"Du, warum sehen deine Hände denn so merkwürdig aus?" fragte ich den Mann.
Einer seiner Begleiter lachte und sagte:
"Der kann doch gar nicht sprechen."
Ich sah weiter fragend den Mann mit den komischen Händen an. Er erwiderte meinen Blick und versuchte zu lächeln,
aber das gelang ihn nicht richtig. Ich spürte aber seine freundlich grüßende Energie(VA180. Definition Eso) und lächelte ihm
zur Antwort zu. Ich mochte ihn. Dann halfen ihm die anderen vom Pferd und führten ihn in Jesus Tios Haus. Er
stützte sich schwer auf seine Begleiter und wurde dort sofort auf das Bett von Jesus Tios gelegt. Ich spürte,
daß ihm jeder Schritt weh tat. Ich folgte ihnen und setzte mich neben das Bett von dem Mann. Die anderen gingen und
fragten mich, was ich denn hier wolle.
"Ich will bei dem Mann bleiben." sagte ich.
"Aber er kann doch gar nicht sprechen." sagte einer seiner Begleiter.
"Aber er ist lieb. Ich bleibe hier und spreche mit ihm." sagte ich.
Die anderen lachten, unterhielten sich darüber, wie niedlich kleine Kinder doch manchmal seien und gingen. Ich
fühlte mich durch ihre Worte beschmutzt, denn es war Verachtung.
Nachdenklich sah ich den Mann an.Dann hörte ich plötzlich
fremde Gedanken in meinem Kopf:
*Ich bin gefoltert worden. Das heißt, jemand hat mir mit einem Gerät die
Finger gewaltsam langgezogen.* erkläerte die Stimme und sie klang hart vor Schmerzen.
*Aber wer tut den so etwas?* fragte ich fassungslos.
Das war eine Vorstellung, die weit außerhalb meiner eigenen Denkweise lag. Ich hätte niemals einem anderen
Wesen absichtlich wehgetan. Nicht einmal wenn ich dafür bestraft würde, daß ich es nicht tue.
*Böse Menschen.* antwortete er und legte sanft seine verunstalteten Hände auf meinen Kopf.
Ich sah ihn an, musterte aufmerksam diesen nutzlosen, schmerzenden Körper und fragte:
*Wer waren sie?*
*Die Engel.*
Mir fiel auf, was mich die ganze Zeit gestört hatte. Seine Lichtkörper - feinstofflichen Körper waren nicht wirklich mit dem materiellen Körper verbunden. Die Verbindung war nur halb, wie bei einem Toten. Er WAR schon tot, aber er weigerte sich zu gehen.
*Warum gehst du nicht weg?*
*Ich sterbe nicht, weil ich Verpflichtungen habe. Ich bin der Johannes. Und
ich kann erst gehen, wenn ich einen Nachfolger ausgebildet habe. Sonst
werden noch viel mehr Menschen gefoltert.*
Ich hatte gehört, daß der Johannes der Höchste der Essener sei, und daß er so krank sei, daß er
nicht mehr regieren könne. Ich sah ihn an. Ich begriff, was er mir erklärte. Bei der Gedankensprache, hatte ich
nicht wie bei der gesprochenen Sprache das Problem, das ich das Meiste, was ich sagen wollte, nicht in Worte fassen
konnte und umgekehrt viele Erklärungen nicht begriff, weil mir die Sprachkenntnisse fehlten. Die Gedankensprache
arbeitet nicht mit Worten, sondern mit komplexen vieldimensionalen Gedankenkristallen. Es war eine
schreckliche Vorstellung, so leben zu müssen. Ich konnte mich an Leben erinnern, in denen ich regiert hatte und daran,
daß Verantwortung für mich immer eine sehr schwere Last gewesen war. Aber was er tat, war falsch. Ich WUSSTE
daß es falsch war.
*Du mußt gehen. Du vergehst dich gegen den göttlichen Plan.* erklärte ich ihm entschieden.
*Aber ich bin der Einzige, der noch das Wissen hat - was wird dann aus
meinem Volk?" fragte er empört und verzweifelt.
*WIR sind die Hüter des Lichts. Wir werden es retten, wenn das auf Erden
noch möglich ist.* antwortete ich und in dem Augenblick wußte ich
sicher, daß ich genau dazu ausgebildet werden sollte.
*Ich bin der Johannes. Ich werde bleiben, bis mein Sohn alt genug ist, um
mein Amt zu übernehmen.* entgegnete er entschieden.
Ich sah ihn prüfend an. Erspürte sein Energiefeld und wußte, daß er nicht auf mich hören
würde. Er ist sehr starrsinnig, was die Erfüllung seiner Pflichten angeht oder was er dafür hält. Aber
das kann ich gut verstehen. Ich bin nämlich noch viel starrsinniger. Es war wirklich nichts zu machen. Dann würde
er meine Hilfe brauchen, um nicht völlig zu verzweifeln.
Er richtete sich mühsam ins Sitzen auf, zuckte mitten in der Bewegung vor Schmerzen zusammen und betrachtete mich
nachdenklich. Ich erwiderte seinen Blick.
*Meinst du, du könntest meine Haare kämmen? Der Kamm ist in der
kleinen Tasche dort. Ich kann ihn mit meinen kranken Händen nicht halten.*
Ich holte den Kamm und begann ihn so zu kämmen, wie ich gerne gekämmt worden wäre, als ich es noch nicht
selber konnte. Ganz sanft und vorsichtig.
*Kannst du das überhaupt aushalten?* fragte ich.
Er ließ den Kopf sinken und Tränen flossen über seine Wangen. Ich kämmte einfach nur sacht weiter und
wartete, bis er sich wieder gefangen hatte.
