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"Steh auf und sieh mich an." befiehlt er mir.
Ich gehorche und sehe ihm in die Augen.
"Warum wurdest du geschlagen?"
Die Frage war leise und ohne jeglichen Druck
gestellt, ohne Neugier.
"Ich war frech." antwortete ich.
Er musterte mich aufmerksam und schweigend.
Ich kam zu dem Schluß, daß er sich wirklich
für meine Antwort interessierte und fuhr deshalb fort:
"Ich kann nicht tatenlos mitansehen wenn
meine Schwester vergewaltigt wird."
"Gut. Gibt es einen Menschen, der Dir etwas
bedeutet?"
"Ich habe ihr versprochen, daß ich sie nicht
alleine lassen werde." antwortete ich.
"Gut. Beschreibe meinem Diener ihr Aussehen,
er wird sie holen."
"War es die Schwarzhaarige, die sich an dich
geklammert hat?" fragt der Mann, der mich
hergebracht hatte.
Ich nickte.
"Gut. Ich erkenne sie wieder."
"Setz dich." befahl er mir.
Nachdem ich mich auf das Kissen gesetzt hatte, das er mir angewiesen
hatte, fragte er immer noch in demselben Ton:
"Wie findest du mich?"
"Merkwürdig. Manchmal furchterregend in der Direktheit. Aber
irgendwie habe ich das Gefühl, dir vertrauen zu können."
antwortete ich.
"Gut." antwortete er, sah mir in die Augen und schwieg.
Ich erwiderte den ruhigen, klaren Blick seiner
dunklen Augen und schwieg ebenfalls. Es
schien mir, als könne er mir bis auf den Grund
der Seele blicken. Ich fühlte mich innerlich
sehr still und seltsam klar.
Wir mußten mindestens zwei Stunden so schweigend gesessen haben,
als sich die Schritte des Dieners und meiner Schwester näherten.
Mit meiner kleinen Schwester redete der Herr ganz anders. Er fragte
sie freundlich über ihr Leben in der Vergangenheit aus, was
sie getan hatte und befahl dem Diener dann,
sie in die Küche zu bringen.
Zu mir sagte er dann:
"Die Köchin ist eine herzensgute Frau, der man bedenkenlos ein
Kind anvertrauen kann. Du kannst sie in deiner Freizeit jederzeit
besuchen, sie soll aber unabhängig von dir ihr
Leben und ihre Pflichten haben."
Ich nickte schweigend. Ich vertraute ihm.
"Mach deinen Rücken frei und leg dich hin."
befahl er mir.
Dann bewegte er wenige Zentimeter über meinem Rücken langsam
die Hände durch die Luft. Die Schmerzen von den Peitschenhieben
wurden plötzlich erheblich stärker, so wie sie waren, als
die Peitsche meinen Rücken getroffen hatte. Ich ließ es
verwirrt und wortlos über mich ergehen und versuchte den Schmerz
nicht zu zeigen. Als er schließlich aufstand,
ließen die Schmerzen wieder nach. Ich blieb
liegen und atmete langsam und ruhig durch,
versuchte mich wieder zu entspannen.
"Du kannst jetzt aufstehen. Der Rücken wird
noch einige Tage empfindlich sein, bis die
Haut wieder so dick ist wie zuvor." erklärte
er mir.
Ich richtete mich auf und sah neugierig meinen
Rücken an. Die Peitschenstriemen waren völlig
verheilt, als wäre ich nicht erst heute bis zur
Bewußtlosigkeit geschlagen worden sondern
vor einer Woche. Ich tastete darüber ... und er
hatte recht: Die Haut war noch empfindlich
aber eindeutig verheilt. Verwundert sah ich
ihn an. Wie hatte er das gemacht?
Quelle: Erinnerung an eigene frühere Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5,
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