Schließlich sagte Thomas:
"Schau, dort ist er." und zeigte auf Jesus, der sich in der
Menge Johannes näherte.
Maria sah den buckeligen Mann und wollte es nicht glauben. Das konnte
er nicht sein. Bei Kindern, die bei den Essenern aufwuchsen, gab es so
etwas nicht. Auch keine Erbkrankheiten, wenn die Eltern und
Großeltern ebenfalls zum Orden gehört hatten. Dergleichen
hatte nur das einfache Volk, das die Lebensgesetze nicht beachtete.
"Wo?" fragte sie.
"Dort."
Thomas zeigte erneut auf den Buckeligen.
"Warum hat er einen Buckel?"
"Schau dir seine Aura an." wies ich sie an.
Ich stellte meine Aufmerksamkeit auf das den Körper umgebende
Energiefeld ein. Sofort erschienen farbige Wolken um die Körper
der Menschen in meinem Blickfeld. Jesu Aura war vollkommen klar und
leuchtend.
"Die Aura ist perfekt." stellte Maria fest.
"Siehst du. Der Körper ist unter den gegenwärtigen
Umständen nicht immer das perfekte Abbild des Geistes." sagte
ich.
Jesus ging hinunter ins Wasser und sprach Johannes an, der von seinem
unangemeldeten Besuch sichtlich überrascht war. Sein Auftreten war
bescheiden. Dann tauchte er wie alle anderen kurz ins Wasser. Wie immer,
wenn der menschliche Körper ins Wasser taucht, löste sich
auch in diesem Fall seine Aura vom Körper. Doch als er wieder
herauskam erschien ein so strahlendes geistiges Licht - es war, als
wäre die ganze Zeit stockdunkle Nacht gewesen in der geistigen Welt
und jetzt wäre es plötzlich heller Tag, von einer Sekunde auf
die andere. Ich konnte erst einmal nichts erkennen, außer
daß dieses Licht von Jesus ausging.
"Weißt du, was das ist?" fragte ich Thomas.
"Nein." antwortete er und erging sich dann in
Mutmaßungen, denen ich nicht zuhörte, weil ich versuchte,
mehr von dem zu erkennen, was ich mit meinem geistigen Auge sah. Es
gelang mir nicht. Die geistige Welt hatte sich durch diese Licht so
verändert, daß ich sie fast nicht wiedererkannte. Ich
fühlte eine solche Sehnsucht nach diesem Licht, daß ich es
kaum beschreiben konnte. Tränen liefen mir übers Gesicht.
Als Jesus wieder ging, wäre ich ihm gern gefolgt. Das Licht ging mit ihm. Als es um mich herum dunkler wurde, hatte ich das Gefühl, etwas unersetzlich Wichtiges zu verlieren. Mir traten Tränen der Sehnsucht in die Augen. Und dann fühlte ich bitteren Neid auf Jesus, der dieses Licht bekommen hatte. Die Intensität diese Gefühls erschreckte mich zutiefst. Das durfte nicht sein. Wenn Jesus dieses Licht bekam und ich nicht, so hatte das gute Gründe - selbst wenn ich sie nicht verstand. Und aus solchem Neid konnte nur Unheil entstehen, wie schon einmal Unheil daraus entstanden war. Verzweifelt versuchte ich meine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.
Gedankenverloren blieb ich sitzen und wartete darauf, daß es
Abend wurde, damit ich mit Johannes reden konnte. Als Johannes
schließlich seine Arbeit beendete und sich auf den Heimweg
machte, schloß ich mich ihm an.
"Und?" fragte er.
"Als Jesus getauft wurde, ist ein so helles Licht erschienen. Es
war, als hätte in der geistigen Welt mein ganzes bisherigen Leben
tiefste Nacht geherrscht und plötzlich sei es von einer Sekunde
auf die andere hellichter Tag."
"Ja. Das habe ich auch gesehen. Es war wie ein
Nachhausekommen."
"Weißt du, was das war?"
"Ich glaube dieses Licht ist Jesu wahre Berufung. Er muß
dieses Licht hüten und in die Welt bringen. Dagegen zählen
all unsere Pläne mit ihm als König nichts. Er muß dem
Licht treu bleiben und es wird ihm die Hölle auf Erden bringen.
Er bringt das Licht. Und du bist sein Hüter. Paß auf dich
auf. Paß auf, daß du nicht im Feuer dieser Hölle
verbrennst."
So rätselhaft mir diese Worte erschienen, wußte ich doch in meinem tiefsten Inneren, daß sie wahr waren. Alles in mir sagte ja dazu. In mir erwachte Freude. Dagegen erschien mir die Gefahr, vor der mich Johannes warnte, gefühlsmäßig unwichtig.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615,
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