vor 26.2.01

Reinkarnationserinnerung, Atlantis / Menschenversuche

F17.

Ich liebe eine Göttin

"Karion?" leise öffnete sich die Tür und Fjaera schaute zaghaft herein.
Ich liebte Fjaera. Sie hatte geweint. Um mich, nehme ich an. Sie war die dunkelhäutigste der Studentinnen und hatte ebensoviel menschliches Blut wie ich. Doch die Göttin, die ihre Mutter war, hat sie anerkannt. Sie war mir zuerst aufgefallen, weil sie zu einer Freundin gesagt hatte, daß sie immer daran denken müsse, wie leicht sie an meiner Stelle hätte landen können.
"Bist du fertig?" fragte sie.
*Nein.* antwortete ich schroff und wütend.
Sie war verletzt durch meine harte Reaktion, blieb jedoch ruhig und dachte mir zu:
*Ich soll dir ausrichten, daß in einer halben Stunde die Anatomie beginnt. Sara wird durch die Operation noch zu schwach sein. Deshalb mußt du noch einmal kommen.*
Ich nickte. Eine Gnadenfrist. Mir wurde bewußt, daß ich unfair war. Ich nahm mich zusammen und dachte:
*Tut mir leid, Fjaera. Ich habe dir Unrecht getan. Du trägst keine Schuld an meinem Schicksal.*
*Bist du dir sicher?* fragte sie bitter.
Ich fragte mich überrascht, was dahinterstehen mochte.
*Nein*, antwortete ich sanft, *Ich weiß nicht, ob man als Göttin heranwachsen kann, ohne Schuld auf sich zu laden.*
Fjaera zog ihren Geist von mir zurück. Ich spürte ihr quälend schlechtes Gewissen.
"Ich..." Fjaera schluckte, setzte zwei mal an, bevor sie endlich herausbrachte, was sie sagen wollte: "Ich war an der Operation beteiligt, wo wir dir das Sichtfenster eingesetzt hatten. Ich ertrage es nicht, zu sehen, was ich da angerichtet habe."
Götter! Ich sammelte mich und dachte dann:
*Fjaera. Was immer auch deine Gründe waren, es ist dir verziehen. Ich kann nicht sagen, ob ich an deiner Stelle vielleicht dasselbe getan hätte. In der Hoffnung, daß ich einmal Macht haben würde, etwas an dieser Gesellschaft zu verändern. Bewahre dein gutes Herz, Fjaera. Es werden viele Menschen davon abhängig sein.*
Fjaera weinte leise. Mir wurde bewußt, daß ich nicht mit Fjaera tauschen würde. Ich war in meinem Leben nie in die Verlegenheit gekommen, eine solche Schuld auf mich zu laden. Und ich wußte, daß ein schlechtes Gewissen mich mehr quälen konnte, als alles, was jemand anders mit mir tun konnte.

*Fjaera, ich glaube, wir müssen los.*
Vorsichtig ließ ich die Frau auf den Operationstisch gleiten, die an meiner Schulter eingeschlafen war. Fjaera holte einige Decken und deckte sie sorgfältig zu.
*Jemand sollte für sie da sein, wenn sie erwacht.* sagte ich.
*Ich werde mich darum kümmern.* versprach Fjaera und schloß die Tür ab.

Dann sagte sie leise zu mir:
"Du kümmerst dich immer nur um andere."
Ich dachte darüber nach erkannte:
*Manchmal ist das einfacher, als sich den eigenen Problemen zu stellen.*
*Hast du Angst?* fragte sie, erstaunt als hätte sie geglaubt, ich wäre dieses Gefühls nicht fähig.
*Ja.* antwortete ich.
"Oh Karion." sagte sie voller Kummer, legte den Arm um mich und schmiegte sich an mich.
Ich genoß ihre tröstliche Wärme und wich so den Gedanken an die Zukunft aus. Vielleicht war sie auch in mich verliebt. Wie dem auch sein mochte, es würde nichts daraus werden. Sie hatte keine Möglichkeit mich zu schützen.

An meinem Tisch angekommen verabschiedete ich mich mit einer Umarmung von Fjaera. Andere Studenten spotteten darüber, aber sie kümmerte sich nicht darum. Ich setzte mich auf meinen Platz vor dem Zeichentisch und ließ es zu, daß die Saalbediensteten mich dort mit den fest in meinen Knochen eingelassenen Schrauben an das Gestell schraubten. Sie behandelten uns wie Schautafeln. Ich sah mich um. Die anderen Menschen sahen so von Schmerzen benebelt aus wie immer.

