erste Version: 10/2019
letzte Bearbeitung: 10/2019

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Gruselige Experimente

F1478.

Jeden Ansatz zu Widerstand hatten sie im Keim erkannt und mit unfehlbarer Höflichkeit in Kooperation verwandelt

Vorgeschichte: F1477. Jender LZB99-950-41: Wir sollten zur Zuchtstation und da so viele Schiffe und Leute flott machen, wie irgend möglich

Diro von Karst erzählt:
Als das Kurierschiff mit der Nachricht von der Schlacht ankam und meldete, wie viele von unseren Schiffen zerstört worden waren, schickte der König mich sofort auf eben dieses Kurierschiff, ich sollte dafür sorgen, daß die Werft bei der Zuchtstation so viele Schiffe wie irgend möglich losschickt, damit wir den Leuten zuhilfe kommen können, denn das Drachenreich würde sicherlich bald eine größere Armee zur Verstärkung schicken und wir mußten eher da sein. Wir verabredeten einen Treffpunkt kurz vor dem Stern, wo die Schlacht stattgefunden hatte.

Ich kam also auf dem Kurierschiff an und da ich nicht einmal meine eigenen Unterlagen hatte mitnehmen können, wenn ich sie nicht zufälligerweise in der Hosentasche hatte, war ich ziemlich aus dem Gleichgewicht als ich das Schiff betrat. Sie hatten schon Versorgungsgüter geladen und flogen sofort los.

Ich sagte ihnen kurz, welchen Befehl wir hatten und sie erklärten, das wäre vorherzusehen gewesen, daher hätten sie schon einen Plan. Ich sah den Kapitän der ein Zuchtmensch der Technikerlinie war, erstaunt an und bat sie den Plan zu erläutern. Das taten sie und je mehr ich zu Einzelheiten fragte, desto mehr Einzelheiten breiteten sie vor mir aus. Irgendwann im Laufe der folgenden Tage begann mich das zu wundern und ich dachte mir einige sehr unwahrscheinliche Szenarien aus, was noch alles passieren könnte. Sie hatten buchstäblich auf alles eine Antwort. Zuchtmenschen sind intelligent - aber nicht so intelligent, daß sie in ein paar Wochen einen so differenzierten Plan ausarbeiten können. Ich sage ihnen auf den Kopf zu, daß sie den Plan von langer Hand ausgearbeitet hatten. Sie bestätigten das. Es sei doch logisch gewesen, daß ein solcher Plan irgendwann gebraucht würde.

Ich fragte mich, zu was sie noch alles fertige Pläne in der Schublade hatten. Daß es ihnen gelungen war, mit diesem völlig überladenen Schiff heile und ohne Verluste nach Hause zu kommen, mußte auch auf einem von langer Hand vorbereiteten Plan aus der Schublade beruhen.
F1451. Geson XZB12-56-78: Wir retteten vorrangig die, die zu den Schiffen gehörten, die ihre Landefähren gestartet hatten und dann so viele von den anderen Leuten, wie wir konnten

Ich war schon lange ein enger Vertrauter des Königs. Früher hatte ich nie über die Zuchtmenschen nachgedacht, denn sie waren Sklaven und man nutzte ihre Dienste, ohne darüber nachzudenken, was sie denken oder fühlen könnten. Dann wurde der König bei einem Attentat, das wir vertuscht hatten, sehr schwer verletzt, so daß das königliche Paar keine Kinder mehr bekommen konnte und sehr fraglich war, ob sie überleben würden. Es war meine Aufgabe herauszufinden, wer verantwortlich war und den zu beseitigen.

Danach diskutierten wir darüber, was wir jetzt machen sollten und der König entschied, daß er ein Kind adoptieren würde. Es müßte aber intelligent und ein guter Diplomat sein. Ich fragte ihn, wie er das bei einem Säugling wissen wollte. Er antwortete, daß die Eigenarten der Zuchtlinien bekannt seien - intelligent seien sie alle und er würde sich eben ein Kind mit passenden Eigenarten auswählen. Da ich kein Argument hatte, um ihm zu widersprechen, setzte er diesen Gedanken um und kam mit einem Jungen und einem Mädchen der Technikerzuchtlinie zurück. Danach begannen die Dinge gruselig zu werden.

Es begann damit, daß das Kind, als der Junge zwei Jahre alt war, zum König kam und ihm etwas erzählte, was er auf den Überwachungsvideos gesehen hatte. Diese Information hatte dem König das Leben gerettet, doch als ich mir das anhörte, kam ich ins Grübeln. Der Junge war intelligent, so intelligent, daß ich seinen Gedanken oft nicht folgen konnte. Aber er war ein Kind und das was er gesagt hatte, klang nicht wie etwas, auf das ein Kind kommt. Ich ging zu dem Ingenieur, der die Palastelektronik wartete und bei dem die Kinder öfter herumhingen und ihn aushorchten, wie jedes Teil funktioniert und sagte ihm auf den Kopf zu, daß er den Jungen geschickt hatte.
"Ja. Habe ich." antwortete er nach kurzem Zögern.
"Warum?" fragte ich.
"Weil ich nicht wollte, daß der Junge ohne Vater ist." antwortete er.
Ich stellte keine weiteren Fragen, denn das mußte ich erst mal verdauen.

Eigentlich war das, was ich verdauen mußte, meine eigene Ignoranz. Ich hatte nie darüber nachgedacht gehabt, daß die Techniker auch Menschen sind. Ich hatte nie darüber nachgedacht, was sie möglicherweise über mich denken oder von mir halten könnten. Und was er mir damit durch die Blume gesagt hatte war, ... nun es war komplex. Zunächst einmal hatte er mir gesagt, daß seine Loyalität anderen Zuchtmenschen gehörte und nur diesen. Er hatte gesagt, daß er den Jungen als Zuchtmensch sah und weil dieser seinen Adoptivvater liebte, war er bereit, den König zu warnen. Er hatte aber auch gesagt, daß er uns nicht gewarnt hätte, wenn der König kein Kind seiner eigenen Zuchtlinie adoptiert hätte, weil der König ihm gleichgültig war - oder vielleicht nur, weil er sich nicht an diesem Intrigenspiel beteiligen wollte.

Und dann machte ich mir plötzlich Gedanken, was die Techniker wohl über uns Freigeborene denken. Mir kam eine Ahnung, daß das nichts Gutes sein konnte.

Umgekehrt konnte ich aber nichts Schlechtes über sie sagen. Sie waren fleißig, zuverlässig, jedem gegenüber höflich, sagten immer die Wahrheit und hielten sich stets unauffällig im Hintergrund. Außerdem griffen sie bereitwillig zu, wenn jemand Hilfe brauchte, beteiligte sich dafür aber gar nicht an diesem bösartigen Intrigenspiel, das dem König das Leben so ... kaum überlebbar machte.

Dann kam diese Sache mit der Schlacht, wo sie so viele Menschen gerettet hatten.
F1451. Geson XZB12-56-78: Wir retteten vorrangig die, die zu den Schiffen gehörten, die ihre Landefähren gestartet hatten und dann so viele von den anderen Leuten, wie wir konnten
Ich hatte danach einige Leute gefragt, wie das denn abgelaufen war und als ich nach und nach herausbekam, was sie alles für Details bedacht hatten, war ich zu dem Schluß gekommen, daß sie diesen Plan nicht mal eben aus dem Handgelenk geschüttelt haben konnten .... es sei denn sie würden Notfallpläne, die sie seit Jahren vorbereitet hatten, gewohnheitsmäßig im Ärmel verstecken. Sie waren weitaus intelligenter als normale Menschen, aber so intelligent nun auch wieder nicht.

Die Zuchtmenschen hatten dort den Befehl geführt, daran konnte kein Zweifel bestehen und sie hatten eine sehr strikte Disziplin aufrecht erhalten. Anders hätten sie die Leute gar nicht bei gedrittelten Rationen in einem maßlos überfüllten Schiff am Leben erhalten können. Gruselig daran war nur, wie höflich das alles zugegangen war. Jeden Ansatz zu Widerstand hatten sie im Keim erkannt und mit unfehlbarer Höflichkeit in Kooperation verwandelt.

Die Zuchtmenschen waren mir gruselig. Und ich hegte den Verdacht, daß sie einen Staatsstreich vorbereiteten, an dem wir gar nichts würden tun können, nicht einmal ernsthaft protestieren. Schließlich würden sie jeden Ansatz zu Widerstand im Keim erkennen und mit unfehlbarer Höflichkeit in Kooperation verwandeln.

Kersti

Fortsetzung:
F1479. Diro von Karst: Jeder konnte Verbesserungsvorschläge einbringen, aber man brauchte die Intelligenz eines Zuchtmenschen, um diese zu einem ihrer Pläne zu verknüpfen

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben