele Verletzte haben - so wenige wir auch
sind. Du selbst hast mir ja eine Heilerin empfohlen.
Langsam glaube ich, daß diese Männer uns erst in Frieden lassen werden, wenn wir alle tot
sind. Als Frauen können wir nicht wahr sein. Männer trauen ihren Augen nicht, wenn wir
siegen. Es muß Zufall sein. Oder unsere Gegner Feiglinge. Uns darf es nur in alten Sagen geben,
deshalb fühlt sich jeder jugendliche Führer einer Trockenlandbande berufen, uns in das Reich
der Toten zu der Göttin zu schicken, deren Zeichen wir tragen."
Schweigend betrachtete ich ihr hübsches Gesicht. Sie sah müde aus, nein zu Tode
erschöpft, als hielte sie nur noch ihr unbeugsamer Stolz auf den Beinen. Tianna ist nicht der
Mensch, der aufgibt. Ich wußte, sie würde entweder siegen oder sterben. Ich sah keine
realistische Hoffnung, daß sie ihr Ziel, ihr Haus zu halten, erreichen konnte. Also
erzählte ich:
"Vor Jahren, nachdem ich in einem Kampf gegen einen Rivalen den Arm verlor, dachte ich nach.
Mir wurde klar, daß ich als Krüppel keine Chance hatte. Ein Arm weniger ist im Kampf ein
Nachteil, den man nicht wieder wettmachen kann. Ich würde zwangsläufig als Bettler enden,
der von den Almosen mitleidiger Frauen lebt. Da begehrte alles in mir auf. Ich habe täglich
stundenlang kämpfen geübt, jeden herausgefordert, der an meinen Fähigkeiten zweifelte.
Jetzt habe ich das Unmögliche geschafft: Ich führe ein eigenes Haus. Viel wahrscheinlicher
wäre gewesen, daß ich jetzt tot bin."
Tianna nickte nachdenklich. Als sie heimritt, dachte ich an jenen Tag, da ich ihr Kihar kennenlernte:
Das große Haus von Shainsa hatte seit meiner Kindheit zwei mal den Besitzer gewechselt. Als ich
ein Jugendlicher war, wurde mein Vater mit seinen Männern von einem Muallir besiegt, den ich
inzwischen selber in das Land der toten Kriegergötter geschickt habe. Der Markt von Shainsa hatte
sich dagegen kaum verändert: Händler priesen ihre Waren an und Frauen mit musikalisch
klingenden Ketten bestaunten die Auslagen. Männer schlenderten lässig herum - einige davon
achteten in meinem Auftrag darauf, daß keine Frau belästigt wurde und der Marktfrieden
gewahrt blieb. Der Stand der Kriegerfrauen unterschied sich äußerlich kaum von den anderen.
Nur ihre Kleidung schien fremdartig. Sie priesen ihre Waren an und plauderten scheinbar sorglos
miteinander. Eine Rrylspielerin sang ein altes Trockenlandlied von der Frau, die von den
geschlechtslosen Göttern des Krieges wegen ihrer überragenden Fähigkeiten als eine der
Ihren aufgenommen wurde. Sie beherrschte das blau leuchtende Zauberschwert der Götterkrieger wie
kaum ein Gott. An den Armen der Frauen sah ich breite Metallarmbänder ohne Ketten, die das Symbol
eben dieser Göttin trugen. Hatten sie keine Angst, daß die Göttin sie für diesen
Hochmut strafen könnte?
"Wer führt diesen Handel?" fragte ich.
Eine rothaarige, kleine, zartgebaute Frau stand lässig auf. Sie war atemberaubend schön,
hatte ein schmales Gesicht und lächelte mir herzlich zu, als sie sagte:
"Ich bin Tianna, Herrin des Hauses am Felsquell, Tochter von Torana, der edlen Kriegerin und
früheren Hausherrin von Shainsa"
Tianna. Eine jüngere Schwester von mir. Ich hatte ihren Zwillingsbruder damals für verrückt erklärt, als er behauptete, daß sie das Zeug zu einer Kriegerin hätte. Sie sah aus wie ein nettes, kleines Mädchen, das mit den Waffen ihres Vaters spielte. Wie kam es, daß gerade diese körperlich schwache, sehr kleine Frau Anführerin war? Wer nach meinem Aussehen geht, würde in mir nur einen Krüppel sehen. Tatsächlich bin ich einer der besten Kämpfer des Trockenlandes. Unsere Mutter kämpfte in Verkleidung wie ein Mann - und solange sie lebte war sie tatsächlich inoffizielle Hausherrin. In mir erwachte Neugier. Ob sie den Geist eines Kriegers in sich trug?
"Ich bin Taron Einarm, Sohn Darions, der nach Torana in diesem Haus herrschte. Als Herr des Hauses von Shainsa, obliegt es mir, die Ehre der toten Götter zu hüten - ich fordere dich, den Sieg zu erwarten."
Tianna nickte ernst und gab ihren Frauen einen Wink, einen freien Platz zum Kampf zu schaffen. Ich befahl meinen über den Platz verstreuten Ordnungshütern dasselbe. Die Frauen führten den Befehl auf dieselbe freundliche, höfliche aber auch ruhige und bestimmte Art aus, die auch ich von meinen Männern erwarte: Gewalttätigkeit ist für Feiglinge.
Der Kampf, zu dem ich sie herausgefordert hatte, war ihrer Anmaßung, die Zeichen einer Göttin zu tragen, angemessen. Es ist eine Nervenprobe. Man steht einander mit geschlossenen Augen gegenüber. Wer zuerst angreift, kann den Kampf nur dadurch noch für sich entscheiden, daß er den Gegner mit höchstens drei Hieben entwaffnet oder tötet. Jeder längere Kampf gilt als unentschieden - oder als klarer Sieg für den Gegner, wenn beide gleich gut kämpfen. Bisher habe ich jeden Kampf dieser Art gewonnen. Tianna schluckte, wirkte, als sei sie überhaupt nicht sicher zu gewinnen. Dann raffte sie sich entschlossen auf und trat in den Kreis. Ich nahm ihr gegenüber Aufstellung. Wir hoben die Schwerter und schlossen die Augen. Dadurch, daß die Klingen mit leichtem Druck aneinanderlagen, konnte ich jede noch so geringe Bewegung der kleinen Frau spüren. Laut sagte mein Herold an, daß der Kampf begonnen hatte.
Es war merkwürdig. Ihre Unruhe war wie weggeblasen. Die Götter der alten Sagen besaßen
die Fähigkeit, die Gefühle und Absichten ihrer Gegner zu spüren. In geringerem
Maße habe ich diese Gabe auch - manchmal. Bei Kämpfen, wo man den Sieg erwartet,
spürte ich meist die Unruhe und Unsicherheit meiner Gegner. Sobald sie unsicher genug waren,
griff ich an und entwaffnete sie mit einem einzigen Schlag. Das konnte nach Minuten oder Stunden
geschehen. Oder mein Gegner verlor die Nerven, griff an - und ich entwaffnete ihn ebensoschell. Tianna
war ruhig. Sie badete in Ruhe und Zuversicht, schien mit endloser Geduld gesegnet. Stunden standen wir
uns schweigend gegenüber, rührten uns nicht. Ihr Arm begann vor Erschöpfung leicht zu
zittern. Immer noch ging von ihr eine Aura von Ruhe und Zuversicht aus. Es wurde dunkel und kühl
um uns her. Ich fragte mich, ob sie für den Rest ihres Lebens so stehenbleiben wollte. Sie
