10/06

Reinkarnationserinnerung: Joitha der Akrobat

F66.

Interview mit Messerwurf

Noch am selben Tag bat mich Ered, der Mann von der Zeitung, der meinen Krankenhausaufenthalt bezahlt hatte, wieder um ein Interview. Ohne zu zögern sagte ich zu. Bei dem Interview war Jeremias dabei, weil er immer hinter mir herlief und immer da sein wollte, wo ich auch war.

Wir leiteten das Gespräch ein, indem ich schilderte, wie schlecht die Wunden verheilt waren und warum. Außerdem erzählte ich noch ein paar Anekdoten aus dem Krankenhaus, die sich vielleicht gut machen würden.

Dann fragte er mich, ob ich denn keine Angst hätte, daß noch mal jemand auf mich schießen könnte.
"Jeremias, weißt Du, wer auf mich geschossen hat?" fragte ich.
"Sie haben in der Firma gesagt, daß jemand von uns Firmengeheimnisse verrät und daß sie ihm einen Mörder schicken. Aber ich wußte nicht, daß du das bist." antwortete Jeremias.
Ered wurde leichenblaß, als er das hörte. Ich hatte ihm natürlich mehrfach von den Mördern erzählt, aber er hatte es einfach nicht geglaubt, weil er sich wirklich nicht vorstellen konnte, daß jemand so etwas macht.

"Aber wenn ich gewußt hätte, daß sie dich dann erschießen, hätte ich das nie geschrieben!" stammelte er.
"Ered. Du hast vielleicht nicht gewußt, daß sie einen Mörder schicken würden. Aber ich habe es gewußt, denn ich kenne die Firma und wußte, daß es keine leere Drohung ist. Glaub mir, ich wußte genau welches Risiko ich eingehe und das war es mir wert."
"Aber warum?" fragte er.
"Jeremias, was hat sich in den letzten Monaten in der Firma verändert?" fragte ich.
"Die Aufträge gingen zurück. Einige wurden nicht verkauft. Sie haben dann die Ammen nicht neu belegt." antwortete der Kleine.
"Meine Pressekampagne kostet der Firma Geld. Genau das wollte ich erreichen. Und wenn wir noch etwas weitermachen, läßt sich vielleicht erreichen, daß die Firma in diesem Land überhaupt gar keine Sklaven mehr verkaufen darf." erklärte ich.

An Ereds verblüfften Gesichtsausdruck konnte ich ablesen, daß er sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht hatte, welche Auswirkungen meine Interviews mit verschiedenen Zeitungen auf die Firma haben würde, die mich hergestellt hatte. Ich hatte geglaubt, wenigstens er als Pressefachmann hätte das begriffen.
"Aber hast du denn gar keine Angst, daß sie wieder jemanden schicken, um dich zu ermorden?" fragte er schließlich.
"Das werden sie garantiert tun. Und ich glaube nicht, daß der, der auf mich geschossen hat, meinen Arm treffen wollte. Außerdem, Ered - sag den Leuten nicht, daß Jeremias sich an diesem Gespräch beteiligt hat. Ich will ihn nicht mit in dieses Problem hereinziehen." antwortete ich.
"Aber ich will auch mithelfen!" protestierte Jeremias.
"Das kannst du tun, wenn ich sterbe. Jetzt würden wir ihnen nur zwei Ziele bieten, wenn wir ihnen verraten würden, daß du im Notfall für mich einspringen würdest." lehnte ich ab.

Ich mußte noch öfter mit ihm darüber sprechen, ehe er schließlich einsah, daß ich damit recht hatte.

"Joitha, du solltest immer Messer dabei haben, damit du dich wehren kannst, wenn wieder jemand auf dich schießt." forderte Jeremias.
"Du hast recht. Ich stecke mir gleich welche ein." antwortete ich.
Ered starrte mich verwirrt an.
"Was hilft ein Messer gegen Pistolen?" fragte er.
"Hast du mich noch nie richtig jonglieren sehen?" fragte ich "Dann komm mit in die Turnhalle."
In der Turnhalle sammelte ich die fünf Wurfmesser ein und befahl:
"Jeremias, jonglieren, zehn unterschiedliche Teile. Ich werfe dir die Messer zu und du wirfst sie auf die Kreuzungspunkte des Außenringes und ins Zentrum."

Ich wartete, bis er alle Teile in der Luft hatte und warf Jeremias dann die Messer einzeln zu. Sobald sie alle in der Scheibe steckten, befahl ich ihm: "Weitermachen!" sammelte die Messer ein, legte sie neben ihn auf den Tisch und wies ihn an, sie mir zwischendurch zuzuwerfen, damit ich sie auf die Scheibe werfen konnte.

Nach der kurzen Vorführung sagte ich Ered, wenn er sich jetzt vorstellte, daß da statt der Scheibe ein Mensch gestanden hätte, dann wüßte er doch sicher, warum Messer gegen Pistolen helfen könnten. Er sah mich eine Weile nur kopfschüttelnd an, dann schließlich sagte er:
"Und ich habe Dich für ein so süßes kleines Kind gehalten!"
Ich sah ihn verwirrt an und stellte fest, daß er mir zublinzelte. Also war alles in Ordnung. Ich grinste zurück.

***

Die nächsten Monate verliefen fast wie die vor dem Mordanschlag. Ich lernte für meinen Schulabschluß, trat mit der Truppe auf und gab Interviews für die Medien. Geändert hatte sich nur, daß Jeremias zur Truppe gekommen war. Für das Spiel machte meine Behinderung - wie ich gesagt hatte - keinen zu großen Unterschied und meine Popularität nahm eher zu.

Allerdings tat mir der verletzte Arm oft sehr weh - so als hätte ich einen Arm aus Feuer statt dessen bekommen und es war im Alltag oft schwierig, all die Dinge mit einem Arm zu erledigen, die ich vorher mit zweien gemacht hatte. Alltag ist schließlich nicht Schauspiel, wo alles, was man tut, nur zur Dekoration dient - und wenn die eine Dekoration zu schwierig ist, ersetzt man sie eben durch eine andere. Manchmal wurde mir das einfach zu viel. Deshalb verkroch ich mich oft heimlich ins Bett, um zu heulen.

Kersti

Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben


F67. Kersti: Fortsetzung: Ein Grund für eine Freilassung
F65. Kersti: Voriges: Der Kleine
FI6. Kersti: Inhalt: Joitha der Akrobat
VA106. Kersti: Reinkarnation
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/, Kersti_@gmx.de