Nahe der Tür standen meine Studenten. Studenten suchen sich einen Professor als Tutor, an den sie sich mit ihren Fragen wenden. Diese Studenten wandten sich an mich. Sie sahen aus, als hielten sie gerade eine Krisensitzung ab. Das Thema konnte ich mir denken. Ich griff mit meinen Gedanken hinüber und fragte:
*Was steht ihr so an der Tür herum? Wollt ihr nicht herüberkommen?*
Sie schauten zu mir. Einer fragte:
*Karion, weißt du...* er brach ab, mit dem Gefühl schon zu viel verraten zu haben.
*Heute kam ein Arzt zu mir und meinte, ich solle mich um eine Frau kümmern, der sie ein Fenster am Herzen eingesetzt hatten. Das meintest du doch, oder?*
Ich begleitete die Worte mit mildem Spott. Ich wollte nicht bemitleidet werden.

*Hat er das wirklich so gesagt, ohne einen Gedanken an dich?*
Meine Studenten waren bestürzt. Sie hatten gelernt. Vor drei Monaten wäre ihnen nicht aufgefallen, welche Gedankenlosigkeit dieser Ausspruch beinhaltete. Nicht, wenn ich es in dieser spöttischen, stolzen Art gedacht hätte. Ich lächelte zufrieden. Sie lernten langsam, über Gefühle auch nachzudenken und andere zu verstehen. Sie entdeckten ihre Menschlichkeit.

Sie waren zu mir gekommen, weil sich herumsprach, daß ich mehr über Medizin weiß als manche Professoren, gut erklären kann und die Bücherei in und auswendig kenne. Doch sie hatten auch das gelernt, was ich ihnen hatte beibringen wollen. Menschlichkeit. Ein Gefühl für Recht und Unrecht, dafür, daß Menschen mehr sind als nur Gebrauchsgegenstände, die man beliebig benutzen oder wegwerfen kann.

*Karion, wir müssen etwas tun!*
Die Gedankenstimme des Jungen war drängend. Ich war gar nicht erfreut, an die Zukunft erinnert zu werden. Außerdem hatte er Unrecht.
*Was können wir tun?* fragte ich sanft.
*Ich weiß nicht.* antwortete der junge Gott.
Er hatte noch nie erlebt, was es bedeutet, ausgeliefert zu sein, nichts tun zu können. Jetzt bekam er langsam eine Ahnung davon.
*Ich weiß auch nichts.* sagte ich.
*Aber sie bringen dich um!* protestierte er.
*Ja, sie bringen mich um. Ganz langsam und qualvoll. Und sie haben schon damit begonnen.* bestätigte ich.
Der Junge spürte hinter meiner oberflächlichen Ruhe das Grauen.
*Du mußt fliehen!* forderte er.
*Wie? Und wohin? Mit einer Glasscheibe in der Brust, wo sich das Fleisch entzündet, wenn sie nicht täglich mit Desinfektionmittel eingeschmiert wird. Mit einem Herzen, das bei jedem Schlag wehtut. Meinst du, ich kann damit rennen?* fragte ich.
*Nein. Aber irgendetwas müssen wir doch tun...* sagte er.
*Meinst du? Ich konnte in meinem Leben sehr oft nichts tun.* widersprach ich.
Der Junge weinte. Wortlos schickte ich ihm Wärme und Liebe hinüber.

*Treffen wir uns heute Abend wieder in der Bibliothek?* fragte ich meine Studenten.
Ich wollte mich von ihnen noch einmal verabschieden können. Sie nickten bedrückt. Sie hatten das Gedankengespräch mitgehört. Ich wußte daß sie, wie ich auch, über Auswege grübeln würden. Wahrscheinlich erfolglos. Mit gesenktem Kopf verließen sie den Anatomiesaal.

Ich begann mich sehr schnell zu langweilen. Ich brauchte dringend eine Ablenkung von meinen Schmerzen. Ich betrachtete die junge Göttin, die vor mir saß, um mein Herz zu malen. Sie musterte gedankenverloren mein Gesicht. Ich sah ihr in die Augen, bis ihr bewußt wurde, daß ich sie sah. Dann dachte ich ihr *Hallo* zu. Sie war überrascht. Ich lächelte ihr zu.
"Warst du das?" fragte sie verwirrt.
*Ja* antwortete ich.
"Aber du bist doch ein Mensch!" wunderte sie sich.
*Ja und?* fragte ich.
*Aber Menschen können doch nicht ...* setzte sie verwirrt an.
*Bist du sicher? Ich unterhalte mich oft mit der kleinen, dunkelhäutigen Tochter der Köchin.* entgegnete ich spöttisch.

Die junge Göttin wurde nachdenklich, betrachtete schweigend mein Gesicht und kehrte zu dem Gedankengang zurück, der sie vorher beschäftigt hatte. Zaghaft fragte sie:
*Was ist es eigentlich für ein Gefühl, so eine Glasscheibe im Brustkorb zu haben?*
*Schmerzen, grauenhafte Schmerzen. Willst du es genau wissen?*
Die Göttin sah mich mit großen Augen an. Sie hatte begriffen, was ich mit dieser Gegenfrage meinte und dachte ernsthaft darüber nach.
*Ja.* antwortete sie.

