F33.

Die Amazonenprinzessin

Die Fürstin

Am nächsten Tag näherten sich leise zögernde Schritte der Tür. Das erste Klopfen hörte ich nur, weil ich darauf gewartet hatte. Dann sagte eine Männerstimme:
"Herrin, ihr müßt auch so laut klopfen, daß sie es hören kann!" und jemand polterte heftig gegen die Tür.
Ich öffnete und sagte tadelnd:
"Gerid, wecken brauchst du Salia nun auch wieder nicht. Kommt herein, Herrin. Ich habe euch erwartet."
Sie warf mir einen Blick zu, als erwarte sie, daß ich mich jeden Augenblick in eine reißende Bestie verwandeln könnte. Ich lächelte und sagte:
"Komm schon. Ich beiße nicht."
Immer noch stand sie zögernd in der Tür und schaute zu dem Bett mit ihrer schlafenden Tochter hinüber. Ich stand auf, legte ihr sanft die Hand auf die Schulter, führte sie herein und sorgte dafür, daß sie sich auf den einzigen Stuhl im Zimmer setzte. Dann schloß ich die Tür.
"Du zitterst ja." stellte ich überrascht fest "Ich bin doch nicht diejenige, die kleinen Mädchen Messer in die Scheide rammt. Das tun ganz andere Leute." sagte ich.
"So etwas sagt man nicht!" wies sie mich zurecht.
"Schlimm ist nicht, wenn man es sagt, schlimm ist, wenn man es tut." widersprach ich.

Da brach sie in Tränen aus. Ich betrachtete sie ratlos - ist es wirklich nötig, daß ich für meine ganze Umgebung genau dann die Seelentrösterin spielen muß, wenn ich selber kaum noch ein und aus weiß? Dann raffte ich mich auf, nahm sie in die Arme und streichelte sie, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte. Da erst entdeckte ich die Striemen auf ihrem Rücken. Ich war überrascht. Es war mir gar nicht in den Sinn gekommen, daß man eine erwachsene Frau einfach so schlagen könnte. Bei einer Amazone wäre das schließlich sehr gefährlich gewesen. Und da wo wir lebten, wurden viele Mädchen für ein paar Jahre zu uns Amazonen geschickt, damit sie sich verteidigen konnten. Deshalb waren die Männer - höflicher. In anderen Landesteilen war es anders, aber das bekommt man nicht so mit.

"Hat er dich etwa geschlagen?" fragte ich leise und hörte mir dann still eine ewig lange Geschichte von einer Ehe an, die nur aus Schlägen und Erniedrigung bestand. Ihr Vater hatte sich nicht dafür interessiert und bevor ihr Bruder schließlich König wurde, hatte sie längst aufgegeben. Außerdem wollte sie ihre Tochter nicht alleinlassen und die hätte sie dann beim Vater zurücklassen müssen. Es war absolut außerhalb meines Fassungsvermögens, wie jemand sich so etwas gefallen lassen konnte.
"Ich hätte ihn spätestens nach einem Jahr umgebracht." teilte ich ihr mit.
"Du bist ja auch eine Amazone." sagte sie, so als wären Amazonen keine Menschen sondern irgendwelche Fabelwesen "Bestimmt verachtest du mich!"
"Nein. Nicht verachten. Ich kann dich nur nicht verstehen. Irgendwann hätte ich einfach die Beherrschung verloren und dann wäre er tot - ich wäre dann natürlich auch getötet worden, so daß das sicher keine gute Idee gewesen wäre. Na ja - vielleicht wäre ich ja auch klug genug gewesen, rechtzeitig, bevor ich ausraste, zu den Amazonen zu fliehen." sagte ich und grinste, danach fuhr ich ernst fort: "Aber warum ich eigentlich mit dir reden wollte: Salia hat die Vergewaltigung nur ganz knapp überlebt. Wenn du willst, daß sie erwachsen wird, ohne daß ihr Vater sie endgültig umbringt, mußt du dafür sorgen, daß sie sicher außerhalb seiner Reichweite ist. Bei uns wäre sie das - und sie würde lernen zu kämpfen, so daß kein Mann sie so behandeln könnte, wie deiner dich. Dazu brauchen wir die Sicherheit, daß dein Mann keinen Krieg gegen die Amazonen vom Zaun brechen kann, denn der würde uns vernichten. Du könntest den König bitten, daß er seine Hand über ihre Zeit bei uns hält."
Ich sah ihr in die Augen und wartete minutenlang auf eine Antwort. Doch sie schlug nur die Hände vors Gesicht und weinte. Ich starrte sie fassungslos an. Konnte sie nicht endlich einmal anfangen, sich wie ein erwachsener Mensch zu benehmen? Wahrscheinlich nicht... Seufzend nahm ich sie in die Arme und wiederholte meine Bitte.
"Ja - ich mache es, aber ich weiß nicht, was ich ihm schreiben soll!"
"Dann laß uns zusammen daran arbeiten." beschloß ich, öffnete die Tür und winkte denjenigen der Wächter herein, mit dem ich mich am Besten verstand: "Bring Feder und Tinte, aber sag außer dem Offizier niemandem etwas davon." befahl ich flüsternd.

Er gehorchte wortlos.

"Warum gehorcht er dir?" fragte sie erstaunt.
"Weil ich mich normalerweise vernünftig benehme und weil wir Freunde sind." antwortete ich.
"Aber du hast seinen besten Freund erschlagen!"
"Ja. Sie haben angegriffen. Er war derjenige, der mein Auge getroffen hat. Wir haben einander verziehen. Es läßt sich schließlich nicht wieder ungeschehen machen und er ist ein ehrenhafter Mann." erwiderte ich.
Sie starrte mich mit offenem Mund an. Offensichtlich lag das außerhalb ihres Fassungsvermögens.

Der Brief der Fürstin wurde lang. Er begann mit ein paar Anspielungen auf gemeinsame Kindheitserlebnisse, die ich nicht verstand. Dann schrieb sie ihrem Bruder über die schrecklichen Erfahrungen ihrer Ehe, die sie ihm nie erzählt hatte und bat ihn flehentlich, ihrer Tochter seine Unterstützung zu geben, damit sie zu den Amazonen durfte.

Noch ehe sie fertig war, kam der Offizier, grüßte uns und fragte leise, ob der Brief vor dem Herrn geheimgehalten werden solle.
"Die Entscheidung würde ich gerne ihr überlassen." sagte ich.
"Ja. Bitte. Aber wenn mein Bruder ihn braucht, um seine Entscheidung zu rechtfertigen, darf er es veröffentlichen." fuhr sie fort.
"Schreib das in den Brief - wir müssen unser Bestes tun, damit dein Mann auch zustimmt, sonst könnten wir den König in eine schwierige politische Lage bringen. Meinst du, das könntest du erreichen?" fuhr ich fort.
"Ich weiß es nicht." sagte die Fürstin.
"Wenn wir dich dabei irgendwie unterstützen können, laß es uns wissen." fuhr ich fort.

Sie bedankte sich bei uns, weil wir uns so für ihre Tochter einsetzten und ging.

Kersti

Quelle: Erinnerungen an eigene frühere Leben


F34. Kersti: Die Amazonenprinzessin, Folgendes: Feigheit
F32. Kersti: Die Amazonenprinzessin, Voriges: Belagerung
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