wartete. Ich staunte, warum sie nicht unsicher wurde. Sie wartete. Ich begann mich zu langweilen. Sie
wartete. Ich dachte: *Ich muß dieser Farce ein Ende machen.* und griff an. Sie verteidigte sich
mit fließenden, anmutigen Bewegungen. Sie kämpfte gut, doch statt richtig anzugreifen,
schien sie immer noch zu warten. Ich versuchte verbissen, sie zu entwaffnen. Ihr Schwert schien wie
Wasser an meinem vorbeizugleiten. Ich war verwirrt. Plötzlich war ihr Bein an einer Stelle, wo es
vorher noch nicht gewesen war, ich stolperte darüber und noch während ich fiel schlug sie
mir das Schwert aus der Hand. Ihre Knie hinderten mich daran, mich sofort wieder auf die Beine zu
rollen und ein Dolch an meiner Kehle verhinderte jede weitere Abwehrbewegung. Fassungslos starrte ich
sie an. Ihr Gesichtsausdruck war ernst, ruhig und sehr sanft - als gäbe es an dieser Frau nichts
Kriegerisches. Ich entspannte mich. Der Kampf war verloren. Sie trat zurück und ließ mich
schweigend aufstehen. Sie hätte mich nach den Kampfregeln auch töten und mein Haus
übernehmen dürfen. Doch statt dessen bestätigte sie mich als Hausherrn - mehr als ein
Haus bräuchte sie ja nicht - und dankte mir höflich für den guten Kampf - sie
würde nur einen weiteren Kämpfer kennen, der vergleichbare Fähigkeiten hätte.
"Wer?" fragte ich.
"Toal, mein Zwillingsbruder." antwortete sie.
Wie es die guten Sitten erforderten lud ich sie zu einem Festessen ein. Doch in meinem Kopf herrschte
Chaos. Sie hatte mich besiegt. Ich bat um Zeit, um alles für das Fest vorzubereiten. Dann ging
ich nach Hause. Kairan, mein Stellvertreter fragte fassungslos:
"Wie konnte das passieren?"
Ich schwieg lange. Erst im Haus sagte ich leise:
"Sie ist besser als ich."
Kairan sah mich an, als hätte ich gesagt, daß die Sonne blau sei. Ich muß Tianna
wohl genauso entgeistert angestarrt haben, als mir bewußt wurde, daß sie mich besiegt
hatte.
"Ich weiß nicht, ob sie technisch besser kämpft. Aber sie hat die weitaus besseren
Nerven und einen stärkeren Willen als ich." sagte ich.
"Aber das kann doch nicht sein", stammelte er, "sie ist eine Frau!"
"Kairon, kümmer du dich bitte um die Vorbereitungen. Ich muß meine Gedanken
ordnen." bat ich und drehte ihm den Rücken zu. Ich brauchte Ruhe, sonst würde ich beim
Essen kein vernünftiges Wort herausbringen.
Wochen vergingen.
Eines Abends ging ich wie jeden Tag die Wehrmauer ab und wechselte mir jeder der Wachen ein paar Worte
- nichts bedeutendes. Doch diesmal sprachen mich gleich mehrere Männer an, wie hoffnungslos
unsere Lage sei, wir könnten eigentlich gleich aufgeben. Die klügeren meiner Männer
werden es sofort gemerkt und geschwiegen haben. Doch es dauerte einige Wochen, bis auch die
dümmeren, die über alles reden zu müssen glauben, begriffen. Ich hatte ihre
Nahrungsmittelrationen so empfindlich gekürzt, daß sie nachzudenken begannen. Es war
schwierig, sie zum Durchhalten zu bewegen. Schließlich wandte ich mich der Treppe nach unten zu.
Plötzlich entstand Unruhe im Heer der Belagerer. Ich sah hinunter. Ein einzelner Reiter
näherte sich auf einem großen, dunklen Pferd und reagierte weder auf Zurufe noch auf
Fragen. Schließlich trat ein großer Krieger ihm entgegen und sagte:
"Meine Geduld ist am Ende, Fremder. Entweder stellst du dich jetzt vor, wie es sich ziemt, oder
du bist des Todes."