*Meist komme ich zurecht. Aber manchmal kann ich einfach nicht mehr. Zwei mal am Tag liege ich einfach nur in der Ecke und
weine.* antwortete er und hielt sein Energiefeld mühsam unter Kontrolle, weil meines noch zu labil war, daß ich
ihm hätte Energie abgeben dürfen.
*Warum sagen die Leute, daß du nicht mehr regieren kannst? Dazu mußt
du doch nur reden können, wie du mit mir geredet hast.* fragte ich.
*Die Hochgeweihten sind nicht so wie du. Wenn ich versuche, mit ihnen zu
reden, hören sie mich nicht. Als ich noch jünger war, wäre niemand in
den hochgeweihten Rat aufgenommen worden, der die Gedankensprache
nicht versteht.* erklärte der Johannes.
*Du kannst mit niemandem reden?* fragte ich.
Ihm kamen wieder die Tränen.
*Da ist mein Sohn und Arid. Aber die sind beide nicht hier.
Draußen geht bald die Sonne unter. Willst du ihr zusammen mit mir dabei zuschauen?*
Ich nickte und begleitete ihn hinaus. Wir setzten uns an meine Lieblingsstelle zwischen den Obstbäumen, wo ich immer hinging, wenn ich allein sein wollte und saßen dort stundenlang schweigend beisammen. Ich streichelte ihn und empfand für ihn wie für einen jüngeren Bruder. Schließlich kehrten wir zu Jesus Tios Haus zurück, wo der Johannes schon vermißt wurde. Sie hatten sich Sorgen um ihn gemacht. Trotzdem war es richtig, daß wir so lange geblieben waren. Er hatte diesen stillen Beistand gebraucht.
Auch meine Mutter hatte mich gesucht. Sie hielt mir eine schreckliche Moralpredigt. Ich weinte und versuchte zu erklären, was ich gemacht hatte und warum es wichtig war. Aber wer weiß, wie kleine Kinder sprechen, weiß auch, daß ich nicht fähig war, meine Gedanken in Worte zu fassen, die meine Mutter hätte verstehen können. Ich war ja erst zwei. So schimpfte sie sich ihre Angst um mich von der Seele und ich fühlte mich schrecklich ungerecht behandelt.
Ganz früh am nächsten Morgen wischte ich wieder rüber zu dem Johannes. Ich half ihm beim Aufstehen und
begleitete ihn hinaus zum Morgengebet. Als der ranghöchste Priester im Dorf spendete er den Segen, auch wenn andere die
Worte dazu sprechen mußten. Nur wir Kinder sahen das strahlende geistige Licht dieses Segens, den er herbeirief. Die
Erwachsenen hatten nur das vage Gefühl, daß der Johannes plötzlich irgendwie mächtiger, königlich
aussah. Dabei löste sich jedoch der Lichtkörper aus dem materiellen Körper und wollte gehen. - Für die anderen fiel der
Johannes nur in Ohnmacht. Ich jedoch sah, wie er schnell, aber mit dem Können langer Übung, die Verbindung
wiederherstellte, die der göttliche Segen gelöst hatte, um ihn heimzurufen. Armer starrsinniger
Johannes. Es wäre besser gewesen, er hätte den Segen angenommen, statt auf diesem Leben zu bestehen, das für
ihn nur ein Qual war. Als er fertig war, trat ich zu ihm hin und sagte in der Gedankensprache:
*Das hättest du nicht tun sollen.*
Er weinte. Es sah nicht wie ein Weinen aus - nur wie die tierischen Gesten eines Wahnsinnigen. Aber er war nicht wahnsinnig,
er war bei vollem Bewußtsein. Ich streichelte ihn.
"Hast du denn keine Angst?" fragte jemand.
"Mann weint. Eia machen." antwortete ich.
Es bestand ja nun wirklich kein Grund zur Angst. Innerlich - das wußte ich, war ich stärker als der Johannes.
*Simon. Kannst du dir vorstellen, mich auf meinen Wegen zu begleiten?* fragte der Johannes und seine Gedanken waren voll
eines verzweifelten Flehens.
Ich stellte mir vor, wie es wäre, das zu tun und es erfüllte mich ein innerer Schmerz. Die Vorstellung,
daß meine Eltern dann nicht mehr bei mir wären, war mir zu schrecklich. Und doch fühlte ich mich wie
zerrissen zwischen dem Wunsch, bei Johannes sein zu können und bei meinem Eltern bleiben zu wollen. Aber ich
wußte, wie die Antwort lauten mußte. Da ich mich so verlassen fühlen würde ohne meine
Eltern, durfte ich ihm nicht zur Seite stehen - nein ich konnte es nicht einmal, denn ich wäre so verletzlich,
daß ich dann für eine solche Aufgabe einfach nicht mehr die Kraft übrig hätte.
*Nein* antwortete ich.
Er brach in verzweifeltes Weinen aus, flehte mich an. Ich streichelte seinen unkontrolliert zuckenden Körper und
wiederholte meine Weigerung. Irgendwie gelang es ihm, sich wieder zu fangen. Er verstand meine Entscheidung. Und er
schämte sich seiner Bitte, denn er hatte eigentlich vorher schon gewußt, daß er darum nicht bitten durfte.
Ich streichelte ihn. Er dachte mir zu:
*Es ist gut. Du hast recht. Ich behalte den Tag mit dir als einen der
Schönsten in den letzten Jahren im Gedächtnis.*
Dann ritt er auf dem Esel davon und ich sah ihm weinend nach. Ich wußte ich war meinem Schicksal begegnet.
Maria, die Mutter von Josef - dem späteren Jesus - trat von hinten an mich heran. Ich hob meinen Blick und
schaute der neunzehnjährigen in die Augen.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615,
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