F1466.

So viel Einsicht brachten unsere Freigeborenen Herren aber definitiv nicht auf, also konnten sie es nicht lassen, mich als Versuchsobjekt zu verwenden

Vorgeschichte: F1465. Teros LZB99-973-12: Ich merkte, daß ich es trotz der Schmerzen spannend fand, wie es sich anfühlt, ausgenommen zu werden und jedem Schritt der Operation mit einer gewissen Neugier beobachtete

Siram XZB12-200-20 erzählt:
Sie hatten mich gerufen und mir erklärt, daß sie mir die inneren Organe herausnehmen wollten, um zu sehen, wie ich mich damit fühle. Natürlich war das völlig unsinnig, denn sicherlich jeder auf der Zuchtstation wußte, daß die zehn Leute meiner Zuchtgruppe, die sie zum Gehirnschiff hatten machen wollen, alle daran gestorben waren. Das war doch eigentlich eindeutig genug! Warum es mir anders gehen sollte, nur weil sie mir nicht einen Tag vor der endgültigen Operation sondern ein Jahr vorher die inneren Organe herausnehmen, ist mir schleierhaft. Warum sie glaubten, dafür irgendeine andere Lösung finden zu können, als eine andere Zuchtgruppe als Grundlage zu nehmen, ist mir noch rätselhafter. Ganz offensichtlich fehlt uns da etwas, was wir bräuchten, um als Gehirnschiff geeignet zu sein und wenn sie Gehirnschiffe mit besseren taktischen Fähigkeiten haben wollen, als sie die Techniker haben, müssen sie die wohl erst noch züchten. So viel Einsicht brachten unsere Freigeborenen Herren aber definitiv nicht auf, also konnten sie es nicht lassen, mich als Versuchsobjekt zu verwenden. Und natürlich brauchte ich dagegen gar nicht erst zu protestieren, weil das nichts daran ändern würde, was sie am Ende mit mir machen.

Bei der Erklärung, wie es genau gemacht wird, hörte ich nur zu, schließlich brauchte ich keine Fragen mehr stellen, weil Teros LZB99-973-12 Fragen für zehn hatte. Dem Techniker, den sie in der Vorführung gefilmt hatten, fiel es schwer, nicht vor Schmerzen zu schreien. Trotzdem wirkte er auch während der Operation noch, als wäre er ganz zufrieden, daß sie ihm den Bauch aufschneiden und alles herausnehmen. Natürlich mußte er jeweils sagen, was der nächste Schritt der Operation war, nur sah er dabei auch noch aus, als würde ihm der Gedanke bei jedem der inneren Organe gefallen und als wäre er zufrieden, daß nachher alles leer war. Ich fand das absolut gruselig.

Bei der Operation selbst merkte ich, daß die Schmerzen gar nicht so schlimm waren. Ich brauchte mich nicht anzustrengen, um die Fassung zu wahren, sondern konnte problemlos sagen, was verlangt wurde ohne Pausen machen zu müssen, um mich wieder zu fangen. Dagegen war es ein entsetzliches Gefühl zu sehen, wie sie ein inneres Organ nach dem anderen nahmen, abschnitten und zur Seite legten. Es fühlte sich einfach falsch an. Ich hatte ein unerträgliches Verlustgefühl, als ich die leere Bauchhöhle sah und es fühlte sich absolut falsch an, als sie die künstliche Niere und den Zugang für die Nährstoffzufuhr herstellten. Als sie fragten, ob das jetzt so fertig sei, kontrollierte ich noch einmal sorgfältig, ob sie ihre Werkzeuge wieder in den Kisten hatten, dann bestätigte ich, daß sie fertig waren und sagte, daß sie zunähen sollten.

Danach sollte ich die Fragen eines Freigeborenen beantworten, der nach mir operiert werden sollte und so verängstigt wirkte, daß ich mich eher bemühte, ihn zu beruhigen. Nicht daß ihm das viel bringen würde, aber es gab ja keine Möglichkeit für ihn, vor den Operationen zu fliehen und Freigeborene gerieten manchmal so in Panik, daß sie damit als Strafe Foltern bis zur Besinnungslosigkeit auf sich zogen. Außer Schmerzen brachte ihnen das natürlich nichts und gut tat es ihnen auch nicht. Daher taten wir unser Bestes, damit sie es nicht noch schlimmer machten, als es für sie sowieso schon war.

Schließlich wurde ich zu Teros in das Krankenzimmer geschoben und der Arzt befragte uns noch einmal ausführlich, wie wir die Operation empfunden hatten. Dabei sahen wir uns drei Überwachungsfilme von Operationen an. Die erste Operation war die von dem Freigeborenen, der uns erzählt hatte, wie er die Operation erlebt hatte. Er bettelte die ganze Zeit um Gnade. Das war natürlich völlig sinnlos und er wußte das sicherlich auch, dennoch hörte er nicht auf zu betteln, während die Ärzte sich taub stellten, weil sie ja gar nicht aufhören durften.

