Danach kam Jesus zu den Lehrern des Heilers. Wichtig sind zwei Prüfungsaufgaben, die der Führer dieser Schule der Heilkunst Jesus gestellt hatte.
Ein wegen seiner Gefährlichkeit in Ketten gelegter, schwachsinniger, gewalttätiger Verrückter, der kaum noch wie ein Mensch erschien, wurde von einem hilfesuchenden Verwandten zu den Heilern gebracht. Jesus erhielt die Aufgabe, ihn zu lieben. Jesus ließ sich zusammen mit dem Verrückten einsperren und ahmte dessen Verhalten nach, um ihn verstehen zu lernen. Es gelang Jesus, den Mann zu heilen.
Als Jesus auf Befehl seines Vaters gehen mußte, gab der
Führer des Heilerordens Jesus eine zweite Aufgabe:
"Liebe deinen Vater."
Das war Jesus nach meinen Beobachtungen bis zu dem Tag, an dem er es
erzählte nicht gelungen. Und doch wäre die Fähigkeit
seinen Vater mit allen seinen Fehlern so anzunehmen, wie er ist,
für Jesus das wichtigste gewesen, was er hätte lernen
können. Und jedes bißchen, was er davon lernte, war
für Jesu Leben unendlich gut und heilsam.
Als Jesus sich bei einem späteren Besuch darüber moquierte, daß die Heiler an Gott glaubten, wo sie doch an Jesus Vater erkennen könnten, was Götter für welche wären, machten diese Heiler Jesus auch darauf aufmerksam, daß das Volk von Jesu Vater ebenfalls an einen Gott glaubte, der sie geschaffen hätte. Jede glaubhafte Lüge besteht zu 90% aus Wahrheit.
Die weiteren Stationen von Jesu Leben waren unterschiedlich - immer wieder versuchte sein Vater Jesu Willen zu brechen und ihn zu bedingungslosen Gehorsam zu zwingen. Er zwang ihn immer wieder von Menschen zu lernen, die ihren Haß über den grausamen Vater Jesu an Jesus ausließen. Aber Jesus lernte auch immer wieder Menschen kennen, die ihn für das liebten und achteten, was er war und erkannten daß Jesus ein völlig anderer Mensch war als sein Vater.
Er hatte Jesu Geliebte zu Tode gefoltert.
*Ich dachte danach wieder einmal darüber nach, was mein Vater mit
dir und mit Thomas gemacht hatte. Und ich kam zu dem Schluß,
daß ich ihm nie wieder zeigen wollte, wer nun meine Freunde
waren. Die naheliegendste Möglichkeit wäre gewesen,
niemandem meine Liebe zu zeigen. Aber das wollte ich nicht. Ich
wußte doch, daß ich die Liebe und Hilfe der anderen
brauchte, auch wenn sie zweiffellos ohne mich ausgekommen wären.
Es wäre ihnen dann sogar besser gegangen, denn dann hätte
mein Vater sich nicht in ihr Leben eingemischt, sie nicht bedroht und
gefoltert, wie er es mit jedem tat, der ihm in die Quere kam."
"Ich bin trotzdem froh, dich zu kennen, Jesus mein Freund. Wenn du
nicht gewesen wärest, hätte dein Vater zweiffellos jemanden
anders gefunden. - Der sich höchstwahrscheinlich leichter dazu
hätte erpressen lassen, ihm zu Willen zu sein." widersprach
ich.
"Also habe ich das genaue Gegenteil getan. Ich habe allen meine
Liebe gezeigt - so daß mein Vater dadurch meine Freunde nicht
mehr von meinen Feinden unterscheiden konnte. Aber eine
Liebesbeziehung konnte ich nicht wieder eingehen. Das hätte
selbst er mit Sicherheit bemerkt." erklärte Jesus.
Ich war beeindruckt. Jesus hatte so viele Charakterzüge, die ihn
zu einem sehr guten König gemacht hätten, wenn diese Kindheit
nicht so grausam gewesen wäre, wie sie war.
Und doch - langsam bekam ich wieder Hoffnung. Obwohl Jesus gerade jetzt in einem absoluten Tief drinsteckte - weil er an das Mädchen dachte, das er geliebt hatte, daran wie sie gelitten hatte, unter welchen Qualen sie gestorben war - und daran, daß er fürchtete, daß mir dasselbe bevorstehen würde. Er glaubte, daß er das niemals würde ertragen können.
Ich sah ihn traurig an. Es würde mit ziemlicher Sicherheit auf mich dasselbe zukommen. Das konnte ich mir an fünf Fingern abzählen - denn wir hatten ja nichts Geringeres vor, als die Pläne von Jesu Vater zu sabotieren.
Aber ich konnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, diese Pläne nicht zu sabotieren. - Falls es überhaupt eine Möglichkeit gab, zu verhindern, daß er mein Volk in einem sinnlosen Krieg vernichtete, würde ich das tun - und jede Strafe dafür auf mich nehmen, die mir aufzubürden ihm in den Sinn käme. Und wie ich Jesus kannte, würde er mehr darunter leiden als ich. - Und das schlimmste war: Höchstwahrscheinlich war dieser Versuch nur eine leere Geste, die am Ende rein gar nichts bringen würde. Und dennoch würde ich es versuchen - denn ich würde es mir niemals verzeihen können, das nicht zu versuchen.
Mitten in diese trüben Gedanken hinein funkte Jesu Vater uns
beiden an.
"Jesus, du gehst alleine in die Wüste - ich habe noch einige
Dinge mit dir zu besprechen. Simon, du gehst nach Hause und kommst in
vierzig Tagen an den Jordan, wo der Johannes immer tauft. Du wirst
dann zusammen mit deiner Frau und Thomas die Vorgänge dort
ungesehen beobachten." befahl er uns.
*Laß dich nicht unterkriegen.* dachte ich Jesus zu - und ging.
Während Jesus sich gehorsam zu der Stelle aufmachte, wo er
hinbefohlen worden war.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615,
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