Reinkarnationserinnerung - 13 Hexen

M7.

Ich will, daß du mich verstehst

Nach einigen Stunden betrat die Hohepriesterin die Höhle.
"Komm." befahl sie, führte mich in eine der anderen Höhlen und ließ mich dort mit Gaivin allein.
"Gaivin." sagte ich. Ich war glücklich ihn hoch einmal sehen zu können.
"Jera." Er kam her und umarmte mich. "Jera, warum ich mit dir sprechen will ... ich - ich weiß, was du von Menschenopfern hältst - aber, weißt du, ich will daß du mich verstehst. Es sind bei uns so viele Menschen im Dorf verungert. Gerade die kleinen Babys. Ich konnte das einfach nicht mehr mitansehen."
"Bei uns doch auch. Und ja - ich kann dich verstehen. Wirklich. Im Grunde würde auch ich mit Freuden sterben, wenn das dadurch ein Ende hätte. Aber es ist falsch. Wenn man Menschen opfert ändert das das Volk - so sehr, daß irgendwann nichts mehr übrig ist, das ein solches Opfer wert wäre."
"Oh du redest schon wie die alten hochgeweihten Frauen, die kalten Herzens zuschauen können, wie Menschen verhungern und dann immer noch von Weisheit und ewigen Gesetzen faseln." fauchte er mich an.
Ich starrte ihn zutiefst verletzt an und war kurz davor in Tränen auszubrechen, als er zu weinen begann. Ich nahm ihn in die Arme, tröstete ihn und als er sich wenigstens etwas beruhigt hatte fragte ich leise und klagend:
"Ach Gaivin - kannst du mich denn gar nicht verstehen?" Ich spürte, daß auch über meine Wangen Tränen liefen.
"Nein." sagte er hart.
Doch nahm er mich in die Arme und das so liebevoll, so sanft, daß ich mich genug entspannte, um richtig weinen zu können. Er tröstete mich wortlos, denn nichts, was er hätte sagen können, wäre tröstlich gewesen und gleichzeitig wahr.

Nach über einer Stunde kehrte die Hohepriesterin zurück, und bedeutete mir stumm, ihr zu folgen. Sie gab mit keiner Geste, mit keinem Wort zu verstehen, was sie dachte, brachte mich nur stumm zurück in die Höhle, wo sie mich vorher hingebracht hatte und schloß mich dort ein.

Sie kehrte lange nicht zurück. Wasser tropfte genug von den Wänden, doch zu essen gab es nichts. Ich verlor das Zeitgefühl - doch es währte lange genug, daß der Hunger zuerst sehr quälend wuerde und dann nach einer wie endlos erscheinenden Zeit völlig verschwand. Irgendwann kam ich auf die Idee, daß sie mich hierhergebracht hatten, um mich verhungern zu lassen, wie so viele Menschen in unserem Dorf in den letzten Jahren verhungert waren. Ich hatte nicht wirklich Angst davor - doch jedesmal wenn ich darüber nachdachte, war ich mir sicherer, daß es stimmt. Ich war eingesperrt. Ich konnte nicht fliehen.

Schließlich kam die Hohepriesterin wieder und führte mich schweigend aus der Höhle. Der erste, der mich sah, war wieder Gaivin. Und wieder ließ sie mich mit meinem Geliebten allein.
"Heute ist der Tag meines Opfers. Ich habe gesagt, daß ich noch einmal mit dir reden will. Weißt du, ich will, daß du mich verstehst." sagte er zu mir.
Mir schossen die Tränen in die Augen:
"Ach Gaivin, ich habe dir doch schon einmal gesagt, daß ich dich verstehe. Und daß ich dich genauso liebe wie vorher. Aber davon, daß ich dich verstehe, wird deine Entscheidung nicht richtig. Es ist zerstörerisch, Menschen zu opfern, um das Wetter zu ändern. Es ist einfach falsch. Selbst dann, wenn es tausende an Menschenleben retten kann." sagte ich eindringlich und fragte mich gleichzeitig, warum ich noch einmal versuchte, ihn zu überzeugen. Er hatte mir schon einmal gesagt, daß er mich nicht verstand, nicht verstehen konnte. War es mir wirklich so wichtig, daß er mich verstand? Ja. Das war es. Aber ich brauchte es eigentlich gar nicht zu versuchen - sein Verständnis, was ich mir so sehr wünschte, würde ich nicht bekommen. Ich hatte Erinnerungen an längst vergangene Leben, in denen ich wer weiß wie viele Menschen geopfert hatte, weil ich solche Hungersnöte verhindern wollte. Ja. Und ich hatte gesehen, was dabei herauskam und deshalb würde ich nie wieder so etwas tun. Nie wieder. Er hatte solche Erinnerungen nicht und deshalb konnte er mich nicht verstehen. Man kann Menschen nicht daran hindern, ihre eigenen Fehler selber zu machen. Leider. Ich umarmte ihn und sagte ihm, daß ich ihn immer lieben werde, ganz gleich, was er tut. Und ich weinte in seinen Armen.

Wir schliefen in dieser letzten Nacht miteinander. Um der Liebe Willen - und vielleicht würde ich dann ja wenigstens ein Kind von ihm bekommen. Ich hatte meine fruchtbaren Tage.

Kersti


M8. Kersti: Fortsetzung: Futter für die Wölfe
M6. Kersti: Vorheriges: ... um nichts auf der Welt
MI. Kersti: Inhaltsübersicht: 13 Hexen
M1. Kersti: Zum Anfang: Krankheit
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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