F1464.

Wenn sie das so machten, hieß daß daß sie irgendeines ihrer gruseligen Experimente vorhatten und der Gedanke gefiel mir gar nicht

Vorgeschichte: F1473. Jender LZB99-950-41: Meine Mutter mußte aufgeschnitten werden, um mich zur Welt zu bringen

Teros LZB99-973-12 erzählt:
Ich war beunruhigt, als ich zur Klinik gerufen wurde. Zunächst einmal war es ein Jahr zu früh, so daß es einfach nicht die normale Operation sein konnte und auch wenn jemand wegen irgendeinem unerfindlichen Grund früher kastriert wurde, wurde er dafür nicht aus dem Klassenzimmer gerufen sondern beim Aufstehen zur Operation zitiert.

Wenn sie das so machten, hieß das, daß sie irgendeines ihrer gruseligen Experimente vorhatten und der Gedanke gefiel mir gar nicht. Natürlich konnte ich trotzdem nichts anderes machen, als mich zu fügen und ging deshalb dahin, wo mir befohlen worden war.

Am Ausgang der Schule hielt ich mein Handgelenk, in das mein Identitätschip eingepflanzt war, an den Skanner und die Tür öffnete sich, was sie seit ich ins Gymnasium gekommen war nie getan hätte, weil wir die Schule nicht verlassen durften, bis wir erwachsen waren. Das ging ihnen vor allem darum, daß wir bloß keinem der Mädchen begegnen sollten, damit wir keine romantischen Gefühle entwickeln. Als wenn man nicht über die Überwachungskameras miteinaner reden könnte, ohne daß sie das bemerken. Daher waren wir in der Schule eingesperrt, außer natürlich, jemand hätte beschlossen, uns für irgendwelche gruseligen Experimente zu verwenden.

Dann sah ich kurz auf meinem Tablet nach, wo ich eigentlich hinmußte und meldete mich an der befohlenen Stelle. Ich wurde in einen Aufenthaltsraum geschickt, wo einige sehr entmutigt aussehende Freigeborene saßen. Ich grüßte sie und fragte, wo ich eigentlich gelandet war. Sie erklärten, wir hätten ein furchtbares Schicksal. Wir wären dazu ausersehen, zu Gehirnschiffen umoperiert zu werden. Ich verstand zwar wirklich nicht, warum man mich dann ein Jahr zu früh aus der Schule gerufen hatte, war aber sofort sehr beruhigt, als ich das hörte.

So weit mir bekannt war, waren vor kurzem zehn Leute aus einen früheren Jahrgang meiner Zuchtlinie zu Gehirnschiffen umoperiert worden und sie hatten alle überlebt. Es waren auch zehn Leute von der Kriegerzuchtlinie operiert worden und sie waren alle tot. Das war deshalb so merkwürdig weil die Überlebensraten bei den Freigeborenen relativ konstant bei 60% lagen und man nie herausgefunden hatte, was man eigentlich tun muß, um von vorneherein die herauszusuchen, die am Leben bleiben werden. Ich stellte es mir auch nicht schlimm vor, ein Gehirnschiff zu sein, weil wirklich jeder, der die üblichen Operationen schon hinter sich hatte, mir gesagt hatte, daß Fliegen Spaß macht und daß die Beibootflüge, die er absolviert hatte mit zu dem schönsten Tätigkeiten unseres Berufes zählten.

Kurz nach mir kam Siram XZB12-200-20 von der wichtigsten Kriegerzuchtlinie herein, stellte dieselbe Frage wie ich und sah sehr unglücklich aus, als er die Antwort hörte. Dafür hatte er natürlich allen Grund, schließlich hatte er ganz bestimmt auch gehört, daß alle von seiner Zuchtlinie bei den Operationen gestorben waren. Abgesehen davon muß es einen Grund für diesen Unterschied geben, der in der unterschiedlichen Mentalität der Zuchtlinien liegen muß, was hieß, daß ihm der Gedanke als Gehirnschiff herumzufliegen, ganz bestimmt nicht so gefallen würde wie mir, weil er dafür nicht gezüchtet worden war. Man sollte meinen, wenn sie zehn von der Zuchtlinie operiert haben und alle tot sind, sollte das eindeutig genug sein, daß man nicht noch mehr solche Experimente macht. Zumal es bei den XZB12 gar keine genetische Variation gibt, die Hoffnung auf ein besseres Ergebnis machen könnte. Die waren doch alle geklont.

