"Wenn du nicht freiwillig kommst, holen wir dich." drohte die Stimme.
Es war nicht Ramajan. Ich war mir zu gut, um um Gnade zu flehen.
Mühsam stand ich auf, verlor sofort das Gleichgewicht und fiel zu
Boden. Ich schluckte das Essen wieder herunter, das im Begriff war
hochzukommen und versuchte den Schwindel unter Kontrolle zu bekommen.
Dann krabbelte ich zur Wand und richtete mich in einer Ecke des Zimmers
vorsichtig auf. Minutenlang stand ich zitternd da und versuchte die
bunten Schlieren und Kreise vor meinen Augen zu vertreiben.
Schließlich, als mein Blick wieder klar war, tastete ich mich an
der Wand entlang nach draußen. Zu meinem Erstaunen gelang es mir
draußen sogar zu gehen. Ich muß aber getorkelt haben, wie
ein Besoffener. Ich schaffte es bis zum Schiff.
Im Schiff fiel ich - wie unterwegs schon mehrfach - hin. Ich setzte mich
mühsam auf und nahm meinen schmerzenden Kopf in die Arme.
Außer Ramajan war noch eine hochgewachsene, schwarzhaarige Frau
anwesend.
"Was wollt ihr von mir." fragte ich.
"Hör sofort auf mit dem Theater." sagte die Frau, die eigentlich
gar nicht wie ein Engel aussah. Ich sah sie nur schweigend an. Den
Gefallen konnte ich ihr nicht tun.
"Zieh dich aus und leg dich auf die Behandlungsliege."
Ich wurde aus der Situation nicht schlau. Woher kam plötzlich
diese Schärfe, diese Wut, die sie mir entgegenbrachten statt der
üblichen arroganten Verachtung?
"Was ist los? Was habt ihr mit mir vor?" fragte ich.
"Tu was ich dir sage!"
Ich sah sie an, zuckte mit den Schultern zog mein Gewand aus, legte es
zusammen und krabbelte mühsam auf die Behandlungsliege. Sie
schnallte mich mit einigen Riemen so fest, daß mir das Blut
abgeschnürt wurde. Ich machte sie darauf aufmerksam.
"Das interessiert mich nicht. Halt still. Willst du wirklich keine
Betäubung?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Ich würde sie nehmen. Ich habe heute nämlich etwas besonders
Häßliches vor. Etwas das der arme, dumme, weichherzige
Ramajan nie übers Herz bringen würde."
Sie war ja richtig boshaft.
"Ramajan ist nicht dumm. Er hat nur kein Rückrat. Deshalb tut er
alles, was ihm befohlen wird. Auch die Dinge, die er nie übers
Herz bringen würde." widersprach ich.
Die Frau sah mich überrascht an.
"Heute wird es wirklich schrecklich. Und ich bin auch nicht so schwach
wie er. Ich werde dir deine neugierigen Fragen nicht beantworten. Ich
habe dich durchschaut. Du willst uns aushorchen. Wir haben nämlich
einen Intelligenztest gemacht. Da steht das drin."
*Ich Idiot.* dachte ich nur. Da hatte mir meine Neugier wirklich einen
Streich gespielt.
"Du bist intelligent genug, um unsere Pläne zu durchschauen und
willst erreichen, daß wir dir alles erzählen. Aber ich
beantworte dir deine Fragen nicht." erzählte sie mir und hatte mir
meine Fragen damit erst einmal alle beantwortet.
"Du bist wirklich nett." antwortete ich freundlich.
"Warum?" fragte sie verdutzt.
"Ich habe auch einen Intelligenztest mit dir gemacht. Du bist nicht
intelligent genug, um meine Pläne zu durchschauen." erklärte
ich boshaft.
Doch, mir fiel noch eine Frage ein: Ich wollte wissen, wie sie
hieß.
"Nur damit du weißt, wer dich in Zukunft überwachen wird: Ich
bin Tojinia."
Die Frau war ein Phänomen.
"Du bist wirklich sehr nett." lobte ich sie.
"Ich bin gar nicht nett! Bald werde ich die Gelegenheit haben, dich
richtig zu foltern, nicht nur so ein paar lächerliche Operationen.
Dazu waren nämlich die Nervenfunktionsprüfungen nötig."
widersprach sie ärgerlich.
Foltern. Das erklärte einiges. An die Frage hatte ich nicht einmal
gedacht. Ich lächelte herzlich:
"Das hast du sehr schön gesagt. Genau das wollte ich von dir
hören."
"Das ist gar nicht wahr!"
"Meinst du?" fragte ich sanft.
"Nein das ist nicht wahr."
"Wie du meinst."
Sie merkte, daß sie Boden unter den Füßen verlor,
begriff aber nicht, warum. Hastig bereitete sie alles für die
geplante Operation vor und schnitt mir dann den Bauch auf. Mir wurde vor
Schmerzen schwarz vor Augen. Sämtliche Muskeln im Unterkörper
verkrampften sich, so daß sie nicht weiterarbeiten konnte.
"Gib ihm ein Muskelrelaxans."
