Da brach sie in Tränen aus. Ich betrachtete sie ratlos - ist es wirklich nötig, daß ich für meine ganze Umgebung genau dann die Seelentrösterin spielen muß, wenn ich selber kaum noch ein und aus weiß? Dann raffte ich mich auf, nahm sie in die Arme und streichelte sie, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte. Da erst entdeckte ich die Striemen auf ihrem Rücken. Ich war überrascht. Es war mir gar nicht in den Sinn gekommen, daß man eine erwachsene Frau einfach so schlagen könnte. Bei einer Amazone wäre das schließlich sehr gefährlich gewesen. Und da wo wir lebten, wurden viele Mädchen für ein paar Jahre zu uns Amazonen geschickt, damit sie sich verteidigen konnten. Deshalb waren die Männer - höflicher. In anderen Landesteilen war es anders, aber das bekommt man nicht so mit.
"Hat er dich etwa geschlagen?" fragte ich leise und hörte
mir dann still eine ewig lange Geschichte von einer Ehe an, die nur
aus Schlägen und Erniedrigung bestand. Ihr Vater hatte sich nicht
dafür interessiert und bevor ihr Bruder schließlich
König wurde, hatte sie längst aufgegeben. Außerdem
wollte sie ihre Tochter nicht alleinlassen und die hätte sie dann
beim Vater zurücklassen müssen. Es war absolut
außerhalb meines Fassungsvermögens, wie jemand sich so
etwas gefallen lassen konnte.
"Ich hätte ihn spätestens nach einem Jahr
umgebracht." teilte ich ihr mit.
"Du bist ja auch eine Amazone." sagte sie, so als wären
Amazonen keine Menschen sondern irgendwelche Fabelwesen "Bestimmt
verachtest du mich!"
"Nein. Nicht verachten. Ich kann dich nur nicht verstehen.
Irgendwann hätte ich einfach die Beherrschung verloren und dann
wäre er tot - ich wäre dann natürlich auch getötet
worden, so daß das sicher keine gute Idee gewesen wäre. Na
ja - vielleicht wäre ich ja auch klug genug gewesen, rechtzeitig,
bevor ich ausraste, zu den Amazonen zu fliehen." sagte ich und
grinste, danach fuhr ich ernst fort: "Aber warum ich eigentlich
mit dir reden wollte: Salia hat die Vergewaltigung nur ganz knapp
überlebt. Wenn du willst, daß sie erwachsen wird, ohne
daß ihr Vater sie endgültig umbringt, mußt du
dafür sorgen, daß sie sicher außerhalb seiner
Reichweite ist. Bei uns wäre sie das - und sie würde lernen
zu kämpfen, so daß kein Mann sie so behandeln könnte,
wie deiner dich. Dazu brauchen wir die Sicherheit, daß dein Mann
keinen Krieg gegen die Amazonen vom Zaun brechen kann, denn der
würde uns vernichten. Du könntest den König bitten,
daß er seine Hand über ihre Zeit bei uns hält."
Ich sah ihr in die Augen und wartete minutenlang auf eine Antwort. Doch
sie schlug nur die Hände vors Gesicht und weinte. Ich starrte sie
fassungslos an. Konnte sie nicht endlich einmal anfangen, sich wie ein
erwachsener Mensch zu benehmen? Wahrscheinlich nicht... Seufzend nahm
ich sie in die Arme und wiederholte meine Bitte.
"Ja - ich mache es, aber ich weiß nicht, was
ich ihm schreiben soll!"
"Dann laß uns zusammen daran arbeiten." beschloß
ich, öffnete die Tür und winkte denjenigen der Wächter
herein, mit dem ich mich am Besten verstand: "Bring Feder und
Tinte, aber sag außer dem Offizier niemandem etwas davon."
befahl ich flüsternd.
Er gehorchte wortlos.
"Warum gehorcht er dir?" fragte sie erstaunt.
"Weil ich mich normalerweise vernünftig benehme und weil wir
Freunde sind." antwortete ich.
"Aber du hast seinen besten Freund erschlagen!"
"Ja. Sie haben angegriffen. Er war derjenige, der mein Auge
getroffen hat. Wir haben einander verziehen. Es läßt
sich schließlich nicht wieder ungeschehen machen und er ist
ein ehrenhafter Mann." erwiderte ich.
Sie starrte mich mit offenem Mund an. Offensichtlich lag das
außerhalb ihres Fassungsvermögens.
Der Brief der Fürstin wurde lang. Er begann mit ein paar Anspielungen auf gemeinsame Kindheitserlebnisse, die ich nicht verstand. Dann schrieb sie ihrem Bruder über die schrecklichen Erfahrungen ihrer Ehe, die sie ihm nie erzählt hatte und bat ihn flehentlich, ihrer Tochter seine Unterstützung zu geben, damit sie zu den Amazonen durfte.
Noch ehe sie fertig war, kam der Offizier,
grüßte uns und fragte leise, ob der Brief vor
dem Herrn geheimgehalten werden solle.
"Die Entscheidung würde ich gerne ihr überlassen."
sagte ich.
"Ja. Bitte. Aber wenn mein Bruder ihn braucht, um seine
Entscheidung zu rechtfertigen, darf er es veröffentlichen."
fuhr sie fort.
"Schreib das in den Brief - wir müssen unser Bestes tun, damit
dein Mann auch zustimmt, sonst könnten wir den König in eine
schwierige politische Lage bringen. Meinst du, das könntest du
erreichen?" fuhr ich fort.
"Ich weiß es nicht." sagte die Fürstin.
"Wenn wir dich dabei irgendwie unterstützen können,
laß es uns wissen." fuhr ich fort.
Sie bedankte sich bei uns, weil wir uns so für ihre Tochter einsetzten und ging.
Quelle: Erinnerungen an eigene frühere Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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