Reinkarnationserinnerung - 13 Hexen

M8.

Futter für die Wölfe

Dann holte die Hohepriesterin uns beiden ab und führte uns hinaus in die mondhelle Nacht. Ich folgte ihr gehorsam ins Freie und fühlte mich dort durch die Gefühle der anderen erst einmal wie erschlagen. Gaivin hob die Hand und grüßte die anwesenden Hexen mit einem Lächeln, dann drehte er sich zu mir um, sagt leise zu mir:
"Es tut mir leid" und umarmte mich ein letztes mal. Sein Gesichtsausdruck war jetzt tiefernst. Er machte sich auf das gefaßt, was jetzt kommen würde. Der Opfertod ist kein leichter Tod. Die Priesterin würde ihm bei lebendigen Leibe die Haut abziehen.

"Ich fühle mit dir." sagte ich leise und nahm Verbindung mit seinem Energiefeld auf. Es waren keine leeren Worte - ich war offen genug, um all seine Schmerzen so zu fühlen, wie er selbst sie wahrnahm. Im Grunde war es grausam, mich nach drei Wochen des Fastens in völliger Stille und Einsamkeit an einer Opferzeremonie teilnehmen zu lassen. Ich würde alle mich umgebenden Gefühle fühlen, als wären es meine eigenen. Aber ich hätte es nicht anders gewollt.

Mit leisen Schritten ging Gaivin zur Priesterin hinüber.
"Wer bist du, der hier vor mich tritt?"
"Ich bin Gaivin und ich bin gekommen, mich für das Land zu opfern."
"Handelst du aus freiem Willen oder hat dich jemand mit Zwang oder Drohungen zu dieser Aufgabe bewegt?"
"Ich komme aus freiem Willen. Nur Jera, meine Frau ist gegen meine Entscheidung."
"Jera, tritt vor."
Ich trat in den Schein des großen Feuers hinaus.
"Forderst du Entschädigung von unserer Gemeinschaft?"
"Nein. Ich bin nicht abhängig von der Arbeit meines Mannes und nichts kann mich für die verlorene Liebe entschädigen." antwortete ich laut.
"Hegst du Groll gegen die Gemeinschaft oder deinen Mann, die diese Entscheidung trafen?"
"Nein. Beiden bin ich weiterhin in Liebe zugetan." antwortete ich
- obwohl ich wußte, daß es die Opferung verhindert hätte. - Aber es wäre ganz einfach eine Lüge gewesen und ich lüge nicht. Außerdem steht es nur Gaivin zu, über sein Leben zu entscheiden. Mehr hatte sie nicht zu fragen.

Die Priesterin wandte sich wieder Gaivin zu und fragte:
"Weißt du, was du da begehrst?"
"Ja."
"Dann knie nieder."
Die Priesterin ritzte ihm mit dem Opfermesser ein Zeichen in die Stirn.
"Zieh dich aus."
Gaivin zog seine Kleidung aus, faltete sie ordentlich zusammen und legte sie auf den Boden. Dann legte er sich mit dem Rücken ins Gras, die Arme und Beine zur Seite ausgesteckt, damit die Priesterin ihre Arbeit tun konnte. Sie schnitt ihm Hoden und Penis ab, am Ansatz, so daß er dadurch nicht allzuviel Blut verlor und brannte die Wunde aus. Mein Körper verkrampfte sich unwillkürlich, als ich seine Schmerzen spürte.

"Ich bitte dich, gib den Speisen deinen Segen, auf das die nächste Ernte reich werde." sagte die Priesterin mit klarer Stimme.
Gaivin lag wimmernd zusammengekauert am Boden. Die Priesterin kniete nieder, um ihm helfend die Hand zu reichen, doch er sah mich flehend an. Ich ging zu ihm hin und küßte ihm auf die blutige Stirn. Streichelte seine Wangen und spürte die wegen der Schmerzen verkrampften Muskeln sich unter meinen liebkosenden Händen entspannen. Streichelte seinen Rücken, der sich unter meinen Händen streckte und weinte innerlich. Er atmete tief durch und entspannte sich. Dann wandte er sich nach innen und fand irgendwo die Entschlossenheit aufzustehen. Er nahm meine Hände in die seinen, küßte mich und umarmte mich, als wolle er mich nie wieder loslassen. Schließlich wandte er sich doch von mir ab und dem gedeckten Tisch zu. Er hatte die Beherrschung zurückgewonnen und segnete mit ruhiger, klarer Stimme die Speisen, kostete von allem einen winzigen Bissen. Seine Schmerzen waren unvermindert stark.

Nach einem Augenblick des Schweigens - er brauchte die Zeit, um den Mut zu finden, sich den nächsten Schmerzen zu stellen - wandte er sich wieder der Priesterin zu und sagte:
"Der Segen ist gegeben. Ich bin bereit."
"Dann leg dich hin."
Gaivin gehorchte. Ich spürte, wie das Messer seine Haut vom Kinn bis zu den Leisten und von Händen und Füßen bis zur Körpermitte aufschnitt, so wie man das mit einem Tier macht, das man häuten will. Dann fing sie an, die Haut abzuziehen. Gaivin ballte die Fäuste und hielt still, so gut er es vermochte, nur mir warf er wieder einen so flehenden Blick zu. Ich stand auf, trat vor und kniete neben ihm nieder, um ihn zu trösten. Ich hielt seine Hand, während die Priesterin ihn schweigend häutete. Still und konzentriert. Als sie ihn leise bat, sich umzudrehen, da sie nun an den Rücken müsse, gehorchte Gaivin - und atmete zischend ein, als seine hautlose Vorderseite das Gras berührte. Auch meinen Körper durchlief ein Zittern und ich konnte nicht glauben, daß etwas so wehtun könnte. Doch er wehrte sich nicht, ließ es ruhig zu, daß die Priesterin die Haut auch von seinem Rücken löste und sie dann zusammengefaltet in einen bereitstehenden Tontopf legte, in dem sie dann zu einem Trommelfell gegerbt werden würde. Schließlich schaute sie mir ins Gesicht und zuckte vor dem blanken Schmerz zurück, den sie in meinen Augen sah.