Bei meinem eigenen Überwachungsfilm war ich erstaunt, wie gesammelt und gelassen ich wirkte. So hatte ich mich nicht gefühlt. Die Leere im Bauchraum fühlte sich jetzt, wo ich nicht mehr durch die eigentliche Operation abgelenkt war und die Schmerzen fast weg waren, noch viel schlimmer an. Ich konnte mir ehrlich nicht vorstellen, wie ich damit ein ganzes Jahr leben sollte und wäre am liebsten sofort gestorben. Selbstmord zu begehen, war aber ein ganz dummer Gedanke, denn dann würden sie einen meiner Brüder zu sich bestellen und ihn auch noch ausnehmen. Und da sie als typische Freigeborenen nicht erkennen würden, daß sie mit dem als Krankheit getarnten Selbstmord dasselbe Phänomen vor Augen hatten, das bewirkt hatte, daß alle aus meiner Kriegerlinie bei der Operation gestorben waren, würden sie erst einmal noch zehn Leute in den Selbstmord treiben, bevor sie einsahen daß das nichts bringt. Falls zehn Leute reichen. Verwirre Freigeborene und sie machen noch mehr sinnlose grausame Experimente, weil sie nicht glauben können, daß es Dinge gibt, die einfach nicht funktionieren. Ich mußte das Jahr durchstehen und erst bei der zweiten Operation sterben wie alle anderen, damit wir ein klares Ergebnis bekamen, das sie nicht verwirrte.

Einmal im Monat wurden Teros und ich zu einem Gespräch einbestellt und gefragt, wie wir uns mit der Geschichte fühlen. Es war immer dasselbe.

Das letzte Jahr meines Lebens war eine furchtbare Quälerei. Ich hatte den größten Teil der Zeit keine Schmerzen, aber mit Schmerzen wäre leichter umzugehen gewesen als mit dem Gefühl, daß die eigene Mitte fehlt, dieses furchtbare Gefühl der Leere. Ich sollte ganz normal die taktischen Fortbildungen besuchen, war aber nicht mehr wirklich bei der Sache, weil ich so nicht mehr leben wollte. Nur hatte mich keiner gefragt und es wäre sehr unklug gewesen, nicht zu tun was man mir sagt, weil sich die meisten Freigeborenen durch jedes bißchen Widerstand und jede Bitte so herausgefordert fühlen, daß sie einen foltern, bis man sagt, daß man doch glücklich ist, zu tun was immer sie sich wünschen. Dummerweise sind wir Krieger gar nicht besonders schmerzempfindlich und bringen so etwas nicht so überzeugend rüber, daß sie sich besänftigt fühlen. Das können die Techniker und Ärzte beide viel besser als wir, daher achten wir eher darauf, bei diesem Typ Mensch niemals den Eindruck zu vemitteln, wir hätten eigene Wünsche oder wären nicht jederzeit bereit alles für sie zu ertragen. Ich fühlte mich zunehmend gedrückt und leer, hatte immer weniger Lust noch irgendetwas zu tun und eine Zukunft für mich konnte ich schon gar nicht erkennen. Sie hätten mich besser als Organspender für die anderen einteilen sollen. Das wäre wenigstens eine irgendwie noch sinnvolle Aufgabe gewesen. Die Operationen an den anderen hatten deutlich gezeigt, daß meine Zuchtgruppe so etwas nicht überlebt. Tatsächlich bin ich der Ansicht, daß wir das nicht überleben, weil wir so nicht leben wollen, aber das sagte ich nicht. Die Zuchtmenschen begriffen es sowieso und die Freigeborenen gestanden uns so etwas wie einen eigenen Willen gar nicht zu. Jedenfalls, selbst wenn ich es überlebt hätte, wäre ich als Gehirnschiff noch unglücklicher gewesen, als ich es jetzt schon war, da war ich mir ganz sicher. Andererseits kann man durchaus dafür sorgen, daß man die Operation nicht überlebt und keinen würde das wundern.

Teros machte motiviert seine Kurse, war guter Dinge. Er fand es praktisch, keine Zeit auf essen und trinken verschwenden zu müssen, weil er all das im Schlaf erledigen kann und ließ sich auch von dem näherrückenden Operationstermin nicht die Laune verderben. Im Gegenteil, er schien sich sogar darauf zu freuen, den Rest seines Lebens als Gehirnschiff zu verbringen. Je mehr ich mir anhörte, wie Teros über seine Zukunft redete, desto seltsamer berührte es mich. Ich habe ihn in dem Jahr kennen und lieben gelernt, aber er lebte doch irgendwie in einer völlig anderen Welt, in der Technik ein reines Vergnügen ist, und wenn man damit so eng wie möglich verbunden wird, macht ihn das glücklich, selbst wenn das heißt, für den Rest des Lebens nur noch im leeren Weltraum herumzuschwirren.

Teros und ich sollten auch beide die schriftlichen Berichte des Arztes durchsehen und sie verbessern, falls sie uns nicht zutreffend erschienen. Darauf verwendete ich einige Mühe, weil ich so deutlich wie irgend möglich machen wollte, daß ich nicht in der Lage war, damit fertig zu werden, ohne den Eindruck zu vermitteln, ich wäre ungehorsam, weil ich nicht wollte, daß noch jemandem von meiner Zuchtgruppe so etwas angetan wurde. Teros sah es genauso. Er war der Ansicht, daß niemand von seiner Zuchtgruppe unglücklich wäre, zum Gehirnschiff gemacht zu werden und daß es daher vollständiger Schwachsinn wäre, uns das anzutun, mit dem einzigen Ergebnis, daß nachher jeder tot ist, mit dem man es versucht.

Kersti

Fortsetzung:
F1474. Jender LZB99-950-41: Einerseits möchte ich möglichst lange leben, andererseits fühle ich mich behindert, wenn ich die betrachte, die die Operationen hinter sich haben und sich direkt an die Elektronik anschließen können

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben