Reinkarnationserinnerung - Mein Leben zu Jesu Zeit

K: Jesu Leben / Jesu Ausbildung

K38.

Der Jesus ist da

"Simon, geh nach Karmel. Der Jesus ist da. Er ist heute dort angekommen." funkte mich Ramajan an.
Ich gehorchte. Unterwegs dachte ich darüber nach, was für ein Mensch mich dort wohl erwarten würde. Die meisten Angehörigen des hochgeweihten Rates waren durch das immense Faktenwissen des jungen Jesus beeindruckt gewesen, als er ihnen als zwölfjähriger Junge von seinem Vater, dem Herrn der Engel vorgestellt worden war. Nur der junge Nachfolger des damaligen Johannes, Johannes der Täufer, hatte einen sehr schlechten Eindruck von dem Jungen bekommen. Er meinte zu uns, daß der junge Jesus dem Wahnsinn nahegewesen wäre. Ich machte mir Sorgen, was aus diesem Jungen geworden sein mochte, denn wenn er nicht auf unserer Seite stände oder wenn er unzuverlässig wäre, wären wir verloren. In meinem Hinterkopf hatte ich aber immer noch das Bild des Kleinkindes, das er einmal gewesen war. Mein Freund Josef aus meiner Kleinkindzeit.

Nach zwei Tagen der Wanderung kam ich schließlich in Karmel an und fragte die Torwache, ob er wüßte, wo der Königs-Jesus sei.
"Nein. Es geht das Gerücht um, daß er bald kommen müßte, aber bisher haben wir noch nichts Konkretes gehört."
Ich nickte.
"Ist vor zwei Tagen ein neuer Schüler aufgenommen worden?" fragte ich.
"Zwei. Einer von ihnen ist ein wahrer Riese und hat einen Buckel. Die beiden hängen immer zusammen."
"Gut. Weißt du, wo ich sie finde?"
"Vermutlich noch in ihren Zimmern - du kennst doch die Gepflogenheiten!" lachte der Wächter und nannte mir die Zimmernummer.

Ich ging hin, schaute nach. Die Zimmer waren leer und beide weg. Also ging ich zu meinem alten Lehrer Arid und fragte ihn, ob er wüßte, wo die beiden seien.
"Ja. Beim Abendessen."
"Wie lange haben sie gebraucht, um das Zimmer zu verlassen?"
"Drei Stunden."
"Drei Stunden?" von so einer kurzen Zeit hatte ich noch nie gehört.
"Du weißt doch, daß ich immer neugierig bin und die Zimmer der neu aufgenommenen Schüler in Augenschein nehme. Als ich das erste mal dort vorbeiging, öffnete Josef, der Buckelige die Tür, sagte, er hätte meine Schritte gehört und fragte, ob er mir einige Fragen stellen dürfte. Er hat mir ganz zurückhaltend und höflich Löcher in den Bauch gefragt. Ohne eine Frage je direkt zu formulieren."
"Deine Schritte - die hat er nie durch eine verschlossene Tür gehört."
Arid geht nahezu unhörbar. Auch wenn die Tür offen ist, wird man seine Schritte auf einem Gang nicht hören.
"Das habe ich ihm auch gesagt und er fragte nur lächelnd: 'Meinst du? Na dann eben nicht.' und hat die dahinterstehende Frage ignoriert. Der Mann ist eine ausgebildeter Heiler. Ganz bestimmt. Er hat es nur nicht erwähnt. Er hat sich erkundigt, wer der Johannes sei. Vertrau ihm. Er steht auf unserer Seite."
"Und der andere?"
"Der ist wesentlich ungebildeter, offener, direkter und fröhlicher. Die beiden sind Freunde, enge Freunde. Sie tragen beide Schwerter und können auch damit umgehen. Gut. Sehr gut. Besonders der Buckelige ist ein überragender Schwertkämpfer."