"Wohl kaum. Doch ich will mich vorstellen: Ich bin Tianna, Tochter Toranas, die bis zu ihrem
Tode im Kindbett Herrin des Hauses von Shainsa war. Wer seid ihr, hochmütiger
Herausforderer?"
"Jetzt ist sie vollkommen verrückt geworden." sagte der Wachhabende neben mir auf der
Mauer. Klirrend fuhren Schwerter aus den Scheiden. Die ganze Scene wurde in geisterhaft blaues Licht
getaucht, das von Tiannas Schwert ausging. Tianna lenkte ihr Pferd auf den Herausforderer zu, der mit
aufgerissenen Augen zurückwich.
"Sie ist eine Kriegergöttin." murmelte jemand ehrfürchtig. Schulterzuckend
wandte Tianna ihr Pferd dem Stadttor zu. Ich ließ es gerade weit genug öffnen, daß
sie hindurchschlüpfen konnte. Dann fragte ich Tianna zornig:
"Bist du vollkommen verrückt geworden?"
"Wahrscheinlich. Aber es hat funktioniert. Das ist mehr, als ich von jeder vernünftigen
Aktion hätte erwarten können." antwortete sie leise.
Ich lachte. Dann fragte ich neugierig:
"Wie hast du es geschafft, daß dein Schwert wie ein Dokir aussah?"
Als Dokir werden die blau leuchtenden Zauberschwerter der Kriegergötter bezeichnet. Tianna zog
ihre Waffe und sagte ernst:
"Es ist eins. Eine Schmiedin brachte mir dieses Schwert und sagte, daß es mir
zustünde. Allerdings ist es einfacher, mit normalen Schwerten zu kämpfen. Die blaue Schicht
besteht aus demselben Zeug wie unsere Zaubersteine. Es hat die Gefühle der mich umgebenden
Menschen mit solcher Wucht auf mich übertragen, daß ich beinahe die Besinnung verloren
hätte. Eigentlich ist es eine Waffe, die ihrem Träger im Kampf eher schadet als
nutzt."
"Darf ich es einmal in die Hand nehmen?" fragte ich ehrfürchtig staunend.
"Wenn du mir deinen Stein in die Hand gibst." entgegnete Tianna grinsend. Ich wurde
blaß. Einmal hatte mir ein älterer Junge diesen Stein aus dem Beutel geraubt. Ich schrie
vor Schmerzen so sehr, daß er ihn mir sofort zurückgab. Ich habe heute noch Alpträume
von dieser Erfahrung.
"Taron, du kannst es jetzt anfassen." sagte sie unvermittelt.
Ich glaubte, mich verhört zu haben.
"Ehrlich. Ich habe mich auf dich eingestimmt. Wenn ich das nicht könnte, wäre ich
nicht fähig, mit einem Dokir zu kämpfen."
Ich nahm die blau leuchtende Waffe entgegen. Sie lag gut in der Hand. Man konnte sie zu einem
Halbkreis biegen. Ein Schwert aus sehr gutem Stahl. Wie war es möglich, daß es
gleichzeitig die Eigenschaften der Zaubersteine in sich trug? Tianna nahm es wieder an sich, schob es
zurück in die seidenüberzogene Scheide und folgte mir in die Wohnräume des großen
Hauses. Im Licht der Öllampen sah sie erschöpft und abgehärmt aus, sehr klein und
schmächtig. Müde stützte sie den Kopf in die Hände.
"Schau nicht so hoffnungslos Tianna. Immerhin hast du jetzt ein Zauberschwert." sagte ich
tröstend.
"Die Waffe ist nutzlos. Was meinst du, wie lange so ein Bluff vorhält?" entgegnete
sie.
"Warum sagst du mir das?"
"Dir kann ich es erzählen. Die Frauen würden resignieren. Du kämpfst, auch wenn
du eine Situation für vollkommen hoffnungslos hältst. Ich brauche eine Heilerin für
eine meiner Schwertfrauen."