Still berührte ich ihre Hand. Raiva, die Priesterin hatte lange Jahre des Lernens mit uns beiden geteilt. Sie war immer eine treue Freundin gewesen. Ich konnte ihr nicht zum vorwurf machen, daß sie ihrem Gewissen folgte, auch wenn es etwas anderes befahl als mir meines. Deshalb hatte Gaivin sie zur Priesterin gewählt, nachdem ich mich geweigert hatte. Auch Raiva weinte.

Dann faßte sie sich wieder, griff zu dem Messer und schnitt dem immer noch lebenden Gaivin Hände und Füße und zum Schluß den Kopf ab und warf diese Körperteile ins Feuer. Dann hob sie den Kopf und stieß einen hohen gellenden Schrei aus, der in Wolfsgeheul überging. Die Stimmen der anderen Männer und Frauen fielen ein und riefen die Wölfe. Ich zog mich wieder an den Rand der Lichtung zurück.

Jetzt, wo die körperlichen Schmerzen vergangen waren, konnte ich spüren, daß mein Herz ein einziger, grausamer Schmerz war. Ich saß am Rande der Lichtung und fühlte mich, als gäbe es keinen Menschen mehr auf der Welt. Meine Seele begleitete die Gaivins, hinaus in den dunklen Wald, dorthin wo die Wölfe sind.

Vor der Höhle stand die Wolfsmutter und betrachtete unentschlossen ihr einziges noch lebendes Junges. Die anderen waren verhungert, denn auch die wilden Tiere hungerten in jenen Jahren. Zuerst waren es die Pflanzenfresser, die verhungerten, dann fanden auch die Wölfe nicht mehr genug Beute, da so viele Pflanzenfresser tot waren, daß das Revier nicht mehr für das Rudel reichte. Sie hörte das ferne Rufen der Wolfsmenschen, die zum Essen einluden, aber zögerte, ihr Kind hier allein zu lassen. Vielleicht würde es in der Zwischenzeit dann auch noch verhungern. Ihr Einziges. Schließlich nahm sie es in die Schnauze und trug es mit sich.

Die Menschen hatten ein Feuer gemacht. Das taten sie immer beim essen, aber dieses war besonders groß. Die Wölfin sah sich suchend um und entdeckte am Rande der Lichtung eine Frau, die weinte, als wäre sie von allem auf der Welt verlassen. Sie trat auf die Frau zu und vertraute ihr ihr einziges Kind an, legte es in den menschlichen Schoß. Ja. Sie streichelte es - Menschen streicheln Kinder, wenn sie eigentlich deren Fell lecken wollen. Sie würde das Kind behüten, bis die Wölfin es füttern konnte. Beruhigt ging die Wölfin zum Fleisch und fraß.

Schweigend streichelte ich das magere Wolfsjunge in meinem Armen, drückte es an mich und schluchzte in sein weiches Babyfell, bis die Wölfin zurückkehrte um es mit dem Fleisch meines Mannes zu füttern. Dann leckte sie mir tröstend über das Gesicht und kehrte wieder zurück, um weiterzufressen. Das Wolfsjunge hatte meinen Finger gefunden und begann daran zu nuckeln. Ich ließ es gewähren und streichelte sein weiches Fell, bis es einschlief.

Schließlich kam die Hohepriesterin. sie ging zwischen den Wölfen hindurch, die ihr Platz machten, als wollten sie einen anderen Wolf hindurchlassen und fragte mich:
"Willst du nicht zum Essen kommen?"
"Nein."
"Willst du nicht mit uns trinken."
"Nein."
"Kann ich mich auf dein Schweigen verlassen?" fragte sie.
"Ja." antwortete ich und sah ihr gerade in die Augen.
Ihr Geist berührte prüfend den meinen, sie spürte meine Aufrichtigkeit und nickte schweigend.

"Nach dem Essen werde ich dich an die Tafel rufen, denn ich habe dir etwas mitzuteilen." sagte sie.
"Ich werde kommen." antwortete ich.

Das Feiermahl verlief schweigend. Keinem der Männer und Frauen war nach lachen zumute, wenngleich das die Wirksamkeit der Zeremonie erhöht hätte. Schließlich kamen die Wölfe zu mir jeder von ihnen stieß mich kurz freundlich mit der Schnauze an, dann nahm die Wölfin ihr Kleines wieder an sich und ging.

Ich sah den Tieren schweigend nach. Sie hatten es leicht. Sie verstanden nicht, was geschehen war. Wir waren der Wolfsclan - das Rudel war bei jedem unserer hohen Feste zu Gast und nahm unsere Geschenke an. Sie hatten nichts davon, daß es diesmal Menschenfleisch war. Das war nur eine symbolische Geste, die nicht wirklich etwas mit den auf der Erde lebenden Wölfen zu tun hatte.

Kersti


M10. Kersti: Fortsetzung: Die höchste Weihe
M7. Kersti: Vorheriges: Ich will, daß du mich verstehst
MI. Kersti: Inhaltsübersicht: 13 Hexen
M1. Kersti: Zum Anfang: Krankheit
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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