Ich nickte, forderte Arid auf, mir zu folgen und ging in die Kantine. Unterwegs sagte ich Arid, daß er beiläufig zu den beiden hingehen und nebenher erwähnen solle, daß ich einer der fünf höchsten Eingeweihten des Ordens bin. Lachend und schwatzend saßen dort die Schüler Karmels zusammen. Das Essen war schon beendet. Arid ging durch die Reihen und wechselte mit drei Jungen ein paar Worte. Damit war eindeutig klar, wer seine Schüler waren. Die anderen weigerten sich schon lange vor meiner Zeit als Schüler Karmels, private Gespräche mit diesem unbeliebtesten Lehrer Karmels zu führen. Schließlich sprach er einen buckeligen Mann mit einem dunkelhaarigen und dunkelhäutigen Begleiter an und wechselte auch mit ihnen drei, vier Worte. Das Wort Eingeweihter erwähnte er nicht einmal. Er deutete meinen Rang nur mit ein paar abfälligen Bemerkungen an. Dennoch wurde der Buckelige sofort wach, kam auf mich zu und fragte mich, ob er mit mir unter vier Augen sprechen könnte.
"Selbstverständlich. In deinem Zimmer." sagte ich.
Unterwegs ging ich in Arids Zimmer und nahm seinen Stuhl mit. Ich spürte daß Josef, der Buckelige das als einen ungerechtfertigten Übergriff auf Arids Privatspäre empfand. Er gab diesen Gedanken mir gegenüber aber nicht zu erkennen. Ich lächelte in mich hinein.
Der Jesus hatte ein sehr ausgeglichenes Energiefeld, die Aura war weitgehend klar und er wirkte auf eine zurückhaltende Weise selbstsicher.

Sobald wir alleine waren, sagte Josef:
"Ich bin der zukünftige Königs-Jesus."
"Ich weiß. Deshalb habe ich dich zu mir rufen lassen. Und glaub mir, Arid weiß es auch."
"Hast du es ihm etwa verraten?" fragte er empört.
"Nein. Vor Arid kann man nichts geheimhalten. Er ist zu klug. Arid wählt seine Schüler. Er hat dich schon angenommen."
"Wie bitte? Ich habe das Recht mir meine Lehrer selbst zu wählen."
"Das hast du. Würdest du einen Anderen wählen, nachdem du ihn kennengelernt hast?"
Josef sah mich fassungslos an und schwieg minutenlang, dann sagte er:
"Er ist der unbeliebteste Lehrer Karmels."
"Er wählt sich seine Schüler. Alle anderen stößt er so lange vor den Kopf, bis sie nicht mehr mit ihm reden."
Jesus lachte. Er hatte das frostige Schweigen im Speisesaal immer noch lebhaft vor Augen, dann fuhr er mit seinen Argumenten gegen Arid fort:
"Er redet nur in Andeutungen. Er hat mich bis ins Kleinste ausgefragt, ohne je eine Frage direkt zu formulieren. Und er gibt nichts über sich preis."
*Oh. Da haben sich zwei gefunden.* dachte ich mir und sagte schmunzelnd: "Genau das hat er mir über dich erzählt. Ich würde diesen Lehrer wählen. Die anderen sind dir nicht gewachsen. Was hast du in deiner Heilerausbildung alles gelernt?"
Jesus stutzte und fragte dann:
"Wer hat dir das gesagt?"
"Arid."
"Ich habe es IHM aber nicht gesagt."
"Er hat es verstanden."
"Du vertraust Arid?" fragte Josef mich.
"Völlig. Aber er ist ein schrecklicher Mensch. Er hält mir heute noch Moralpredigten, wenn ich Fehler mache." antwortete ich lächelnd.
Der zukünftige Jesus lachte. Langsam freundete er sich mit dem Gedanken an, daß Arid der richtige Lehrer für ihn sein könnte.