"Wie willst du sie zu euch hineinbringen?"
"Ich verlasse die Stadt durch den Geheimgang und dort wende ich zum Hineinkommen denselben
Trick an wie hier."
"Ich muß zugeben: Der Wahnsinn hat Methode. Zeigst du mir dem Gang?"
Tianna lachte. "Nein."
Als Muallir meinen Vater besiegte, wurden meine jüngeren Brüder mit verbundenen Augen durch diesen Gang bei meiner Bande in Sicherheit gebracht. Als ich es zurückerobert hatte, verschwanden die kleinen Söhne Muallirs und tauchten in Tiannas Obhut wieder auf. Der älteste ist Tiannas leiblicher Sohn. Zuerst hatte ich Sorge, daß die Jungen sich später an mir rächen könnte, aber Tianna wird, wie ich sie kenne, einen weiteren Kampf zwischen Söhnen derselben Mütter zu verhindern wissen. Hinter das Frauengeheimnis des Ganges werde ich wohl nie kommen. Tianna würde mal wieder spurlos aus den Frauengemächern verschwinden. Sie verabschiedete sich, holte die Heilerin und ging fort. Ich legte mich schlafen.
Ich kleidete mich sorgfältig an und ritt hinaus. Höchstwahrscheinlich würde Tianna
verlieren und damit wäre mein Schicksal besiegelt. Dem Tod sollte man mit Stolz entgegentreten.
Meine Männer waren optimistisch. Das Zauberschwert hatte sie beeindruckt. Das riesige Heer
unserer Gegner ließ uns bis an die Kampffläche vor. Die fünf Anführer waren schon
da. Ihre Gesichter verrieten nicht, was sie dachten. Auch sie hatten Grund zu Angst. Zuletzt kam
Tianna mit ihren Frauen. Auch sie trug ihre besten Sachen, grüßte ihre Gegner und betrat
den Kreis. Ruhig bewegte sie sich zu dessen Mitte, setzte sich im Schneidersitz auf den Boden, legte
ihr Dokir auf ihren Schoß und betrachtete versonnen die blau schimmernde Waffe. Ein Bild des
Friedens. Wer mit seinem Leben abgeschlossen hat, sorgt sich nicht mehr. Ihre fünf Gegner
wußten nicht, was sie tun sollten. Zögernd traten sie näher. Als sie nur noch drei
Schritt entfernt waren und sich zum Angriff bereit machten, sprang sie auf, mit einer einzigen
fließenden Bewegung, einem Wirbeln von blauem Licht und schnellen Füßen, innerhalb
von Sekundenbruchteilen war jeder ihrer Gegner tot. Wie erstarrt stand sie zwischen den Leichen, die
hell strahlende Klinge hoch erhoben, die Augen in weite Ferne gerichtet. Es herrschte Totenstille. Es
dauerte lange, bis ich begriff, daß sie weinte. Leise ging ich zu ihr hinüber, legte sanft
meinen Arm um sie, wie um ein kleines Kind.
"Tianna, was ist los?" fragte ich liebevoll, aber so leise, daß nur sie mich
hören konnte. Sie zitterte.
"Komm. Steck die Waffe ein. Sie sind tot. Du hast gesiegt."
Als Junge ist es mir ein einziges mal gelungen, im Kampf mit meinem Gegner vollkommen eins zu werden. Es war ein wunderbares Gefühl der Einheit, der Harmonie. Mir schien alles im Zeitlupentempo abzulaufen, doch in Wahrheit habe ich so schnell gekämpft, daß die Blicke unserer Zuschauer mir nicht folgen konnten. Einer meiner Hiebe traf meinen Gegner und fügte ihm eine unbedeutende Verletzung zu, doch ich brach schreiend unter dem Schmerz zusammen, den ich ihm zugefügt hatte, empfand ihn viel schlimmer, als ich jemals eigene Schmerzen empfunden hatte. In einem Abwehrschlag traf mein Gegner mein Schultergelenk, bevor ihm bewußt war, daß ich nicht mehr des Kämpfens fähig war und ich verlor dadurch meinen rechten Arm. Eine Heilerin aus der nahegelegenen Stadt rettete mit knapper Not mein Leben. Seither fürchte ich aus tiefster Seele die Macht meiner Gabe.