Ich nickte ernst, nahm sanft Verbindung mit ihr auf, schirmte sie aber noch von den Schmerzen ab.
*Wer bist du?* fragte sie voll Ehrfurcht, als sie meine große, innere Stärke spürte. *Ich heiße Karion.* verstand ich die Frage bewußt falsch.
Das Staunen war immer da, wenn ich einen Gott mein Inneres sehen ließ. Ich weiß nicht, warum ich innerlich so viel stärker war als die meisten Götter. Aber diese Ehrfurcht erschien mir falsch, krankhaft. Die Göttin spürte, warum ich sie mißverstehen wollte.
*Bist du bereit?* fragte ich.
*Ja.* antwortete sie.
Ich ließ sie meine Schmerzen spüren. Sie keuchte und brach die Verbindung zu mir so abrupt ab, daß mir für einen Moment schwarz vor Augen wurde. Sie brauchte einige Sekunden, um sich wieder zu fassen. Dann nahm sie vorsichtig wieder Kontakt auf, erspürte meine Schmerzen.

*Das ist ja schrecklich.* dachte sie mir zu, als sie den Kontakt langsam wieder löste. Ich stimmte ihr zu und erklärte:
*Verhältnismäßig habe ich es noch am besten getroffen. Da drüben der Frau haben sie den gesamten vorderen Brustkorb durch ein Guckfenster ersetzt. Sie hat große Angst zu ersticken. Kein Wunder. Ihre Arme kann sie nicht nach vorne bewegen. Dazu fehlen ihr die Muskeln. Bei einem anderen sind die Gedärme zu sehen. Ob er aufrecht stehen kann, weiß ich nicht. Möglicherweise bietet die Glasscheibe genug Stütze.*
*Aber das sind doch nur Menschen. Sie spüren das nicht so wie wir.* widersprach die Göttin verunsichert.
*So? Ich weiß das besser. Menschen können ihr Energiefeld nicht so gezielt einsetzen wie wir. Deshalb macht ihr Geist einen so schwachen Eindruck. Das täuscht. Wenn du wirklich wissen willst, wie Menschen denken oder fühlen, gibt es nur eine Möglichkeit. Du mußt dein Energiefeld mit ihrem verbinden. Frag sie vorher laut um Erlaubnis. Und nimm für deine ersten Experimente keinen der Menschen in diesem Saal. Du würdest die Schmerzen nicht verkraften.*
Die junge Göttin wunderte sich über die selbstverständliche Autorität, mit der ich ihr Ratschläge erteilte. So vieles an mir paßte nicht zu dem Bild, das sie sich von Menschen gemacht hatte. Sie würde diese Nacht wahrscheinlich noch lange darüber nachdenken. Ich mochte sie.

*Heute Abend treffe ich mich mit meinen Tutanten noch einmal zum Abschied in der Bibliothek. Wenn du willst, kannst du auch kommen.* lud ich sie ein.
Die Vorstellung, daß ich Tutanten haben könnte wie ein Professor, erschien der Göttin so erstaunlich, daß sie vollkommen vergaß, mir zu antworten. Ich war überzeugt, daß sie kommen würde, und sei es nur aus Neugier. Sie zeigte gute, menschliche Ansätze. Während einige andere Studenten mein Herz malten beobachtete ich sie weiterhin.

Nach der Anatomiestunde brachte ein Student mich in meinen Schlafraum. Kurz darauf kam Fjaera. Ich sagte ihr, daß ich sie liebe. Sie brach in Tränen aus. Schweigend wiegte ich sie in meinen Armen, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
"Ich liebe dich auch. Ich habe dich von Anfang an geliebt." antwortete sie.
*Und wir wußten von Anfang an, daß nichts daraus würde werden können.* ergänzte ich ernst.
Sie nickte und strich mir übers Haar.
"Und trotzdem liebe ich dich. Und ich bin froh, dich kennengelernt zu haben."
Ich nickte.

Mehr als ein sanfte Streicheln hätte ich körperlich nicht verkraftet. Doch das reichte mir, denn ich spürte, welche Liebe dahinter stand. Und ich war auch zu erschöpft von den Schmerzen der letzten Monate, zu mehr fehlte mir einfach der innere Antrieb. Ich hatte fast ein halbes Jahr mit dieser Sichtscheibe im Körper gelebt, obwohl jeder andere Mensch nach zwei Wochen schon in die Versuchslabore kam.

Kersti

Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben


F18. Kersti: Fortsetzung: Du bist alt geworden
F16. Kersti: Vorheriges: Wir haben einem neuen Menschen eine Sichtscheibe ins Herz gepflanzt
FI3: Kersti: Atlantis / Menschenversuche
VA106. Kersti: Reinkarnation
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/, Kersti_@gmx.de