Reinkarnationserinnerung - 13 Hexen

M10.

Die höchste Weihe

Die Hohepriesterin schaute zu dem Mädchen hinüber, dessen Geliebter geopfert worden war. Alles in ihr bäumte sich gegen das Schicksal auf, das ihr beschieden war. Sie war doch noch ein Kind, kaum sechzehn Jahre alt.
"Komm, ich habe es doch damals auch überstanden. Es ist ihr Schicksal, sie kann es tragen." rief sie sich zur Ordnung.
Doch das hatte keine Wirkung. Sie konnte sich zu gut erinnern, wie sie sich damals gefühlt hatte. Immer noch betrachtete sie das Kind voll tiefem Schmerz und mit dem Wunsch, es behüten zu können.
"Ich war bald zwanzig Jahre älter. Sie hatte ja nicht einmal eine richtige Kindheit."

Aber die Zeichen waren eindeutig und es gab nicht wirklich eine Möglichkeit die junge Priesterin vor den Folgen ihrer eigenen Entscheidungen zu bewahren,
"... und wenn es die gäbe, würde das Kind es mir nie verzeihen. Ich sollte von ihr nicht als Kind denken. Sie hat längst bewiesen, daß sie viel erwachsener ist, als all die anderen Frauen und Männer hier. - Und wahrscheinlich wird sie, was ich ihr zu sagen habe, genauso als Hohn betrachten, wie ich es damals für Hohn hielt."

Die Priesterin stand auf:
"Jera, ich bitte dich, tritt an unseren Tisch."
Als ich die Hohepriesterin rufen hörte stand ich auf und ging hinüber zur Festtafel. Wieder bot die Priesterin mir Essen und Trinken an, wieder lehnte ich ab. Damit teilte ich der versammelten Gemeinschaft mit, daß ich nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollte. Wieder stellte die Hohepriesterin die Frage, ob sie auf mein Schweigen vertrauen könnte und sagte dann laut, daß sie meinem "ja" vertraute.

"Liebe Freunde, ich habe euch etwas zu verkünden, worauf wir alle schon lange warten. Jera hat die Prüfung bestanden. Sie ist jetzt eine Hochgeweihte. Erweist ihr die Ehre."
Ich starrte sie verwirrt an. So lange hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht als diese Einweihung. Und jetzt, wo ich nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollte, jetzt bekam ich sie. Die anderen bildeten schweigend ein Spalier, durch das mich die Hohepriesterin hinausführte, hinunter in die Einweihungshöhle. Ich mußte einfach wissen, wie die Hohepriesterin auf den Gedanken kam. Es war so widersinnig. Kaum waren wir außer Hörweite fragte ich:
"Was war die Prüfung?"
"Du hast dich für dein Gewissen gegen die gesamte Gemeinschaft gestellt, ohne etwas für dich persönlich zu fordern. Das war die Prüfung, die das Leben dir stellte. Die letzte Prüfung stellen nicht wir Menschen."
"Und was soll ich jetzt mit der Einweihung?" fragte ich mehr verwirrt als vorwurfsvoll - und Tränen brannten in meinen Augen.
Die Alte lächelte:
"Das habe ich mich damals auch gefragt. Ich kann es dir nicht sagen. Das Leben wird es zeigen."
Ich spürte ihr Mitgefühl und ihre Liebe, doch das bot mir keinen Trost. Zum Abschluß nannte sie mir die Losungsworte der Hochgeweihten, sagte aber, daß ich sie eigentlich nicht brauchte.
"Nicht jeder Hochgeweihte bleibt, bis man ihm die Losungsworte mitteilt. Und manche Hochgeweihte erwerben ihr Wissen selbst, ohne formale Ausbildung. Und es mag auch sein, daß Kirchenvertreter die Worte aus jemandem herausgefoltert haben. Vertraue deinem eigenen Urteil. Die alten Formen tragen nicht mehr."

Kersti


M11. Kersti: Fortsetzung: Kloster
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MI. Kersti: Inhaltsübersicht: 13 Hexen
M1. Kersti: Zum Anfang: Krankheit
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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