Ramajan spritzte mir ein Zeug, das den Effekt hatte, daß sich
meine Muskeln entspannten, ohne daß aber die Schmerzen
gedämpft wurden. Ich konnte dadurch nicht mehr richtig atmen
und schnappte verzweifelt nach Luft, um nicht zu ersticken. Dann
arbeitete sie weiter. Anders als Ramajan, der einfach nur möglichst
sauber und ordentlich die Operationen ausgeführt hatte, die ihm
aufgetragen worden waren - und sie waren glücklicherweise nie im
Bauchraum gewesen - nutzte Tojinia ihr medizinisches Wissen, um mich zu
foltern. Sie spielte am Bauchfell herum, das ja reichlich mit Nerven
versorgt ist, reizte jeden Nervenstrang, den sie entdecken konnte mit
elektrischem Strom und lauschte auf Schreie, die gar nicht kommen
konnten, weil das Muskelrelaxans auch die Stimmbänder gelähmt
hatte. Ich war so mit den Schmerzen beschäftigt, daß ich nur
ganz nebelhaft mitbekam, was sie machte. Sie pflanzte etwas
Faustgroßes in meinen Bauch. Und dann klebte sie die Schnitte der
Reihe nach mit einem chirurugischem Kleber wieder zusammen und setzte
das Gerät ein, was die Engel benutzten, um Wunden auf technischem
Wege wieder zu verschließen. Nachher blieb nur eine kaum sichtbare
Narbe zurück. Sie befreite mich von den Gurten.
Sobald meine Muskeln mir wieder ausreichend gehorchten, setzte ich mich
zitternd auf. Im Grunde war ich wütend auf diese Frau, die
Spaß daran hatte, mich zu foltern. Ich sah zu ihr hoch und fragte
lächelnd:
"Und wie fühlst du dich so, wenn du gerade deiner
Lieblingsbeschäftigung nachgegangen bist?"
"Das war überhaupt nicht meine Lieblingsbeschäftigung! Ich
habe eine absolut notwendige Operation ausgeführt!" widersprach
sie empört und verunsichert.
Interessant wie leicht sie aus dem Gleichgewicht zu bringen war.
Immerhin war ja nicht sie bei vollem Bewußtsein operiert
worden.
"Und wie für alle Engel war das auch für dich ein großes
Vergnügen."
"Ich bin gar kein Engel. Ich bin eine Karigada. Wir sind berühmt
für unseren Stolz und unseren Mut im Kampf."
Schön. Genau das hatte ich wissen wollen.
"Du meinst für eure Unausgeglichenheit und euren Jähzorn? Oder
vielleicht dafür, daß eure Technik veraltet ist?"
"Gar nicht wahr. Wir sind eine raumfahrende Macht. Wir bauen die besten
Gehirnraumschiffe!"
"Ach so. Deshalb bist du hier und führst die Befehle eines Engels
aus.!
Tojinia tat so, als stolpere sie und rammte mir mit voller Kraft eines
ihrer chirurgischen Instrumente in den Arm.
"Ach das tut mir aber leid."
"Ja." kommentierte ich trocken, "Es ist wirklich bemitleidenswert, wie
ungeschickt du bist."
Den Schmerz ließ ich mir nicht anmerken. Vermutlich war sie eine
Gefangene. Sonst hätte sie nicht so reagiert.
"Aber in Wirklichkeit hat die Operation dir doch großen Spaß
gemacht. Gib's zu!"
"Nein, ich mußte dir eine Pumpe einpflanzen, um dir Drogen in den
Körper zu pumpen, die dich gefügig machen."
Das kann ja heiter werden. Die Engel überschätzen die Macht
solcher chemischer Mittel. Man kann den eigenen Körper anregen,
genug entgegengesetzt wirkende Stoffe zu produzieren. Aber sie sind eine
Belastung für den Körper. Es ist sehr schwierig, dabei das
innere Gleichgewicht zu wahren, weil das eigene Hormonsystem auf so
erhebliche Zufuhr körperfremder Hormone nicht eingestellt ist und
sie auch nicht richtig abbauen kann. Außerdem führt es
zu erheblichen Schäden in der Aura.
"Weißt du, mit so ein bißchen Gift kannst du mich umbringen,
aber du kannst mich nicht gefügig machen." erklärte ich
sanft.
"Und ich werde dir noch öfter den Bauch aufschneiden müssen.
Möchtest du dann nicht eine Betäubung?" spöttelte
sie.
"Nein. Wie kommst du darauf?" fragte ich zurück.
Das waren ja Zukunftsaussichten!
Ich bekam von Tojinia sogar eine Übersetzung der Ergebnisse des Intelligenztests ausgehändigt. Schade war nur, daß das unübersetzte Original nicht dabei war. Sie war wirklich freigiebig mit Informationen. Ich überlegte, ob es möglich sein könne, ihr nach und nach das Alphabeth der Engel aus der Nase zu ziehen. Das wäre wirklich interessant.
Ich wunderte mich selber, daß ich es an dem Tag noch schaffte, zu Fuß nach Hause zu gehen. Die Heilerin Maria schlief bereits. Obwohl ich mich ganz ausgelaugt fühlte und mir schlecht war, fiel es mir schwer, einzuschlafen und in der Nacht hatte ich Alpträume.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615,
Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
Ich freue mich über jede Art von Rückmeldung, Kritik, Hinweise auf interessante Internetseiten und beantworte Briefe, soweit es meine Zeit erlaubt.