"Warum hast du, ohne zu fragen, Arids Stuhl genommen?"
"Das machen wir immer so. Er weiß, welches Zimmer mir zugewiesen ist und bringt dann meinen Stuhl mit, wenn wir uns heute Abend unterhalten. Ich werde ihn noch bei einigen Dingen um Rat fragen. Er ist ein weiser Mann. Selbst der Johannes fragt ihn immer noch um Rat."
"Ich will wie jeder andere Schüler behandelt werden. Ist es möglich, geheimzuhalten, wer ich bin?"
"Johannes und Maria solltest du kennenlernen. Sie sind wichtig. Bei den restlichen Mitgliedern des Hochgeweihten Rates genügt es, wenn sie es erfahren, wenn dein Vater geruht, es ihnen mitzuteilen. Sie sind unter deinem Niveau." antwortete ich.
Jesus traute seinen Ohren nicht.

*Beherrscht du die Gedankensprache?* dachte ich ihm zu.
"Wie?" fragte er laut zurück.
*Idiot.* kommentierte ich diese Antwort.
Er besann sich und wechselte in die Gedankensprache:
*Ja.*
*Dann werden wir uns über Engel und den König im Himmel nur in Gedankensprache unterhalten. Du mußt bedenken: die Engel wissen, daß sie mit Folter meinen Willen gebrochen haben und das so gründlich, daß ich nicht einmal etwas Schlechtes über sie zu denken wage, geschweige denn, daß ich schlecht über sie reden würde.* erklärte ich und lachte ihn an.
*Er hat deinen Willen gebrochen?*
*Er hat mich monatelang gefoltert. Er ist fälschlicherweise der Ansicht, daß das kein Mensch durchstehen kann, ohne nachher einen gebrochenen Willen zu haben. Da er nichts von mir verlangt hat, das ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, ist ihm noch nicht bewußt geworden, daß er sich da geirrt hat. Ich verschwende meine Kräfte nicht darauf, mich über das schlechte Benehmen von Idioten aufzuregen.*

*Warum bist du offen zu mir? Ich bin ich der Sohn des Königs im Himmel.*
*Und? Wirst du mein Geheimnis verraten?* fragte ich herausfordernd zurück.
*Nein. Mein Vater ist ein Verbrecher.* antwortete er traurig.
Was immer auch geschehen sein mochte, um den Mann zu dieser Ansicht zu bringen: Er liebte seinen Vater und war traurig darum. Ein gutes Zeichen.
*Siehst du. Auf Arids Einschätzung kann man sich verlassen.*
Ich war angetan von unserem zukünftigen Königs-Jesus. Wirklich. Ich hoffte nur, daß sein Vater nicht allzuschnell begriff, daß wir uns einig waren, seine Pläne zu sabotieren.

Wir gingen also in das Zimmer, das auf mich wartete. Johannes, Arid und Jesu Freund warteten dort schon auf uns. Es war also eng.

"Und?" fragte Johannes.
Ich machte nur lachend einen Luftsprung. Jesus sah mich schief von der Seite an:
"Du benimmst dich wie ein Kind."
"Und? Hast du etwas gegen Kinder?" fragte ich zurück.
"Nein."
"Ich auch nicht."
Jesus dachte darüber nach und eine weiches Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

"Dein Freund Thomas ist aber wesentlich gesprächiger als du." meinte Arid zu Jesus.
"Wie, hast du ihnen etwa alles erzählt?" fragte Jesus Thomas empört.
Ich lachte und setzte mich zu meinen Freunden. Jesus starrte Johannes fassungslos an.
"Was machst du hier?" fragte er.
"Ich bin der Johannes." antwortete Johannes.
"Aber du hast mir davon doch gar nichts gesagt. Ich habe gedacht, du wärest ein einfacher Essenerheiler, nicht der höchste Eingeweihte des Ordens!"
"Und? Hast du mir verraten, daß du der zukünftige Königs-Jesus bist?" fragte Johannes lachend zurück.
"Nein." antwortete Jesus.
"Siehst du. Du paßt zu uns." kommentierte Johannes, und fuhr zu mir gewandt fort: "Ein halbes Jahr."