Dann kam einer von der Ärztezuchtlinie herein und bat uns in ein nebenan liegendes Besprechungszimmer. Dort erklärte er uns, daß wir nicht heute sondern erst in einem Jahr zum Gehirnschiff operiert werden würden. Heute sollten uns lediglich die inneren Organe aus dem Bauchraum herausgenommen werden, um uns ein Jahr lang bis zur Abschlußprüfung zu beobachten, weil man nach dieser Operation schon einen Unterschied zwischen den Zuchtlinien festgestellt hatte und den besser verstehen wollte. Um unseren Gesundheitszustand sollten wir uns keine Sorgen machen, dafür daß uns das nicht schadet, könnte man medizinisch sorgen. Ich zuckte bei dieser Eröffnung innerlich mit den Schultern. Die Operation würde sicherlich schmerzhaft sein, aber ob ich jetzt oder in einem Jahr operiert werde, konnte mir im Grund egal sein. Siram sah plötzlich noch wesentlich unglücklicher aus als vorher, sagte aber natürlich nichts dagegen, weil ihm klar war, daß es nichts bringen würde. Mir tat er leid, weil es für ihn eine völlig unnötige Quälerei war, da er dann die endgültige Operation in einem Jahr sowieso nicht überleben konnte.

Wir sahen uns einen kleinen Einführungsfilm an, in dem gezeigt wurde, wie die Operation ablaufen sollte. Ich warf einen Blick darauf und fragte, ob bei dem Einführungsfilm eigentlich immer schon ein Techniker verwendet worden sei. Dann wurde mir klar, daß die Frage dumm war, denn es war Gira LZB103-1765-22 und die war erst gestern operiert worden.
"Nein. Aber bei den früheren Einführungsfilmen konnten wir den Ton nicht benutzen und das Gesicht nicht zeigen, weil die Patienten so sehr geschrieen haben. Wenn wir das gezeigt hätten, hätten die Freigeborenen, die den Film gesehen hatten, es nicht mehr gewagt, sich auf die Behandlungsliege zu legen und wir hätten viel mehr Ärger mit den Operationen gehabt." antwortete der Arzt.
Ich fragte, warum man eigentlich nicht, wie das bei unseren normalen Operationen üblich war, während der Operation das Stammhirn mit einem Lähmstrahler ausschaltet, so daß sie sich nicht rühren können, sondern die Patienten fesselt.
"Die Patienten müssen wach und mit ihrem Bewußtsein in der Gegenwart sein, sonst senkt das die Überlebensraten in der nachfolgenden Gehirnschiffoperation erheblich. Daß wir die Operation bei vollem Bewußtsein durchgeführt haben, war der Faktor, der die Überlebensraten von 10% auf 60% angehoben hat." erklärte der Arzt.
Das konnte ich mir vorstellen, denn mit dem Lähmstrahler bekommt man die fiesen Schmerzen trotzdem mit, man fühlt sich nur weitaus hilfloser, weil man mit niemandem reden und sich nicht bewegen kann. Dann stellte ich fest, daß Gira jeden Schritt der Operation erklärte und begründete. Ich fragte, warum sie das tat.
"Das wirst du auch tun, weil eben das das Bewußtsein der Patienten im Hier und Jetzt hält."
Gut, das konnte ich sicherlich hinbekommen.

Da die anderen Gehirnschiffe schon abgeflogen waren, konnte ich ihnen keine Fragen mehr stellen. Nur Gira war meines Wissens noch da. Ich fragte, ob Gira wach war.
"Ja, bin ich." antwortete eine Stimme aus dem Raumlautsprecher.
Der Arzt sah sehr erstaunt aus. Mich wunderte das weniger, denn wir waren schließlich gezüchtet worden, um mit in dem Körper eingepflanzeter Elektronik zu interagieren und wenn wir das dann besser mit Elektronik klarkommen und sie schneller meistern als Freigeborene, ist das kein Wunder. Ich nahm an, daß der Arzt deshalb nicht bescheid wußte, wie gut wir damit zurechtkommen, weil sich alle unsere Gehirnschiffe erst mal mit den Technikern von unserer Zuchtlinie unterhalten haben, die auf dem jeweiligen Schiff gearbeitet haben, bis sie mit den Formalitäten durch waren und es Sinn machte, sich zum Dienst zu melden. Wer hat schon das Bedürfnis, ausgerechnet mit dem Arzt zuerst zu reden?