Wie sehr mochte Tianna unter den Verletzungen leiden, mit denen sie ihre fünf Gegner besiegt
hatte? Ich sprach mit ihr, als wäre sie ein krankes Tier, führte ihre Hand so, daß das
Schwert in die Scheide kam und vor den Ausstrahlungen ruheloser Geister geschützt war und brachte
sie zu ihren Kriegerinnen. Dort befahl ich den Frauen uns vor neugierigen Blicken abzuschirmen und gab
Tianna zwei heftige Ohrfeigen. Sofort wurde ihr geistesabwesender Blick hellwach, ihre Hand fuhr zum
Schwert. Ich sah ihr gerade in die Augen und sagte eindringlich:
"Tianna, die Männer erwarten dich. Halte ihnen eine Rede, damit sie dich als Göttin
anerkennen können, sonst werden sie uns erschlagen."
Tianna ließ die Hand sinken, biß die Zähne zusammen, nickte und begab sich
würdevoll in die Mitte des Kampfplatzes. Ich staunte, woher sie die Selbstbeherrschung nahm, sich
die Anspannung nicht anmerken zu lassen. Sie sprach:
"Männer des Trockenlandes!
Ein großer Kampf hat stattgefunden. Er wird in die Legenden unseres Volkes eingehen. Diese
fünf toten Krieger, meine Gegner haben ehrenhaft gekämpft und verloren.
Freunde und Gefährten der Toten, tretet vor und holt sie zu euch. Bereitet alles vor, damit
ihnen ein Begräbnis zuteil wird, das ihrem Rang entspricht, damit sie nicht als ruhelose Geister
umherstereifen müssen. Ich als Göttin müßte sonst mit ihnen leiden, denn auch sie
tragen Spuren der göttlichen Kampfesgaben in sich. Gebt meinen Feinden die Ehre, die ihnen
gebührt!
In drei Tagen, wenn die Trauerfeierlichkeiten abgeschlossen sind, ist es früh genug, über
die Zukunft des Trockenlandes zu beraten. Dann finden wir uns zusammen und ich werde meine Bedingungen
nennen."
Die Rede war genial: Sie verschaffte Tianna Zeit, ihre Gedanken zu ordnen, würde sie von den
Geistern der Toten befreien und gefiel unseren ehemaligen Feinden. Als sie zu uns kam fragte ich sie,
ob sie das alles von Anfang an so geplant hätte.
"Nein. So weit ich es vorausahnen konnte, bin ich jetzt tot. Wozu bräuchte ich da
Pläne."
Tianna lachte über ihre Worte, doch ihr Lachen ging in leises, verzweifeltes Weinen über,
während die Frauen uns in die Mitte nahmen, damit niemand es merkte. Sie war zu Tode
erschöpft. Ohne ihre Gefährtinnen, die sie heimbrachten, fütterten und behüteten
wie ein kleines Kind, wäre sie jetzt verloren gewesen und ich hätte ihren späteren Ruhm
nie miterleben können.
Ob die Götter der alten Sagen genauso hatten leiden müssen, während die einfachen Kämpfer nur ihren Ruhm sahen und sie für unbesiegbar hielten?
Seltsam, daß eine so nutzlose, für ihren Benutzer sogar gefährliche Waffe, dennoch geeignet ist, Tianna die Achtung zuzuführen, die ihrem Können entspricht. Seltsam, daß die meisten Krieger eine solche Rechtfertigung brauchen, um sich damit abfinden zu können, daß sie von einer Frau besiegt wurden.
. Fortsetzung: G10. Voriges: Geheimnisse GI1: Inhalt: Zwillingsbande |
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