Jesu verblüffter Gesichtsausdruck reizte uns alle zum Lachen. Er wurde deshalb wütend und seine Hand fuhr zum Schwert. Ich sah ihn an und fragte streng:
"Muß ich dazu noch etwas sagen?"
In dem Augenblick war er den Tränen nahe:
"Ihr sollt mich nicht auslachen!" protestierte er.
"Josef, wir lachen zwar manchmal über eine Geste oder ein Wort, das auf den ersten Blick lustig erscheint, aber dir will niemand hier etwas Böses. Wenn du dein Schwert ziehst, hat niemand hier im Raum eine Chance gegen dich. Wenn du hier Leichen sehen willst, dann schlag zu. Ansonsten solltest du etwas Selbstbeherrschung lernen. Wir werden dich jedenfalls nicht mit dummen Scherzen verschonen, nur weil du uns mit dem Schwert bedrohst."
Jesus steckte das Schwert verlegen wieder weg. Ich lächelte.
"Es war nicht so gemeint." meinte er.
"Doch. Du warst wütend. Und wenn du wütend bist, denkst du sofort an dein Schwert. Das ist ein Fehler. Die Menschen, auf die man am häufigsten wütend wird, sind die, die einem am nächsten stehen. Und die will man unter keinen Umständen verletzen. Gegen Feinde kämpft man nicht, weil man wütend auf sie ist, sondern, weil es um das eigene Leben geht." erwiderte ich streng.
"Das hat mir noch niemand gesagt." sagte er.
"Dann wurde es aber Zeit, daß es dir jemand sagt." antwortete ich.

Wir unterhielten uns danach nur über Nichtigkeiten, bis Johannes mit dem Jesus und seinem Freund demonstrativ das Zimmer verließ. Kaum waren wir alleine, dachte ich Arid zu:
*Du hast ein halbes Jahr Zeit, um den Jesus so auszubilden, daß er die ech ten Einweihungen sicher besteht. Dann will ich mich ihm widmen.*
*So wenig?* fragte Arid zurück.
*Ja. Johannes ist derselben Meinung. Der Jesus wird zurechtkommen und wir werden die verbleibende Zeit nötig haben, um ihn die Geheime Geschichte Karmels vollständig zu lehren. Der Mann ist gut ausgebildet. Er ist es nur nicht gewöhnt, daß andere ihm innerlich gewachsen sind.*
*Du kennst ihn übrigends. Er lebte in eurem Dorf. Er wurde damals Josef genannt.* sagte Arid zu mir.
*Ich weiß.* antwortete ich *Damals war er aber gesund.*
*Ich weiß nicht, wieso wir ihn heute noch unbedingt zum Königs-Jesus machen wollt. Bei dem stimmt doch etwas nicht.* sagte Maria leise.
"Der Josef, der mein Freund war, hatte keinen Buckel. Er war ein fröhlicher Junge gewesen, der durch sein inneres Licht geradezu überstrahlt wurde. Warum hat Josef einen Buckel. Was ist geschehen, seit er ein kleines Kinder war?" fragte ich Arid.
"Das weiß keiner. Er redet nicht über seine Kindheit. Doch jedes Wort, was er über seinen Vater, den Herrn im Himmel sagt, ist bitter." antwortete Arid.
"Hat ihm niemand gesagt, daß er verzeihen muß, wenn er frei sein will?" fragte Maria.
"Doch. Seine Anwort ist: 'Ich weiß.' Mit Tränen in den Augen." sagte Arid.

Ein halbes Jahr lang war also Arid für die Ausbildung des Jesus zuständig. Johannes und ich verließen uns hundertprozentig darauf, daß er seine Sache gut machen würde. Zuerst klangen seine Berichte geradezu euphorisch. Doch nach drei Monaten rief Arid mich nach Karmel, es sei dringend.

Kersti


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