Ich fragte sie also, wie es war, ein Gehirnschiff zu sein, aber sie meinte, da könne sie noch nicht so viel zu sagen, weil sie ja erst morgen fliegen könnte, wenn alle Vorbereitungen abgeschlossen wären. Die Operationen wären weit harmloser als die normalen Operationen, mit denen uns Drähte ins Gehirn gepflanzt werden und wo man dann drei Tage vor Schmerzen nichts anderes mehr wahrnimmt. Sie hätte einige Stunden gebraucht, bis sie nicht mehr nur Schneeflocken vor Augen hatte und dann ein bißchen probiert, wie man die Elektronik bedienen muß, um von einem Zimmer ins andere zu kommen, Daten abzufragen und was man sonst noch alles braucht. Grundsätzlich wäre das alles aber recht einfach und sie glaubte, daß ihr das Gehirnschiffleben gefallen würde.

Danach wurde ein Freigeborener mit dem Rollstuhl zu uns hereingefahren, der gerade eben ausgenommen worden war. Wir durften ihm Fragen stellen, wie er die Operation gefunden hatte. Er sah fix und fertig aus, beantwortete aber bereitwillig meine Fragen, indem er erzählte, daß er eine überwältigende Angst gehabt hätte, jetzt sterben zu müssen, obwohl er doch ganz genau gewußt hätte, daß das nicht die Operation ist, an der man gewöhnlich stirbt. Auch die Schmerzen waren ihm völlig unerträglich vorgekommen und daß er dann auch noch immer sagen sollte welches Organ, sie ihm gerade herausgenommen hatte, war ja richtig fies. Ich fragte ihn, ob er denn nicht die ganze Operation hätte erklären sollen.
"Nein. Das kann man mit Freigeborenen nicht machen." antwortete der Arzt.
Nun, na klar. Wer bei uns solche Operationen nicht gut genug erträgt, wäre schon vor Generationen aus der Zucht ausgesiebt worden, nur weil er gezögert hätte sich zur zweiten Operation hinzulegen.
"Wenn du jetzt in die hineinfühlst und dir vorstellst, du müßtest den Rest deines Lebens mit einem so leeren Bauch leben, wäre das für dich OK?" fragte der Arzt den Freigeborenen.
Jetzt nachdem wir so eine Weile miteinander geredet hatten, wirkte der Freigeborene immer noch erschöpft aber auch wieder entspannter und aufmerksamer. Er wirkte kurz ein wenig in sich gekehrt, sah dann etwas erstaunt aus und meinte:
"Jetzt wo es vorbei ist, ist es gar nicht mehr so schlimm. Es tut zwar immer noch ein wenig weh, aber auch nicht mehr so furchtbar wie während der Operation, nur so ganz leicht. Es fühlt sich auch etwas leer und merkwürdig an, aber ja, damit könnte ich leben, wenn das denn ginge." antwortete er und lächelte schwach.
Der Arzt meinte, daß das so typisch für Freigeborene wäre, während Meinesgleichen sich gewöhnlich erleichtert geäußert hätte, als wären die inneren Organe eine Last, bei der man sich freut, sie loszuwerden.
"Und was sagt meine Zuchtlinie gewöhnlich dazu?" fragte mein Kollege von der Kriegerzuchtlinie.
"Sie sagen, daß sie zwar keine Todesangst hatten aber das Gefühl, daß ihnen alle weggenommen wird was wichtig ist und sie nichts dagegen tun können. Außerdem können sie sich nicht mit dem leeren Gefühl im Bauch abfinden und wollen so nicht leben." antwortete der Arzt.
Er nickte und stellte keine weiteren Fragen, während mir noch einiges einfiel, was ich fragen konnte. Er sah immer noch sehr unglücklich aus, als ich zur Operation geschickt wurde.

Kersti

Fortsetzung:
F1465. Teros LZB99-973-12: Ich merkte, daß ich es trotz der Schmerzen spannend fand, wie es sich anfühlt, ausgenommen zu werden und jedem Schritt der Operation mit einer gewissen Neugier beobachtete

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben