1/2012

Reinkarnationserinnerung - Niemand braucht Sklavenjungen

F152.

Ein nutzloser Sklave

Am nächsten Tag brachten der Vernarbte uns Jungen auf den Markt wo wir verkauft werden sollten. Er sagte mir, daß er mich beneidete, weil ich nicht bei dem Sklavenhändler bleiben mußte und daß er Kanard heißt.

Ich setzte mich auf den Boden, legte die Arme um die Knie und schloß die Augen.
"Steh auf." befahl mir der Vernarbte.
Ich sah ihn verwirrt an.
"Die Kunden müssen dich richtig sehen können." erklärte er.

Ich nickte, stand auf und betrachtete die Leute um mich herum. Die meisten waren wie ich an in Hüfthöhe gespannten Ketten angeschlossen und standen nackt herum. Nur wenige Menschen gingen zwischen den Reihen hindurch und betrachteten die Sklaven, die wie ich zum Verkauf standen. Von Zeit zu Zeit trat einer von ihnen zu einem der Sklaven hin, betastete dessen Muskeln oder befahl ihm, sich umzudrehen. Die Sklaven gehorchten - aber viele von ihnen sahen dann sehr verärgert aus. Ich verstand den Ärger nicht, weil ich nie etwas anderes als Sklaverei gekannt hatte.

Eine Sänfte wurde durch die Reihen getragen. Ich beobachtete neugierig die Männer, die sie trugen und dabei im Gleichschritt gingen und den bewaffneten Leibwächter, der die Sänfte begleitete und staunte über die leuchtenden Farben der Stoffe.

Die Sänfte hielt vor mir an.
"Was ist mit dem da?" fragte die Frau und zeigte auf mich.
Der Leibwächter trat vor, sah mir in die Augen, lächelte und meinte:
"Du bist doch stark, nicht wahr?"
"Ja." antwortete ich, obwohl ich davon nicht wirklich überzeugt war.
"Dann zeig mir mal wie stark du bist."

Er nahm meine Hand und befahl mir, sie zur Seite zu drücken. Ich strengte mich an, doch plötzlich änderte er seinen Griff ein wenig und der Arm tat mir so weh, daß ich beinahe augenblicklich hinfiel. Ich entwand ihm meine Hand und trat nach ihm. Dann bekam ich einen Schreck. Er würde mich jetzt bestimmt schlagen! Er lächelte, fing meinen Fuß ab, bevor ich ihn treffen konnte und half mir wieder auf die Beine.
"Gut gemacht." lobte er mich "Du hast Kampfgeist. Möchtest du nicht Leibwächter werden, wie ich?"
Ich sah ihn kurz prüfend an - er schien freundlich und es gefiel mir, daß ich mich wehren durfte, wenn jemand gemein zu mir war - und antwortete
"Ja".
"Gut." antwortete er und sagte dann zu seiner Herrin: "Der ist in Ordnung."

Sie nickte, der Leibwächter winkte den Vernarbten zu sich und verhandelte kurz über meinen Preis. Als sie sich einig geworden waren, drückte der Vernarbte meinen Arm und flüsterte mir ins Ohr:
"Viel Glück."
Ich wußte nicht, wie ich darauf reagieren sollte, denn mir hatte noch nie jemand etwas Gutes gewünscht.

Dann gab mir der Leibwächter einen Lendenschurz, damit ich nicht nackt herumlaufen mußte und fragte die Herrin:
"Können wir jetzt nach Hause gehen, oder habt ihr noch etwas vor? Der Junge hat sicher Hunger, denn die Sklavenhändler sparen jede Malzeit ein, von der sie meinen, daß es den Kunden nicht auffällt."
"Nein. Das war alles für heute."

Ich folgte der Sänfte durch das Gassengewirr der Stadt bis zu einem großen Hof. Als wir vor dem Tor hielten, öffnete es sich sofort und zwei Bewaffnete traten heraus, begrüßten die Herrin höflich. Dann wurde die Sänfte zum Haupthaus getragen und der Leibwächter führte mich zum Stall und dort eine Treppe hoch in eine kleine Kammer mit Stroh auf dem Fußboden. Ein Jugendlicher mit verbundenem Arm lag dort. Der Leibwächter kniete neben ihm nieder, strich ihm übers Haar und streichelte das blasse Gesicht des Bewußtlosen.

"Komm mit." sagte er und führte mich wieder in den Hof.
"Was ist denn mit dem?" fragte ich sobald wir den Raum verlassen hatten.
"Er wurde bei einem Kampf von einem Messer verletzt." erklärte der Leibwächter.
"Wird er denn wieder gesund?" fragte ich.
"Ich weiß es nicht. Es sieht schlecht aus." antwortete er.

Wir betraten durch eine kleine Nebentür das Haupthaus und kamen in die Küche.
Eine rundliche Frau schaute auf und fragte:
"Grüß Dich Kevis! Ist das dein neuer Lehrling?"
"Ja." antwortete der Leibwächter.
"Wie heißt du denn?" fragte sie mich.
"Kanto." antwortete ich.
"Du hast doch sicher Hunger, Kleiner?"

