Jedenfalls besuchte ich meinen Bruder und auf dem Weg zum Pferdestall war ich plötzlich von zehn Männern mit gezogenen Schwertern umzingelt. Es waren keine albernen Adelsbengel, die nie richtig kämpfen gelernt hatten, sondern offensichtlich Berufskrieger, mit einfachen, aber sehr guten Waffen. "Das wars dann wohl." dachte ich.
"Gib auf, du hast sowieso keine Chance." sagte ihr
Anführer.
Damit hatte er recht. Dennoch würde ich den Teufel tun und
aufgeben. Ich hatte schon zu oft schrecklich verstümmelte
Leichen von Amazonen gesehen, die alleine in einen Hinterhalt von zu
vielen Gegnern geraten waren. Wenn man kämpft, bis der eigene
Körper wirklich nicht mehr gehorcht, haben sie sehr
wenig Zeit zu foltern. Ich griff an. Die ersten
drei waren tot, bevor sie so richtig begriffen
hatten, daß ich kämpfen wollte. Dann traf
ein Hieb schräg von der Seite zuerst mein
linkes Auge und schlitzte dann den Oberarm
auf. Den nächsten Schlag führte ich fast
ausschließlich mit der rechten Hand, schlug
ihm aber dennoch die Hand ab, ehe ein anderer mit einem mißglückten Hieb mein Knie
und meinen Unterschenkel traf und ein dritter mir etwas Hartes von
hinten auf den Kopf schlug. Ich brach zusammen und verlor
die Besinnung.
Als ich wieder zu mir kam, wunderte ich mich, daß ich noch lebte. Das Auge tat so weh, daß ich überzeugt war, es verloren zu haben. Überhaupt schien meine ganze linke Seite nur aus Schmerzen zu bestehen. Ich spürte die Bewegungen eines Pferdes unter mir, aber es war nicht der vertraute Schritt meines eigenen. Ich gab nicht zu erkennen, daß ich wach war und lauschte auf ihre Gespräche. Absolut erstaunte mich, daß sie mich zu einem Arzt bringen wollten und daß sie von mir so achtungsvoll redeten, wie über einen männlichen Gegner, der tapfer gekämpft hatte. Es ist nicht so, daß wir Amazonen alle Männer für Arschlöcher gehalten hätten - aber anständige Männer greifen nicht zehn gegen eine Amazone an. So etwas tun normalerweise nur Leute ohne Ehrgefühl. Ich hatte noch nie gehört, daß eine Amazone die einen Kampf verloren hatte, absichtlich am Leben gelassen wurde. Manche hatten eine Vergewaltigung knapp überlebt - aber das lag nie in der Absicht der Täter, denn wenn jemand wußte, wer eine Amazone vergewaltigt hatte, so wurde der Täter von den Amazonen gejagt und kastriert. Bei Kindern, die mißhandelt wurden, bevor sie zu den Amazonen kamen, wurde diese Art von Rache nicht geübt, da es keine abschreckende Wirkung gehabt hätte und man dann gleich einen Krieg gegen den Rest der Welt hätte anfangen können, der totsicher zur Vernichtung der Amazonen geführt hätte.
Der Arzt lebte in der nächsten kleineren Stadt schon außerhalb unseres Landes. Es gibt im Amazonenland nicht wirklich viele Amazonen - auch hier machten wir nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung aus. Weitere zehn Prozent waren Geliebte und Söhne von Amazonen und der Rest kannte uns als Gäste auf den Dorffesten, als Händlerinnen auf den Märkten, als Kunden an den Ständen. So war es kein Problem, den Arzt zu bitten, daß er meiner Mutter die Nachricht zukommen lassen sollte, daß ich lebe. Außerdem hatte ich aufgeschnappt, wessen Männer es waren und daß sie den Auftrag hatten, ihrem Fürsten eine Amazone mitzubringen - aber ich wußte nicht, wozu sie mich brauchten. Ich sagte noch einmal ausdrücklich, daß ich nach dem Kampf weder mißhandelt noch vergewaltigt worden war.
Obwohl zwei der zehn Männer, die mich gefangen hatten, verletzt waren und drei tot, legten sie ein sehr schnelles Tempo vor, das für mich mit meinen Verwundungen die reinste Qual war. Sie waren sich wohl im Klaren darüber, daß sie von Amazonen verfolgt wurden. Dennoch waren wir dreieinhalb Tage unterwegs.
Quelle: Erinnerungen an eigene frühere Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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