Obwohl ich keine Antwort wagte - natürlich hatte ich Hunger, ich hatte ja seit zwei Tagen nichts gegessen - drückte sie mir ein kleines Brot in die Hand. Damit niemand es mir wieder wegnehmen konnte, aß ich es so schnell wie möglich auf. Kaum hatte ich es verdrückt, gab sie mir ein zweites Brot und als ich damit fertig war, noch eins. Das dritte bekam ich kaum noch herunter. Dann fragte sie mich, ob ich auch noch einen Apfel wollte. Natürlich wollte ich! Wer weiß, wann mir wieder jemand etwas zu essen gibt! - Tatsächlich bekam ich, wie ich später merkte, mehrfach am Tag so viel wie ich essen wollte.

Wann immer er Zeit dazu fand, trainierte der alte Leibwächter mit mir kämpfen. Ich hatte bald so viele blaue Flecken, daß ich mir nicht mehr sicher war, ob er wirklich so nett war, wie er mir am Anfang erschienen war.

Als wir zwei Wochen später nach dem Training wieder nach dem Verletzten schauten, kam der Herr mit der Köchin die sich auch um die Krankheiten der Sklaven kümmerte herein. Ich schaute zu ihm hoch. Die Köchin wickelte den verletzten Arm aus und untersuchte die Wunde. Sie schüttelte bekümmert den Kopf.
"Wie sieht es aus?" fragte der Herr.
"Ich muß ihm den Arm abnehmen oder er stirbt." erklärte die Köchin.
"Dann hat der arme Kerl die Schmerzen ganz umsonst durchgestanden." meinte der Herr, kniete neben dem Verletzten nieder und schnitt ihm die Kehle durch.

Entsetzt schaute ich zu Kevis, dem Leibwächter. Er war ganz blaß geworden und hatte die Fäuste so fest geballt, daß sie ganz weiß waren.
"Du bringst die Leiche weg." befahl der Herr ihm und verließ den Raum.
Kaum war er weg, schlug Kevis die Hände vors Gesicht, sank neben dem Toten in die Knie und weinte haltlos. Ratlos stand ich daneben. Er tat mir sehr leid, aber ich wußte nicht, was ich sagen sollte.

Als wir die Leiche am nächsten Tag fortbrachten, fragte ich den Leibwächter:
"Du, werde ich auch mal verletzt?"
"Das kann passieren." antwortete Kevis.
"Und schneidet er mir dann auch die Kehle durch?"
"Das kommt darauf an. Wenn es heilt und du du noch richtig kämpfen kannst nachher, dann nicht. Ich bin, als ich jung, war auch ein paar mal verletzt worden."
Er legte mir den Arm um die Schultern.
"Du mußt jede freie Minute kämpfen üben, damit dir nie so etwas passiert." fuhr er fort.
Das - so dachte ich mir - würde ich ganz bestimmt tun. Ich wollte schließlich nicht, daß mit jemand die Kehle durchschneidet, weil er mich nicht mehr gebrauchen kann. Und dann wurde mir klar, daß Kevis mich doch mochte. Deshalb hatte er so viel mit mir geübt, daß mir alles wehtat.
"Weißt du, Sklaven müssen zusammenhalten. Wenn du jemals irgendein Problem hast, das du nicht alleine lösen kannst, dann mußt du mir das sagen, hörst du?"
Ja, dachte ich, er mag mich wirklich.

Die reichen Leute verbrannten ihre Toten in der Stadt, doch niemand hätte so viel Feuerholz verbraucht, um einen Sklaven loszuwerden. Um die Seuchengefahr einzudämmen war es deshalb vorgeschrieben, alle Leichen, die nicht verbrannt wurden, auf den Totenacker vor der Stadt zu bringen, wo sie den Aasfressern vorgeworfen wurden. Dorthin brachten wir ihn.

Am Tor des Ackers standen zwei bewaffnete Wachen und grüßten Kevis, als würden sie ihn schon lange kennen.
"Ist er doch noch gestorben?" fragte der ältere der beiden.
"Der Herr hat ihm die Kehle durchgeschnitten, als klar wurde, daß man ihm den Arm abnehmen muß, damit er überlebt."
Die Worte sprach Kevis ungewöhnlich tonlos aus und er hatte wieder die Fäuste geballt und versuchte krampfhaft, nicht in Tränen auszubrechen. Dann fragte er in einer seltsam kindlichen Stimme:
"Meinst du, ich bin ein zu schlechter Lehrer?"
"Ich glaube, das fragen wir uns alle, wenn einer unserer Schüler im Kampf stirbt, nicht wahr?" meinte der Ältere mitfühlend und fuhr dann fort: "Nein, Kevis, Randi war für sein Alter sehr gut. Mehr hätte ihm niemand in dieser kurzen Zeit beibringen können. Es war einfach Pech, daß du schon zwei Schüler verloren hast, bevor sie erwachsen wurden."
Jetzt weinte er doch. Ich kuschelte mich an ihn und streichelte seine Hand. Er drückte mich an sich.

Zwei Sklaven brachten den toten Randi auf das Totenfeld, dann gab uns der ältere Wachposten die Quittung, die nachwies, daß wir die Leiche wirklich abgeliefert hatten. Dann kehrten wir niedergeschlagen zurück in die Stadt.

Kersti

Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben


F132. Kersti: Fortsetzung: Sklaven sind zu echter Freundschaft nicht fähig
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